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Im Schatten ihrer selbst. Die Tour de France steht nach dem jüngsten Dopingskandal für viele Jahre ohne Sieger da. Foto: dpa

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Sport: Die verflixten Sieben

Armstrongs Tour-Siege werden nicht neu vergeben. Kritik gibt es auch daran.

Berlin - Es war nicht mehr überraschend, was der Radsport-Weltverband UCI in Genf nach einer Sondersitzung zu verkünden hatte. Historisch war es dennoch. Bereits am Montag entschied die UCI, Lance Armstrong wegen nachgewiesenen Dopings seine sieben Tour-de-France-Titel abzuerkennen, am Freitagnachmittag nun legte sie nach: Es wird keine Nachrücker geben, die Siegerlisten werden von 1999 bis 2005 ohne einen Erstplatzierten neu gedruckt. Zudem muss Armstrong die eingestrichenen Preisgelder zurückzahlen, immerhin rund drei Millionen Euro. Jan Ullrich, der bei einer anderen Entscheidung der UCI vierfacher Tourgewinner geworden wäre, wollte sich am Freitag auf Nachfrage nicht weiter äußern. Er hatte bereits zuvor angekündigt, auf die Titel keinen Wert zu legen.

Helmut Digel, Sportsoziologe und Ehrenpräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, lobte die UCI-Entscheidung. „So wird dem Radsport kein weiterer Schaden zugefügt. Das wäre der Fall gewesen, wenn überführte Dopingsünder nachgerückt wären“, sagte Digel dem Tagesspiegel.

Doch hatte die UCI überhaupt eine Wahl? Nahezu alle topplatzierten Fahrer hinter Armstrong wurden entweder in ihrer Karriere wegen Dopings gesperrt oder tauchen auf den Kundenlisten der inzwischen gesperrten Dopingärzte Michele Ferrari und Eufemiano Fuentes auf. Man muss in den Siegerlisten dieser Jahre weit nach unten schauen, um mit Fernando Escartin (2000) und Cadel Evanes (2005) auf dem jeweils achten Platz zwei Fahrer zu finden, denen bislang keinerlei Dopingverdächtigungen anhaften. Angesichts dieser Sachlage wären Nachrücker der Öffentlichkeit nur schwer zu verkaufen gewesen. „Es gibt vermutlich nur ganz wenige Ausnahmen, die man in dieser Zeit als sauber bezeichnen kann“, sagte auch Helmut Digel. In der Erklärung der UCI hieß es dazu: „Es bleibt ein Schatten von Verdächtigungen über dieser dunklen Ära – auch wenn es für saubere Fahrer hart ist, werden sie verstehen, dass ein Nachrücken wenig ehrenvoll wäre.“

Der Sportanwalt Michael Lehner ist anderer Ansicht. Eine ehrlichere Entscheidung wäre gewesen, die Zweitplatzierten nachrücken zu lassen: „Die UCI hätte ihre Hilflosigkeit offen legen und sagen sollen: ‚Nach den bestehenden Regeln hatten wir keine andere Wahl'. Nun sind alle anderen Fahrer auch im Verdacht – und das vom eigenen Verband“, sagte Lehner.

In der Tat wird ein Grundprinzip rechtsstaatlicher Strafverfahren in Frage gestellt. Die Unschuldsvermutung besagt, dass ein Angeklagter so lange als unschuldig gilt, bis ihm eine Straftat nachgewiesen wird. Übertragen auf die UCI-Entscheidung heißt das: Nicht nur Armstrong, sondern jeder Tour-de- France-Fahrer zwischen 1999 und 2005 war gedopt.

UCI-Präsident Pat McQuiad macht trotz all dieser Widersprüchlichkeiten und trotz der zwielichtigen Rolle seines Verbandes in der Causa Armstrong weiterhin keine Anstalten, seinen Platz zu räumen. Die UCI kündigte am Freitag nur an, eine „unabhängige Untersuchungskommission“ einsetzen zu wollen. Details dazu soll es Anfang November geben.

Dennoch glaubt Sportsoziologe Digel nicht, dass eine glaubhafte und konsequente Aufarbeitung der Vergangenheit vorgenommen werden wird. „Dieser Skandal ist typisch für die Geschichte des Dopingbetruges: Für eine kurze Zeit wird eine neue Entwicklung überall thematisiert. Sobald sie für die Öffentlichkeit nicht mehr attraktiv genug ist, wird sie vergessen“, sagte Digel. „Danach geht es so weiter wie zuvor und man wartet auf den nächsten Skandal.“

Die ständig wiederkehrende Verkündung eines Neuanfangs im Radsport durch nationale wie internationale Funktionsträger scheint zudem vergeblich zu sein. So kehrt mit Rolf Aldag ein Mann zurück in den Rennzirkus, der als aktiver Fahrer selber Epo-Doping gestanden hatte. Nach der Auflösung des Teams HTC High Road Ende 2011, bei dem Aldag Manager war, begründete er seinen Rückzug aus dem Radsport mit einer unveränderten Dopingproblematik. Umso erstaunlicher, dass er gerade jetzt zurückkehrt. Aldag wird Manager beim Tony-Martin-Team Quick Step. Dort soll er unter anderem die Rennprogramme der Fahrer optimieren. Nicolas Diekmann

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