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Sport: Die verhinderten Weltmeister von der Saar

Vor 50 Jahren spielte das Saarland gegen Deutschland um die Qualifikation für die Fußball-Weltmeisterschaft 1954

Herbert Martin lacht etwas gequält über das Gedankenspiel. „Die Vorstellung ist schon schön, dass ich 1954 in der Weltmeisterelf hätte stehen können. Aber die Politik ist eben erbarmungslos.“ Dann lächelt er nicht mehr.

Martin tauchte wegen ausgezeichneter Leistungen in der Oberliga Südwest ebenso wie Herbert Binkert und Kurt Clemens im Vorfeld der Weltmeisterschaft im legendären Notizbuch Sepp Herbergers auf – mit guten Beurteilungen. Doch es nützte nichts. Der rechte Halbstürmer hatte nie eine Chance, Max Morlock von dieser Position in der Weltmeister-Elf zu verdrängen. Denn Martin, Binkert und Clemens waren Saarländer; sie spielten statt in Herbergers Elf in der Auswahl des Saarlandes. Während der Qualifikationsrunde zur Weltmeisterschaft traten sie gar gegen die Deutschen an – und scheiden aus.

Vor 50 Jahren, am 11. Oktober 1953, standen sich die beiden Teams in Stuttgart im ersten von zwei Qualifikationsspielen gegenüber. Deutschland gewann das Spiel damals 3:0 und schuf damit eine der Grundvoraussetzungen für das spätere Wunder von Bern. Im Rückspiel am 28. März 1954 lösten Herbergers Mannen mit einem 3:1-Sieg im Saarbrücker Ludwigspark dann endgültig das Ticket für das große Turnier in der Schweiz. Herbert Martin schoss immerhin das einzige Tor für das Saarland.

Das kleine Land im Südwesten der heutigen Bundesrepublik war von 1945 bis 1956 in Folge des Zweiten Weltkriegs ein eigenständiger Staat unter der Aufsicht der französischen Besatzer. Der Fußball war damals das populärste Mittel der Politiker, um für die endgültige Trennung des Saarlands von Deutschland zu werben. „Die Fußballer wurden instrumentalisiert. Sie profitierten von großzügiger finanzieller Unterstützung des französischen Hohen Kommissars Gilbert Grandval und des saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann“, sagt der Historiker Wolfgang Harres. Er hat das Buch „Sportpolitik an der Saar zwischen 1945 und 1957“ geschrieben und die Abhängigkeiten von Sport und Politik untersucht.

Der 1. FC Saarbrücken wurde mit erheblichem finanziellen Aufwand in die zweite französische Profiliga integriert. Kommissar Grandval soll nach Erkenntnissen von Wissenschaftler Harres sogar Bestechungsgelder gezahlt haben, damit AS Angoulême zugunsten der Saarbrücker auf die Lizenz verzichtete. Als später die Aufnahme der Saarbrücker in die höchste Spielklasse am Widerstand des elsässischen Rivalen aus Straßburg scheiterte, gaben die Machthaber auch die Politik des schleichenden Anschlusses des Saarlands an Frankreich auf.

Fritz Walter hatte Angst

In der Folge stand die Stärkung eines autonomen Saargebiets auf der Agenda der Politik. Erneut übten sich die Sportfunktionäre in vorauseilendem Gehorsam. 1952 nahm das Saarland an den Olympischen Spielen teil, 1953 meldete der Saarländische Fußball-Bund unter dem Vorsitz des späteren DFB-Präsidenten Hermann Neuberger eine Mannschaft für die Qualifikationsspiele zur Fußball-Weltmeisterschaft. Da war bereits abzusehen, dass es zum politisch brisanten Duell mit den Deutschen kommen würde. Denn die Qualifikationsgruppen wurden damals aus Kostengründen nach regionalen Gesichtspunkten eingeteilt. Das Spiel war nach Einschätzung von Harres das Ergebnis „kluger Sportpolitik einer französisch-saarländischen Classe politique, die die Akzeptanz des Saarstaates fördern wollte“. Besser als mit diesem Spiel gegen Deutschland wäre das niemals gegangen.

