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Sport: Diesmal wird nicht geheult Ballack will endlich ohne Tränen durchs Halbfinale

Man muss es an dieser Stelle leider feststellen: Michael Ballack hat keine Ahnung von Fußball. Als der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft vor der Europameisterschaft gefragt wurde, wer denn für ihn die Favoriten auf den Turniersieg seien, hat er vier Mannschaften genannt: Frankreich, Portugal, Italien und Kroatien.

Man muss es an dieser Stelle leider feststellen: Michael Ballack hat keine Ahnung von Fußball. Als der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft vor der Europameisterschaft gefragt wurde, wer denn für ihn die Favoriten auf den Turniersieg seien, hat er vier Mannschaften genannt: Frankreich, Portugal, Italien und Kroatien. Alle vier sind schon im Halbfinale nicht mehr dabei, und besonders im Fall der Italiener findet Ballack das bedauerlich. Nicht weil sie ihm den Tipp kaputt gemacht haben, sondern weil er wie viele wohl das Gefühl hatte, dass mit Italien noch eine Rechnung begleichen zu müssen. Vor zwei Jahren bei der Weltmeisterschaft in Deutschland beendeten die Italiener mit zwei Toren kurz vor Ende der Verlängerung den Traum vom WM-Titel. Im Halbfinale. „Das belastet uns nicht“, sagt Ballack. „Das motiviert uns.“

Michael Ballack wird heute gegen die Türkei sein drittes Halbfinale für die Nationalmannschaft bestreiten, und man kann nicht behaupten, dass das Verhältnis zwischen Ballack und dem Halbfinale bisher völlig spannungsfrei verlaufen wäre. Jedesmal wenn sie sich bei großen Turnieren bisher begegnet sind, bei der WM 2002 und 2006, endete es mit Tränen. Vor sechs Jahren in Seoul war Ballack noch der tragische Held. Im Halbfinale gegen Südkorea sah er nach einem taktischen Foul seine zweite Gelbe Karte, er wusste, dass er im Endspiel gesperrt sein würde – und kurz darauf erzielte er das Tor zum 1:0-Sieg.

Vier Jahre später schafften es die Deutschen nicht einmal ins Finale. „Na ja, es soll halt nicht sein“, sagte Ballack nach dem 0:2. „Es ist – bitter.“ Auf den Videowänden im Westfalenstadion war nach dem Abpfiff sein Gesicht zu sehen. Ballack hatte ein italienisches Trikot in der Hand. Er weinte. Selbst später, bei den Interviews, kämpfte er noch mit den Tränen. Er schaffte es nicht.

Das Halbfinale ist mehr als nur ein weiteres K.-o.-Spiel, es ist das Endspiel vor dem Endspiel. Oft markiert es die psychologische Grenze zwischen Erfolg und Misserfolg. Der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann hat vor zwei Jahren ganz deutlich gesagt, ein Aus im Viertelfinale, selbst gegen Argentinien, würde er als Enttäuschung empfinden. Erst mit dem Einzug ins Halbfinale konnte Klinsmann auf eine positive Leistungsbilanz verweisen.

Die Deutschen sind die einzige Mannschaft, die es sowohl vor zwei Jahren bei der Weltmeisterschaft als auch jetzt bei der EM unter die letzten vier geschafft haben. Überhaupt lässt sich die traditionelle Stärke des deutschen Fußballs auch daran ablesen, wie oft die Nationalmannschaft im Halbfinale eines großen Turniers stand: heute zum insgesamt 16. Mal seit der ersten WM-Teilnahme 1934. Zehnmal davon haben die Deutschen gewonnen, und manche dieser Spiele zählen längst zum Mythenschatz des deutschen Fußballs.

Da war das Jahrhundertspiel, das Halbfinale der WM 1970 zwischen Deutschland und Italien in Mexiko-Stadt. In letzter Minute glichen die Deutschen die Führung der Italiener aus, in der Verlängerung gingen sie 2:1 in Führung, gerieten erneut in Rückstand, schafften das 3:3 – und verloren 3:4.

Bei der EM 1976 lag die Nationalmannschaft schon 0:2 gegen Gastgeber Jugoslawien zurück, beim Stand von 1:2 wechselte Bundestrainer Helmut Schön den 20 Jahre alten Dieter Müller ein. Nach 40 Sekunden traf Müller zum 2:2, auch die beiden Tore in der Verlängerung erzielte er – in seinem ersten Länderspiel überhaupt.

Kaum weniger dramatisch ging es bei der WM 1982 in Sevilla zu, als Deutschland und Frankreich um den Einzug ins Finale kämpften. Die Franzosen mit den überragenden Fußballern Platini, Giresse und Tigana führten in der Verlängerung 3:1, Karl-Heinz Rummenigge verkürzte zum 2:3, ehe Klaus Fischer die Deutschen ins Elfmeterschießen rettete – mit einem Fallrückziehertor.

Heute haben die Deutschen die Chance, die Geschichte fortzuschreiben und zum sechsten Mal ein EM-Finale zu erreichen. „Ich bin sehr, sehr ruhig“, sagt Michael Ballack. „Ich freu mich.“ Eins muss er jedenfalls nicht befürchten: dass er nach einer Gelben Karte fürs Finale gesperrt ist. Seine Verwarnung aus der Vorrunde wurde nach dem Viertelfinale gestrichen.

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