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Sport: Die Show der Menschenrechte

Die Paralympics sollen zeigen, dass Chinas Herz auch für Schwache schlägt

Der Anruf kam plötzlich. „Hier ist der Behindertenverband“, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung. „Wir suchen Basketballerinnen und dachten, du könntest das einmal ausprobieren.“ Hao Wenhua verstand nicht, was der Anrufer meinte. Sport kannte die 17-Jährige nur aus dem Fernsehen – und aus der Erinnerung. Fünf Jahre war es her, dass sie bei einem Autounfall ihr linkes Bein verloren hatte. Seitdem spielte sich ihr Leben auf Krücken im Dreieck Bett, Sofa, Bad ab. Ihre Eltern, Angestellte eines Bergwerkkonzerns im nordchinesischen Tangshan, hielten es für Geldverschwendung, weiter in ihre Schulbildung zu investieren.

Drei Jahre später gehört Hao zum Rollstuhlbasketball-Nationalteam. Seit fast einem Jahr wohnt sie im Nationalen Behindertensportzentrum am Stadtrand von Peking, einer 30-Hektar-Anlage mit Stahl-Glas-Architektur. 700 chinesische Athleten bereiten sich hier auf die am Sonnabend beginnenden Paralympics vor. „China hat den Ehrgeiz, wieder die meisten Goldmedaillen zu erringen“, sagt Haos Trainer Liu Tiehua. „Behindertensport wird ganz groß geschrieben.“ Sun Piping vom chinesischen Paralympischen Komitee glaubt, durch die Spiele werde die Akzeptanz Behinderter steigen. „Jetzt sehen die Menschen, wie viele Fähigkeiten Behinderte haben.“ Zehntausende Pekinger werden mit Freikarten ermutigt, ins Stadion zu kommen. Die Kommunistische Partei will demonstrieren, dass ihr Herz für die Schwachen der Gesellschaft schlägt. Da Peking die internationale Chinakritik während Olympia nicht zum Schweigen brachte, soll nun Paralympia zur Show der Menschenrechte werden.

In China gibt es 83 Millionen Behinderte – das entspricht etwa der Bevölkerung Deutschlands. Drei Viertel von ihnen leben auf dem Land, wo das Durchschnittseinkommen bei 380 Euro im Jahr liegt. Rollstühle oder Hörgeräte sind unerschwinglich. In einer Gesellschaft, in der die Mehrheit mit der Armut kämpft, kein funktionierendes Sozialsystem existiert und die Grundschulausbildung erst seit kurzem kostenlos ist, genossen die Sorgen der Behinderten bisher keine hohe Priorität. Dabei kann sich die Versorgung im Vergleich mit anderen Entwicklungsländern sehen lassen, weil es einen mächtigen Fürsprecher gibt: Deng Pufang, den Sohn des Reformpatriarchen Deng Xiaoping. Weil sein Vater bei Mao in Ungnade gefallen war, schikanierten die Roten Garden auch den Sohn, der auf der Flucht aus dem vierten Stock sprang. Seitdem ist er querschnittsgelähmt.

Anfang der Achtziger begann Deng den Wiederaufstieg seines Vaters zu nutzen, um das tabuisierte Thema Behinderung in die öffentliche Diskussion zu bringen. 1988 gründete er den Chinesischen Behindertenverband, heute bekommen zwei Drittel der behinderten Kinder eine Grundschulausbildung. Seit kurzem gibt es ein Antidiskriminierungsgesetz. Doch Kritiker werfen der Regierung vor, ihre Unterstützung sei vor allem auf schönen Schein bedacht. „In China gilt es noch als fortschrittlich, wenn Behinderte in Heimen hygienisch verwahrt werden und keiner sie sieht“, klagt der Gründer einer privaten Organisation für Behinderte.

Um bei den Spielen im eigenen Land in allen Disziplinen antreten zu können, wurden die Verbände angewiesen, ihre Karteien auf mögliche Athleten durchzugehen und diese in Auswahllager zu schicken. So wie Peng Fengling, die im Rollstuhl sitzt und die ihr Jahr als Profisportlerin in eine Welt entführt hat, aus der sie eigentlich nicht mehr zurück möchte. Sie bewohnt ein Zimmer mit Fernseher und Computer und durfte 2007 zu Wettkämpfen nach Deutschland reisen. „Wie im Traum“, sei es gewesen sagt sie. Doch sie wird wohl bald aufwachen. „Nach den Spielen gehen alle erst einmal nach Hause“, sagt sie. „Ob es danach weitergeht, hat uns noch keiner gesagt.“

Die Sonderseite zu den Paralympics: www.tagesspiegel.de/paralympics

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