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Sport: Dieter Baumann war einmal der größte Kämpfer gegen Doping. Heute lastet der Verdacht auf ihm selbst.

Doch der Läufer hat mächtige Verteidiger. Das verbittert andere Sportler, die wegen Dopings gesperrt wurden.

Doch der Läufer hat mächtige Verteidiger. Das verbittert andere Sportler, die wegen Dopings gesperrt wurden.Jörg Wenig

Christoph, ist das wahr?" Armin Baumert klang nüchtern und sachlich, in seiner Stimme war nichts zu spüren von Überraschung oder gar Aufregung. Dabei hatte Christoph Kopp, der Präsident des Berliner Leichtathletik-Verbandes, während einer Reise zu einem Halbmarathonlauf nach Palermo nicht etwa den Wetterbericht verlesen, sondern den offenbar größten Dopingskandal in der deutschen Sportgeschichte verkündet: den Fall Dieter Baumann. Hobbyfilmer Armin Baumert hat die Szene vor der Kathedrale mit seiner Videokamera festgehalten, aus dem Off hört man seinen eigenen Kommentar. Der Leistungssport-Direktor des Deutschen Sport-Bundes (DSB) filmt vor der Kathedrale von Palermo ein Denkmal, und in diesem Augenblick beginnt ein anderes Denkmal zu bröckeln.

Warum aber diese verhaltene Reaktion, warum kein Aufschrei? "Ich habe schon von vielen Spekulationen gehört - auch der Name Baumann war darunter", sagt Armin Baumert und fügt hinzu: "Wenn ein deutscher Sportler in der Weltspitze dabei ist, dann gibt es immer gewisse Spekulationen. Ich kann nicht überrascht sein und kann kein Mitleid haben."

Vernichtende Kommentare

Armin Baumert kennt die LeichtathletikSzene wie kaum ein Zweiter. Der frühere Weitspringer arbeitete als Trainer und leitete acht Jahre den Berliner Olympiastützpunkt, bevor er beim DSB einer der höchsten deutschen Sportfunktionäre wurde. Der 56-Jährige gilt als fair und ausgewogen, als ein Mann mit Über- und Weitblick. Auch im Fall Dieter Baumann bleibt Armin Baumert seiner ausgewogenen Linie treu: "Noch gilt die Unschuldsvermutung - erst muss die Analyse der B-Probe abgewartet werden." Doch wäre es eine kleine Sensation, wenn die bevorstehenden Analysen andere Ergebnisse hervorbringen würden als jene der A-Proben. Bei zwei verschiedenen Proben wurde in Baumanns Urin das anabole Steroid Nandrolon in verboten hoher Dosis nachgewiesen. Ein klarer Befund, Verfahrensfehler scheinen ausgeschlossen.

Der Fall Dieter Baumann polarisiert. Die einen sehen in dem 5000-Meter-Olympiasieger von 1992 nach wie vor das tadellose sportliche Vorbild. Nie würden sie ihm, der sich jahrelang im Kampf gegen Doping engagierte, zutrauen, selbst derartige Substanzen zu gebrauchen. Es kann nur unbewusst passiert sein. Das hält auch der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Helmut Digel, für die einzig mögliche Erklärung. Er ist mit Baumann eng verbunden, vergoss Tränen um ihn. Die anderen sehen in dem 34-jährigen Athleten den größten Heuchler der deutschen Sportgeschichte.

Doch es gibt noch ein weiteres Problem. Der Fall Baumann ist kein Dopingfall wie viele andere, obwohl das vorgeschriebene Verfahren peinlich genau eingehalten wurde: Nach der positiven A-Probe wurde der Läufer suspendiert. Armin Baumert, der Basisarbeit betrieben hat, um Ost und West nach der Wende zusammenzuführen, warnt: "Die Gefahr, dass Gräben wieder aufgerissen werden, ist groß, weil der Eindruck erweckt wird, dass dieser Fall anders behandelt wird als andere." Wer in der Vergangenheit positiv getestet wurde, der galt mit dem Bekanntwerden der positiven A-Probe als erledigt. Daran hat der DLV ebenso seinen Anteil wie Baumann selbst. Unterstützung vom Verband durften die Athleten nicht erwarten, und Baumann war oft einer der ersten, der vernichtende Kommentare abgab.

Jetzt bietet der Verband Baumann bei der Suche nach Unschuldsbeweisen Hilfe an - das ist einmalig und deswegen unglaublich. So gibt es Meldungen, wonach im Kölner Dopinglabor nun sogar Lebensmittel und Getränke Baumanns auf Nandrolon-Spuren untersucht werden. Es hat den Anschein, als suche der Verband dringend entlastende Umstände, um das Bild vom unschuldigen Sportler Dieter Baumann zu retten.

