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Sport: „Die Spieler sind völlig kaputt“

Bundestrainer Heiner Brand über Belastungen und Erfolge bei der Handball-Europameisterschaft

Herr Brand, haben Sie Angst um Ihren Schnauzbart?

Warum sollte ich?

Ihre Spieler haben gesagt: Wenn Deutschland Europameister wird, muss der Bart ab.

Meine äußere Erscheinung würde sicher darunter leiden. Aber wenn ich ehrlich bin, würde ich für den EM-Titel sehr gern auf den Bart verzichten.

Um ehrlich zu bleiben: Hatten Sie noch vor einigen Tagen in Gedanken schon die Koffer gepackt?

Nein. Wer mich kennt, weiß, dass ich bis zum letzten Augenblick versuche, Chancen wahrzunehmen und das auch der Mannschaft zu vermitteln. Aber ich bin auch Realist genug, um zu sehen, dass jeder Verlustpunkt in der Hauptrunde das Ende des Traums von einer Medaille bedeutet hätte.

Schlechter als mit der deprimierenden Niederlage gegen Serbien-Montenegro hätte es gar nicht anfangen können.

Na und? Bei der letzten Weltmeisterschaft in Portugal verlor Kroatien das erste Spiel gegen die Nobodys aus Argentinien, und alle haben gelacht. Als die Kroaten uns dann im Finale besiegten, hat keiner mehr gelacht.

Und nun sinnen Sie auf Revanche?

Abwarten. Erst kommen die Dänen. Und Kroatien muss erst mal gegen Slowenien gewinnen, um ins Finale zu kommen.

Wie ist denn die enorme Leistungssteigerung zu erklären? Fast nur miserable Testspiele, die Ausfälle von Stefan Kretzschmar und Frank von Behren, hier auch noch das Malheur Ihres Mannschaftskapitäns Markus Baur – da durfte man eigentlich nicht viel erwarten.

Die Testspiele habe ich schon richtig eingeordnet. Da waren einige Spieler kaputt, einigen habe ich bewusst eine Erholungspause gegönnt. Dass die vielen Ausfälle so gut verkraftet wurden, spricht für die hervorragende Harmonie und das Gemeinschaftsgefühl dieser Mannschaft.

Die Mannschaft hat jetzt in acht Tagen sechs Spiele bestritten. Ist so was zu verkraften?

Ich halte es für unverantwortlich, ein Turnier mit einem solchen Modus durchzuführen. Schon allein aus medizinischer Sicht. Die Spieler sind gerade heute völlig kaputt, und die Physiotherapeuten müssen harte Arbeit leisten. Anderseits betrifft diese unzumutbare Belastung natürlich alle Mannschaften, die jetzt noch dabei sind.

Neben Volker Zerbe sorgen sich die Mediziner um Florian Kehrmann – und der ist immerhin Ihr bester Torschütze bei diesem Turnier.

Er war am Donnerstagabend nach dem Spiel gegen Ungarn völlig platt. Aber der bewegt sich auch noch, wenn er sich eigentlich gar nicht mehr bewegen kann. Ich bin sicher, dass er gegen Dänemark dabei ist.

Vor der Europameisterschaft hatten Sie gesagt, zehn oder gar elf der 16 Teams könnten den Titel holen. Gehörte Dänemark auch dazu?

Natürlich. Die Mannschaften sind heute so ausgeglichen, dass fast jeder jeden schlagen kann. Für mich waren die Franzosen ein ganz heißer Kandidat, und nun spielen sie nur um Platz fünf. Dänemark hat mit den Siegen über Russland und Schweden gezeigt, dass es zur absoluten Spitze gehört.

Im dänischen Kader stehen sechs Spieler aus der Bundesliga. Da müsste Ihnen deren Spielweise eigentlich bekannt sein.

Ich kenne die natürlich alle und habe die anderen ausgiebig auf Video studiert.

Was die Ausländer in der Bundesliga angeht: Sie hatten mal gesagt, die würden den deutschen Talenten die Plätze wegnehmen. So schlimm scheint es aber um die deutschen Talente nicht zu stehen.

Ich bleibe bei meiner Auffassung, auch wenn hier einige junge Spieler dabei sind. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass zu wenige junge deutsche Spieler in der Bundesliga Erfahrungen sammeln können. Wenn nach Athen Spieler wie Stefan Kretzschmar, Klaus-Dieter Petersen und Volker Zerbe aufhören, dann befürchte ich, dass nicht genügend Nachrücker da sind. Dann könnte es für den Handball in Deutschland bitter werden.

Das Gespräch führte Klaus Rocca.

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