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Sport: Die satten Deutschen

Warum viele Leichtathleten in Athen enttäuschten

Bis jetzt sind es sechs. Allein in der Leichtathletik flogen ein halbes Dutzend Dopingsünder auf. Und wie viele unentdeckt bleiben, weiß naturgemäß niemand. Die ziemlich streng kontrollierten Deutschen laufen auch gegen den Betrug an, das darf man nicht vergessen, wenn jetzt das Lamentieren über die deutschen Leichtathletik losgeht. Nur zwei Silbermedaillen, durch die Kugelstoßerin Nadine Kleinert und die Speerwerferin Steffi Nerius, das ist die größte Olympiapleite seit 1912. Doch gleichzeitig einen harten Anti-Doping-Kampf und eine Flut von Medaillen zu fordern, das geht nicht. Und man muss auch davon reden, dass immer mehr Nationen in die Weltspitze aufsteigen. Einen erheblichen Anteil an diesem Aufstieg hat der Deutsche Leichtathletik-Verband. Der schult mit viel Aufwand ausländische Trainer.

Der Bewertung der deutschen Leichtathleten muss also eine Erwartungsebene tiefer stattfinden. Dort aber stößt man schnell auf einen Punkt, den Steffi Nerius so beschreibt: „Die mentale Vorbereitung einiger Athleten war hier nicht optimal.“ Es ist keine Überraschung, dass Athleten wie Nerius oder Kleinert Medaillen gewannen, und dass Betty Heidler im Hammerwerfen zwar an Bronze vorbeischrammte, aber immerhin deutschen Rekord warf. Nerius lässt sich seit vier Jahren intensiv von einem Psychologen für Stresssituationen schulen. Und sie hat Biss. Sie ist jetzt 32, aber immer noch hungrig auf Erfolge. Wie Betty Heidler auch. Die ist gerade mal 20, aber sie freute sich wie ein Kind über ihren vierten Platz und ihren Rekord. Und Kleinert hat nie aufgegeben, obwohl sie stets im Schatten der Olympiasiegerin Astrid Kumbernuss stand. „Manche sind einfach satt“, sagt Steffi Nerius. „Die sind zum Beispiel bei der Bundeswehr und sagen sich: Klasse, ich habe alles.“

Vertreter der satten Athleten saßen gestern neben Nerius im Deutschen Haus. Der Stabhochspringer Lars Börgeling hatte den Kopf gegen seine Faust gestützt und hockte mit seinem Cowboyhut da wie John Wayne vor dem sechsten Whiskey im Saloon. Er ist mit 5,75 m Sechster geworden – Saisonbestleistung. Aber es war mehr drin. „Wir haben uns vom eher mäßigen Niveau einlullen lassen“, sagte er. Und dann sagte er ernsthaft, in einem Olympiajahr: „Man kann nicht jede Saison in Bestform sein.“

Tim Lobinger hockte daneben, er schied mit 5,55 m aus. Seit sieben Jahren verpasst er bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften regelmäßig die Medaillenränge. Dabei gehörten die Stabhochspringer zu den wenigen Medaillenhoffnungen. Auch 400-m-Europameister Ingo Schultz zählte dazu. „Er ist kein gelernter 400-m-Läufer. Er hat nicht das Potenzial, regelmäßig Topleistungen abzurufen“, sagt Uwe Wegner, früher selber 400-m-Läufer, jetzt deutscher Teamarzt. Schultz schied im Halbfinale aus, er lief 1,47 Sekunden über seiner Bestzeit.

Rene Herms schied im 800 m-Halbfinale aus, drei Sekunden langsamer als seine Bestzeit, die er kurz vor Athen gelaufen war. Dann sagte er, dass er sich nichts groß vorzuwerfen habe. Die Sprinterin Sina Schielke überstand nicht mal den 100- m-Vorlauf. Ihre Begründung: „Morgens kann ich nicht laufen.“

Nerius findet die Einstellung vieler Kollegen falsch: „Du musst dich schinden. Wenn das nicht geht, kann auch der Verband nichts machen.“ Der Verband tauscht jetzt viele Trainer aus. Aber der Verband hat auch ein Fördersystem, das permanent Junioren-Europameister und -Weltmeister hervorbringt. „Aber die müssen sich als Erwachsene durchbeißen“, sagt Nerius.

Börgeling schien dagegen durchaus zufrieden zu sein. 15 Minuten nach seiner Analyse posierte er für eine Fotografin. Motiv: cooler Athlet. Börgeling lag auf einem Sofa, die Beine auf der Lehne, und grinste unter seinem Cowboyhut.

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