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Sport: Die Wahrheit der Berge

Warum der Tourfavorit Lance Armstrong in den Alpen seine Chance sieht, sich einen beruhigenden Vorsprung zu verschaffen

Lyon. Alessandro Petacchi sorgte gestern bei den Tour-de-France-Organisatoren für Ärger, als er nach seinem dritten Etappensieg andeutete, dass er womöglich nicht mehr viele Tage dabei sein werde. Seit Jahren liegt die Firma Amaury Sports, die die Tour ausrichtet, aus genau diesem Grund im Clinch mit dem unumstrittenen Star unter den schnellsten Radsprintern: Mario Cipollini. Dieser pflegte in der ersten Woche die Tour als Bühne zu benutzen, seine Sprint-Etappen zu gewinnen und dann, beim ersten Hügel, theatralisch aufzugeben und nach Hause zu fahren. Nicht zuletzt deshalb wird Cipollini von Tourchef Jean Marie Leblanc nicht mehr eingeladen. Und jetzt kommt ein anderer Italiener und wird wahrscheinlich das Gleiche machen.

Ab heute ist die Tour de France eine andere. Auf den Flach-Etappen folgte die Rundfahrt einem festen Drehbuch: Früh am Tag formierte sich eine Ausreißergruppe von zumeist unbekannten Fahrern. Je näher das Ziel rückte, desto konzentrierter versuchten die Teams der schnellen Männer, diese Ausreißer einzufangen, damit es zum Endkampf auf der Zielgeraden kommt. Die Favoriten für die Gesamtwertung hielten sich heraus, rollten im Hauptfeld mit und versuchten, die Spurts unbeschadet zu überstehen.

Doch jetzt kommt ihre Zeit. In den Bergen wird die Tour entschieden. Das weiß auch Tourfavorit Lance Armstrong und hat einige der besten Kletterer der Welt auf der Lohnliste seines Teams US Postal: Chechu Rubiera, Roberto Heras und Manuel Beltran sollen ihm helfen, in den nächsten Tagen einen beruhigenden Vorsprung herauszufahren. „Chechu und Manuel sollen für mich die Berge anfahren“, sagt Armstrong. Wenn am Fuß eines Passes eine Führungsgruppe von vielleicht 30 Fahrern übrig ist, sollen diese beiden sich an die Spitze setzen und das Tempo anziehen, damit mehr als die Hälfte der Fahrer nicht mehr mithalten kann.

Roberto Heras ist die zweite Stufe von Armstrongs Raketentheorie. Wenn Rubiera und Beltran die Kräfte verlassen, ist der Sieger der Spanien-Rundfahrt aus dem Jahr 2001 gefordert, das Tempo zu erhöhen und möglichst mit Armstrong alleine in Richtung Ziel zu stürmen. Auf diese Art gewann Armstrong im vergangenen Jahr in den Pyrenäen die Tour de France.

Natürlich werden viele Mannschaften und Fahrer versuchen, diese Pläne zu durchkreuzen. Jan Ullrich wird mit seinem Adjutanten Angel Casero dagegenhalten, ebenso Joseba Beloki oder Gilberto Simoni oder das Team Telekom mit Alexander Winokurow und Santiago Botero. Glaubt man diversen Ankündigungen, wollen Armstrongs Widersacher in diesem Jahr nicht bis zum letzten Anstieg warten, um sich dort abhängen zu lassen, sondern vielleicht schon auf der vorletzten Pass-Straße ihr Glück versuchen. Allerdings, räumte Santiago Botero ein, kann man einem körperlich überlegenen Armstrong mit keiner Taktik der Welt beikommen. Die Berge decken schonungslos die wahren Kräfteverhältnisse auf.

Rainer Guareschil

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