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Sport: Die Zeiten der Millerntor-Romantik sind vorbei

Der FC St. Pauli kämpft gegen Ruin, Abstieg und teils gegen sich selbstJulia Möhn Am Anfang der Woche strahlte noch einmal die Vergangenheit in die düstere Gegenwart: Volker Ippig kehrt als Torwarttrainer zum FC St.

Der FC St. Pauli kämpft gegen Ruin, Abstieg und teils gegen sich selbstJulia Möhn

Am Anfang der Woche strahlte noch einmal die Vergangenheit in die düstere Gegenwart: Volker Ippig kehrt als Torwarttrainer zum FC St. Pauli zurück. Ippig ist für St. Pauli-Anhänger das, was Franz Beckenbauer für Fans des FC Bayern darstellt: ein lebendes Symbol für alles, was den Verein verehrenswert macht. Als zeitweiliger Bewohner der besetzten Häuser an der Hamburger Hafenstraße und Entwicklungshelfer in Nicaragua erfüllte Torwart Ippig in seiner aktiven Zeit von 1981 bis 1991 die Sehnsüchte nach einem anderen Fußball. Nach einem Verein, der sich weniger als andere am kommerziellen Erfolg orientiert.

Doch Ippigs Rückkehr in die Profimannschaft - das Gehalt des rückengeschädigten 37-Jährigen bezahlt die Berufsgenossenschaft - fällt in eine Zeit, da der FC St. Pauli sich um nichts weniger sorgt als um die romantischen Sehnsüchte seiner Anhänger. Der Gegner von Tennis Borussia am Sonntag ist 14. der Zweiten Liga, und er ist ein Verein im Umbruch, der sich längst auf keine gemeinsame Leitfigur mehr einigen kann. Auf und neben dem Spielfeld kämpft der Verein: gegen den wirtschaftlichen Ruin, gegen den sportlichen Abstieg, und teils gegen sich selbst.

Zum 15. März müssen beim Deutschen Fußball Verband (DFB) die Lizenz-Unterlagen eingereicht werden. "Wir haben Panik vor diesem Tag", sagt Holger Scharf, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft interessierter Mitglieder (AGiM), einem Zusammenschluss von Vereinsmitgliedern: "Der Verein hat keine Perspektive, von den Schulden runterzukommen. Vielleicht erhalten wir keine Lizenz." Der Schuldenstand liegt etwa bei sechs Millionen Mark, die Mannschaft hat noch keinen Hauptsponsor für die nächste Saison. Seit gestern hat der Verein immerhin wieder einen Ausrüster: Die italienische Sportartikelfirma Kappa unterschrieb bis 2003 und zahlt neben Sachleistungen annähernd 200 000 Mark.

Vor allem aber bleibt der Beginn des Stadionneubau zum Ende dieser Saison fraglich. Das seit zehn Jahren geplante Projekt von Heinz Weisener, Architekt von Beruf und Präsident des Vereins, gilt als einzige Überlebenschance. Das Stadion am Millerntor ist marode, es kostet pro Jahr über eine halbe Millionen Mark Unterhalt. Der Neubau aber ist mit einem Volumen von 120 Millionen Mark nur mit Zuschüssen der Stadt und einem Vermarkter realisierbar. Beides fehlt: Verhandlungen mit den Rechte-Verwertern "Kinowelt", der ISPR und SportA sind nicht abgeschlossen. Die AGiM forderte den Rücktritt des Präsidenten. "Wir denken, dass er selbst nicht mehr an den Baubeginn glaubt", sagt Scharf. Auch hätte Weisener interessierte Investoren vergrault. Bei der nächsten Jahreshauptversammlung im Oktober wird der 71-Jährige nach zehn Jahren im Amt nicht mehr antreten.

Zum hohen Schuldenstand hat auch der zu teure Kader beigetragen, den St. Pauli seit dem Bundesligaabstieg 1997 immer hatte. "Wir müssen endlich realistisch planen", sagt Stephan Beutel, Leiter der Lizenzabteilung: "Man kann nicht mehr so tun, als könne man sich einen Ferrari leisten." Viele Spieler hatten nach dem Abstieg noch einmal langfristige, zu hoch dotierte Verträge erhalten, die kaum Spielraum für neue Verpflichtungen ließen. Eingereicht wird nun ein Etat von etwa 6,5 Millionen Mark. Damit wäre St. Pauli im unteren Drittel der Zweiten Liga und nur noch bedingt konkurrenzfähig. Leistungsträger wie Marcus Marin werden gehen, der Vertrag von Trainer Willi Reimann läuft aus. Mit den Spielern sind noch keine Vetragsgespräche geführt worden. Götz Weisener, Leiter des Marketing-Bereichs, fürchtet vor allem psychologische Folgen der Etatkürzungen: "Man kann zwar immer mit dem Erfolg von Unterhaching argumentieren, der mit wenig Geld geschaffen wurde. Aber hier waren die Spieler einfach gewisse Gehälter gewöhnt." Beim Werben um einen Hauptsponsor kann der Sohn des Präsidenten jetzt nur mit den Image-Werten des Vereins argumentieren: "Sportliche Perspektiven können wir wenige bieten."

Das letzte Kapital des Vereins sind also ehemalige Spieler wie Volker Ippig, die das Image des einstigen Kultklubs repräsentieren. Im Jugendbereich arbeiten mit Dirk Zander und Jürgen Gronau bereits andere Spieler aus der erfolgreichen Mannschaft der achtziger Jahre. Ippig hat seinen Wert bereits erkannt. An seinem ersten Arbeitstag sagte er zu Journalisten, er sei ein "All-in-One-Paket" für den Verein: "Ich arbeite, koste nichts und bin werbewirksam."

Julia Möhn

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