Für die deutschen Kicker war die Begegnung ähnlich brisant wie für die Funktionäre und Politiker. Vor allem die so zahlreich in Herbergers Gunst stehenden Spieler des 1. FC Kaiserslautern, Fritz und Ottmar Walter sowie Horst Eckel, Werner Liebrich und Werner Kohlmeyer, kannten die Saarländer nur allzu gut. Seit 1951 spielten die führenden Clubs der Nachbarregion aus sportlichen Gründen zusammen mit den Lauterern in der Oberliga Südwest. Jahr für Jahr wurden die Begegnungen zwischen den Pfälzern und dem 1. FC Saarbrücken vor allem für Fritz Walter zu einem Spießrutenlauf. Der sensible Kapitän der Nationalmannschaft fürchtete seinen hart einsteigenden Gegenspieler Waldemar Philippi so sehr, dass er einmal in Saarbrücken das Trikot erst überstreifte, als bekannt wurde, dass Philippi wegen einer Verletzung nicht antritt. So erzählte es jedenfalls Walters Mannschaftskamerad Horst Eckel.

Das Saarland flößte aber auch Sepp Herberger Respekt ein. Der 1. FC Saarbrücken, der in beiden Spielen gegen Deutschland zehn der elf Spieler stellte, scheiterte schließlich 1952 erst im Finale um die deutsche Meisterschaft am VfB Stuttgart. Zudem war Herberger Augenzeuge des 3:2-Siegs des Saarlands in Norwegen zum Auftakt der WM-Qualifikation. Seine Elf erreichte zwei Wochen später dort lediglich ein 1:1-Unentschieden. Zu allem Überfluss saß auf der Trainerbank der Saarmannschaft Herbergers ehemaliger Schützling und späterer Nachfolger Helmut Schön.

Die Verlierer weinten nicht

Herberger zog aus all seinen Erkenntnissen im Vorfeld der Stuttgarter Begegnung die erstaunliche Konsequenz, auf das Kaiserslauterer Korsett seiner Elf zu verzichten – Fritz Walter hätte freilich gespielt, wäre er nicht am Vorabend erkrankt. „Herberger hat uns Lauterer wohl draußen gelassen, weil er fürchtete, dass die Saarbrücker uns zu gut kennen“, glaubt Horst Eckel, der kurz vor der Pause immerhin noch eingewechselt wurde. Mehr glücklich als souverän gewannen sieben der späteren Helden von Bern die Partie mit 3:0. „Ich weiß noch heute, dass ich nach beiden Niederlagen nicht richtig unglücklich war. Ich fühlte mich als Deutscher und wollte der Elf, in der ich als kleiner Bub immer spielen wollte, nicht den Weg in die Schweiz verbauen“, sagt der Saarländer Kurt Clemens. Und: „Wir hätten bei der WM ohnehin keine Chance gehabt.“

Stattdessen fuhren die stolzen Verlierer auf Einladung ihres Verbands als Zuschauer zum Endspiel nach Bern. „Wir haben die deutsche Mannschaft angefeuert und den Sieg bejubelt“, erzählt Herbert Binkert, damals Kapitän des Saarlands. Am Morgen nach dem Spiel sind die Saar-Spieler gar ins deutsche Mannschaftshotel nach Spiez gefahren. „Da haben wir den Kameraden gratuliert und einen mit denen getrunken“, erinnert sich Herbert Martin. Dieser Geste der Nähe zu den deutschen Fußballkameraden folgte im Jahr nach der Weltmeisterschaft die deutliche Ablehnung der saarländischen Souveränität im Referendum. Historiker führen dieses Ergebnis zum Teil auf das Wunder von Bern zurück. Doch für die möglichen Saarbrücker Weltmeister Binkert, Clemens und Martin wartete die Nachkriegsgeschichte zu lange mit ihrer Entscheidung.

Daniel Meuren

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