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Sport: Die Prothesenrichter

Bei Paralympia kümmern sich 136 Techniker um die Ausrüstung – gratis und im Schichtbetrieb

Der Knall ist ohrenbetäubend, und einige Bewohner des paralympischen Dorfs zucken zusammen. Dann Entwarnung: Es war kein Schuss, da ist nur ein Rollstuhlreifen geplatzt. Jetzt hört man wieder die Trennschleifer, das Schweißgerät und die Ledernähmaschine. Im Service Center des paralympischen Dorfs herrscht Hochbetrieb: Zahlreiche der mehr als 4000 Athleten kommen in die Zeltstadt zum Boxenstopp der anderen Art.

„Es ist großartig, dass es diesen Gratisservice gibt“, sagt Perla Bustamante, Weitspringerin aus Mexiko. Ihr Bein wurde amputiert, nachdem sie beim Schwimmen in eine Schiffsschraube geraten war. Viele Sportler aus Entwicklungsländern warten im Service Center. Hier humpelt ein Schwimmer aus Ghana herein, dort klemmen Rollstuhlbremsen einer ghanaischen Leichtathletin. „Die Prothese hier gehört einem Algerier, sie drückt. Ich mache das Ding ein bisschen weicher“, sagt Walter Emil Grubenmacher, der sonst in der Schweiz arbeitet.

Bei Paralympia geht ohne technische Unterstützung gar nichts – schon bevor die Spiele begannen, mussten die Techniker mehr als 1000 Mal ans Werk. Die Veranstalter haben für die Pekinger Paralympics ein Unternehmen aus dem niedersächsischen Duderstadt dafür verpflichtet. Um in China Versorgungsengpässe zu vermeiden, wurden ganze Containerladungen Material eingeführt.

Manche Sportler kommen mit antiker Ausstattung zur Werkbank. Ein Läufer aus Madagaskar zum Beispiel mit seiner Oberschenkelprothese: aus Leder und Aluminium, mehrfach geschweißt und „gefühlte 40 Jahre alt“, erinnert sich ein Techniker. Diesen Sportlern verschafft die Servicestation die Möglichkeit, „mit vernünftigen Gerätschaften am Ball zu bleiben“, sagt ein Werkstattvertreter. Andere Athleten wie die Sportler aus dem US-Team kommen mit eigenen Technikern und speziellen Tuningwünschen zum Servicedorf. Der unterschenkelamputierte Marlon Shirley etwa ließ sich seine Prothese leichter machen. Sein Mannschaftskamerad Brian Frasure stellt sich gern selbst an die Werkbank. Und Gerome Stapleton ließ sich mit einem 24-Stunden-Lieferdienst aus den USA schnell noch einen neuen Carbonfuß schicken – der alte war gebrochen. Durch die unterschiedlichen Voraussetzungen ergeben sich unterschiedliche Siegchancen für die Sportler, wissen die Techniker.

Damit im Servicezentrum auch die Verständigung reibungslos läuft, ist das Technikerteam fast so international wie die Starterlisten. 136 Experten aus 20 Ländern arbeiten im Schichtbetrieb. „Ich habe mir extra drei Wochen Urlaub genommen, um das Event mitzuerleben“, sagt Gernot Kretschmer, zweifacher Familienvater aus Berlin. „Die Erfahrungen, die man hier macht, die Charaktere, die man trifft, und die Dankbarkeit der Leute, das vergisst man im Leben nicht.“ Kollege Walter Emil Grubenmacher aus der Schweiz – vor und nach einem Unfall Motorradfahrer – hat seine eigene Prothese mit Schlangendesign geschmückt und sich die Shorts dazu passend nähen lassen. Grubenmacher hat immer einen passenden Spruch für die Leute im vollen Wartezimmer parat. Manchmal sogar mehr: Dem südafrikanischen Rollstuhlbasketballer Thandile Zonke wird er eine maßgeschneiderten Beinstütz-Orthese mit nach Hause geben.

Alles zu den Spielen sowie die

Paralympics-Zeitung im Internet:

www.tagesspiegel.de/paralympics

Annette Kögel[Peking]

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