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Sport: Die "unglaubliche Renaissance" der Sport-Diplomatie

BALTIMORE .Alles begann vor 133 Jahren.

BALTIMORE .Alles begann vor 133 Jahren.Seeleute aus den USA hatten ein paar Tage Landgang in Havanna.Sie vertrieben sich die Zeit, indem sie kubanischen Hafenarbeitern eine US-amerikanische Spezialität beibrachten: Baseball.Das vorläufige Ende der Geschichte kam am Dienstag morgen kurz vor halb eins.Kubas Nationalmannschaft schlug im ersten Aufeinandertreffen der Geschichte mit einem Team der nordamerikanischen Profi-Liga in den USA die Orioles aus Baltimore klar mit 12:6.Die graue Arbeiterstadt, 60 Kilometer nordöstlich von Washington gelegen, ertrank eine Nacht lang in Salsa, kubanischen Flaggen und Rum.

Dazwischen liegt nicht nur ein gutes Jahrhundert, dazwischen liegen vor allem 40 Jahre Kalter Krieg zwischen den USA und Kuba.So war das Sportereignis von Montag nacht zugleich heikle Sportpolitik.Vor 40 Jahren war zum letzten Mal ein US-Profiteam auf der Karibikinsel gewesen.Damals geisterte das Gerücht durch Amerika, man habe die Chance des Jahrhunderts verpaßt, als ein US-Profi-Team seine Offerte an einen jungen Werfer (Pitcher) namens Fidel Castro Anfang der 50er Jahre zurückzog.

Vor 30 Jahren hatte schon einmal ein US-Profiteam versucht, die Erlaubnis zum sportlichen Wettbewerb mit den Kubanern zu erhalten.Kein geringerer als Außenminister Henry Kissinger höchstpersönlich verbot die Begegnung.Die Kubaner gewannen dann zwar die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Atlanta, doch da waren die USA durch Unbekannte vertreten.Der erste richtige Baseball-Gipfel zwischen den verfeindeten Nationen, deren Einwohner längst vernarrt in den lederumhüllten Korkball sind, endete jetzt.Das Hinspiel am 28.März in Havanna gewannen die Orioles 3:2 in der Verlängerung, dem 11.Inning.

Dabei saß Fidel Castro neben Bud Selig, dem Präsidenten des US-Baseballverbandes, und räumte mit der ihn betreffenden Legende auf.Ein US-Journalist hatte Anfang der 60er Jahre die Mär von Castros verpaßter Profikarriere als Baseballer erfunden.Richtig ist indes, daß der Staatschef als Pitcher einst fast ebenso gut war wie als Basketballer und später als Revolutionär.

"Unser Außenministerium will das", erklärt Verbandschef Selig die Baseball-Diplomatie.Sie ist Teil des kultur- und sportpolitischen Abtastens zwischen der armen Insel und den reichen USA.Zum Hinspiel brachten die Orioles hunderte Helme und Trikots mit Namen mit - in Havanna hatten die Kubaner quasi anonym gespielt.Am Montag abend beim Rückspiel wurden sie erstmals namentlich bekannt.Die kubanische Delegation am Spielfeldrand, 300 Mann stark, umfaßte auch Sportheroen wie den früheren 400- und 800-m-Star Alberto Juantorena.

Sportlich gesehen überraschte die kubanische Überlegenheit nach dem knappen Ausgang des Hinspiels.Den Orioles geht es freilich schlecht in dieser Saison.Erst sieben mal haben sie gewonnen - und 17 mal verloren.Doch das Management hatte ausdrücklich die Devise ausgegeben, das Spiel so ernst wie ein Play-off-Finale zu nehmen.

Die Orioles versuchten es und gingen im ersten Inning gleich mit 2:0 in Führung.Im zweiten Inning traten die beiden Kubaner in Erscheinung, die der Insel letztlich den Sieg bringen sollten.Danel Castro schlug den Ball für ein Doppel ins Außenfeld.Die Orioles vertändelten mehrere Bälle, und Kuba lag rasch 6:3 in Führung.Daß die Orioles dem lange nichts entgegensetzen konnten, lag vor allem am Ersatz-Pitcher Norge Vera.Der in den USA völlig unbekannte 27jährige ersetzte schon im zweiten Inning Pitcher Jose Contreras, den Helden von Havanna - wie auch bei der Mannschaft aus Baltimore der Anfangs-Pitcher Scott Kamieniecki keine zwei Innings überstand.Vera ließ dann vom dritten bis achten Inning keinen einzigen Punkt für Baltimore und nur zwei Runs zu - die Orioles verbrauchten fünf Pitcher.

Danel Castro gelang im 9.und letzten Inning sein zweites Triple.Die vollbesetzten Basen nutzte Andy Morales für einen Homerun, mit dem er auf 9:3 erhöhte.Damit war die Luft aus dem Spiel, und Baltimore kam noch - erneut durch einen Homerun bei vollen Basen - auf 6:12 heran.

47 000 Zuschauer im ausverkauften Stadium in Baltimore sahen vor allem in der Schlußphase ein exzellentes Spiel.Ein Spiel, das ein Meilenstein in der Entkrampfung des Verhältnisses zwischen den USA und Kuba ist.Dabei war keineswegs sicher gewesen, daß aus dem Duell ein Fest werden würde.Vor dem Match hatte es Demonstrationen für und gegen die Begegnung gegeben.Exilkubaner fürchteten, Castro werde alles für das Prestige seines Regimes mißbrauchen.Befürworter wandten ein, eine Diplomatie der kleinen Schritte dürfe nicht endlos durch die große Politik blockiert werden.

Die US-Einwanderungsbehörde INS hatte im Stadion eigens Beamte stationiert, falls regimemüde Kubaner um Exil bitten sollten.Die US-Profiliga ist voller Kubaner - allein fünf verdienen als Pitcher in MLB-Teams ihr Geld.Und sie kommen auf bis zu eine Million Dollar im Monat - während es in Kuba rund 50 Dollar Monatslohn für Baseballstars gibt.Als vor einiger Zeit viele Kubaner mit Booten, die in teilweise hanebüchenem Zustand waren, übers Meer Richtung Florida flüchteten, gehörten zu den Insassen auch bekannte Baseballer.Einem 19jährigen Talent gelang dabei, nahezu mittellos, der Sprung in die USA.Er wurde sofort von einem Profiteam unter Vertrag genommen.Einige der besten, aber politisch unzuverlässigen Spieler von der Insel waren von den Funktionären bewußt daheim gelassen worden, um keinen Eklat zu riskieren.

Trotz des Verbots von Flaggen und politischen Parolen brachten hunderte Zuschauer beschriftetes Tuch mit.Doch nur ein einzelner Demonstrant rannte im 5.Inning auf das Spielfeld und hißte sein "Freiheit für Kuba"-Bettlaken.Ein Schiedsrichter warf sich auf ihn und rang ihn nieder, bis die Polizei ihn abführte.Im 9.Inning dagegen schallten "Kuba! Kuba!"-Sprechchöre durch das ganze Stadion.Bud Selig, der Verbandspräsident, freute sich "über diese unglaubliche Renaissance des Baseballs".Wobei dieses US-amerikanisch-kubanische Duell auch zeigte, wer Herr im Haus ist.Der etwas größere und wesentlich härtere US-Ball wurde benutzt.Und statt kubanischer Alu-Schläger kamen die US-amerikanischen aus Holz zum Einsatz.

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