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Sport: Die Stunde der Trickser

Bei der vierten Etappe des Volvo Ocean Race ums Kap Hoorn triumphieren die Favoriten

Berlin - Für die letzte halbe Seemeile benötigten sie über eine Stunde. Doch dann, nach 6700 Meilen durch den Südozean und rund um Kap Hoorn, überquerte die ABN Amro One in der Nacht auf Samstag als erste Yacht die Ziellinie in Rio de Janeiro. Auch auf der vierten Etappe des Volvo Ocean Race setzte sich das Favoriten-Team des niederländischen Bankenkonsortiums gegen seine vier Konkurrenten und die Youngster aus dem eigenen Stall durch. Mike Sanderson & Co führen nun in der Gesamtwertung mit 14 Punkten Vorsprung.

Unter dem Zuckerhut entspann sich bei lauen Winden ein erbitterter Kampf um die folgenden Plätze. Aufs Treppchen segelte die zuletzt glücklose Pirates of the Caribbean unter Skipper Paul Cayard, die mit einem Abstand von nur vier Stunden an der Copacabana eintraf. Eine halbe Stunde später gelangte ABN Amro Two ins Ziel. Überschwänglich begrüßt wurde auch die All-Star- Crew der Brasil 1. Obzwar nur auf dem vierten Rang, mussten sich die Männer um Olympialegende Torben Grael in heimischen Gefilden nur um 19 Minuten geschlagen geben. Die Ericsson aus Schweden sowie die spanische Movistar waren bei Redaktionsschluss noch unterwegs.

So weit die Ergebnisse. Über die Dramatik der letzten schweren Langstreckenprüfung auf dieser Weltumrundung sagen sie nichts aus. Oder nur so viel, dass die Ozeanhatz nach etlichen spektakulären Havarien und Ausfällen nun langsam einem Segelrennen zu ähneln beginnt. So durchpflügten die anfälligen Open-70-Racer auf ihrem Weg von Melbourne nach Rio den Südpazifik oft in Sichtweite voneinander. Wobei die ABN Amro One schon bald ihr beeindruckend konstantes Geschwindigkeitspotenzial entfaltete und die Führung übernahm. Wie an einer Perlenkette reihten sich die Verfolger auf, alle Versuche, nach Süden oder Norden auszureißen, brachten nichts. Mehrfach legte die Flotte bei harschen Weststürmen mehr als 500 Seemeilen pro Tag zurück, eine Strecke, die noch vor Beginn des Rennens jenseits der Reichweite von Einrumpfbooten gelegen hatte.

Beim Zwischenstopp im neuseeländischen Wellington luchste die Movistar der ABN Amro One einen Teilerfolg ab. Die beiden 21-Meter-Yachten kreuzten wie aneinander gekettet den Sund zwischen der Nord- und der Südinsel Neuseelands hinauf – und überquerten die Ziellinie im Abstand von neun Sekunden. So schwer haben es sich Kontrahenten bei dieser Hochseeregatta noch nie gemacht. Starskipper Cayard frohlockte, dass die neue Bootsklasse der Open 70 ihre „Kinderkrankheiten“ bald überwunden haben werde. Tatsächlich setzt der Yachttyp neue Maßstäbe. Die Videoschnipsel, die von den Teilnehmern auf der folgenden Etappe von Wellington zum Kap Hoorn aufgenommen wurden und im Internet unter volvooceanrace.com zu sehen sind, zählen zum Beeindruckendsten, was der Segelsport hervorgebracht hat. Man sieht die Schiffe mit weit über 20 Knoten die Wellen herabsurfen, das Wasser schießt beidseitig am Rumpf empor. Ständig bohrt sich das Gefährt in eine vorausrollende Welle, schlagen gewaltige Wassermassen aufs Deck, überspülen den Trimmer, der sich mit beiden Armen an seine Winschkurbeln klammert, um nicht fortgerissen zu werden.

Wie gefährlich dieses Reiten auf einer Rasierklinge ist, erfuhr die Ericsson, die bei vollem Tempo aus dem Ruder lief und sich beinahe überschlug. „Wir haben den Bugkorb zweimal zerstört“, hieß es von Bord der ABN Amro Two, „zwei Segel zerfetzt, als sie ins Wasser tauchten, eine ausgerenkte Schulter, ein kaputtes Steißbein, gestauchte Rückenwirbel, einen gebrochenen Handknochen und zahllose Prellungen.“ Damit kam die junge Crew, die bis auf Skipper Sebastien Josse zum ersten Mal an einem solchen Rennen teilnimmt, noch glimpflich davon. Schwerer erwischte es die Movistar. Das von Stardesigner Bruce Farr entworfene Boot hatte an aussichtsreicher zweiter Position liegend vor Kap Hoorn mit einem schweren Wassereinbruch zu kämpfen. „Wir sinken!“, alarmierte Skipper Bouwe Bekking die Rennleitung, als das Meer knietief durch den Carbon-Rumpf schwappte. Die Dichtungsklappen am Neigekiel hatten nachgegeben. Doch es gelang, die Pumpen anzuwerfen und einen Nothafen anzusteuern. „Wenn wir Ratten an Bord gehabt hätten“, sagte Bekking später, „wären sie ins Wasser gesprungen.“

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