Im Fall Uta Pippig argumentierte der Verband erst vor wenigen Monaten, die Verantwortung für das, was der Athlet zu sich nehme, liege ausschließlich bei ihm. Kein Dopinglabor hatte der Marathon-Läuferin damals angeboten, in ihren Lebensmitteln nach verbotenen Substanzen zu forschen. Die Berlinerin dürfte eine sechsstellige Dollarsumme investiert haben für wissenschaftliche Gutachten, die übereinstimmend besagen, dass ihr erhöhtes Testosteron/Epitestosteron-Verhältnis durchaus mit einer Erkrankung zusammenhängen könnte. Die Gutachten haben den Verband nicht interessiert, die behandelnden Ärzte wurden bis heute nicht konsultiert. Uta Pippig wurde für zwei Jahre gesperrt - überführt mit einer Nachweismethode, die heute noch nicht anerkannt ist. Eineinhalb Jahre nach dem positiven Test, fast fünf Monate nach dem Urteil wartet sie immer noch auf die Urteilsbegründung durch den DLV-Rechtsausschuss. "Ich bin total betroffen, wie mein Fall insgesamt behandelt wurde und bis heute noch nicht aufgeklärt ist", sagt Uta Pippig.

Wäre ein solches Verfahren undenkbar im Fall Baumann? Uta Pippig, die zurzeit in Neuseeland trainiert, um nach Ende der Sperre im April wieder starten zu können, hält sich zurück, sagt aber: "Es sieht ja jetzt wirklich so aus, dass für gewisse Athleten andere Rechte gelten. Wie soll man da Vertrauen aufbauen?"

Einer, der allen Grund zu kritischen Bemerkungen hätte, ist Stéphane Franke. Als Läufer macht er Dieter Baumann Konkurrenz, als Trainer dessen Frau Isabelle, die ihren Mann betreut. Nachdem Franke bei den Europameisterschaften 1998 plötzlich das Gespann Baumann in den Schatten gestellt hatte, weil er den Berliner Hindernisläufer Damian Kallabis zum Sensationssieg geführt hatte, musste er sich massiver Dopingvorwürfe erwehren - obwohl weder er noch Kallabis jemals positiv getestet worden sind. Baumann ließ keine Gelegenheit aus, seinem Kollegen entsprechende Seitenhiebe zu verpassen. Der DLV sah zu. "Mich hat nie jemand vom Verband angerufen, geschweige denn Hilfe angeboten", sagt Franke.

Die Beine weggehauen

Den Umgang mit Doping-Vorwürfen hat Armin Baumert einmal so beschrieben: "Kein anderes Land beschmutzt seine Athleten derart." Der DLV ließ das geschehen - bis es jetzt Dieter Baumann erwischt hat. Franke bleibt trotzdem fair: "Für mich gilt zunächst einmal die Unschuldsvermutung. Ich will nicht Gleiches mit Gleichem vergelten." Die Handhabung des Falles durch den DLV ärgert ihn jedoch: "Bei Uta Pippig und in anderen Fällen war der DLV nicht so kulant, sondern recht rigoros." Für Stéphane Franke ist die Vorgehensweise des DLV absurd. "So wie sich das Präsidium jetzt äußert, kann es nicht mein Präsidium sein. Die Öffentlichkeit wird mit Argumentationsketten getäuscht."

Noch deutlicher wird Jürgen Tiedtke, der Vater und Trainer der 1995 für zwei Jahre gesperrten Weitspringerin Susen Tiedtke. Der Berliner attackiert den DLV-Präsidenten Helmut Digel scharf: "Entweder es gibt einen Präsidenten für alle oder nur einen für Baumann." Besonders im Osten Deutschlands kochen die Emotionen inzwischen hoch. "Mich haben jetzt viele angerufen. Und alle waren der Meinung, wenn das ein ostdeutscher Athlet gewesen wäre, hätten sie ihm die Beine weggehauen", sagt Tiedtke. Eigentlich wollen Tiedtkes nicht gerne an die Situation erinnert werden, als im Urin der Weitspringerin das Anabolikum Oral-Turinabol gefunden wurde. Doch wenn Jürgen Tiedtke nach einigem Zögern doch darüber spricht, spürt man, wie groß die Verbitterung gegenüber dem DLV noch heute ist. "Susen ist jeglichen Rechts beraubt worden. Wir wurden erpresst", sagt er. Auch die Athletin selbst, die bei der WM im August Siebte war, reagiert allergisch auf die Handhabung des Falles: "Digel bietet einem positiv getesteten Athleten Hilfe an - mir hat man damals nur Knüppel zwischen die Beine geworfen", klagt Susen Tiedtke. "Um mich hat kein Präsident geweint. Und mir hat man gesagt, die Dosis spielt keine Rolle. Bei Baumann dagegen versuchen auch angebliche Dopingjäger, die zehnfache Menge des Erlaubten zu erklären."

Es ist ein heikler Punkt, den Susen Tiedtke anspricht: Hardliner, allen voran Werner Franke, vollziehen plötzlich eine Drehung. Jahrelang haben sie mit Dieter Baumann für dopingfreien Sport gekämpft, manches Mal zu schnell mit dem Finger auf Athleten gezeigt, die sie verdächtigten. "Unbegreiflich" findet Armin Baumert diese Wendung um 180 Grad. Die Anti-Doping-Kämpfer verlieren jede Glaubwürdigkeit.

Dieter Baumann gibt keine Interviews. Er versuche zu trainieren und normal zu leben, sagt seine Frau. Für einen Sportler in seiner Situation ist das fast unmöglich. "Man hat ihm alles genommen", haucht eine völlig niedergeschlagene Isabelle Baumann ins Telefon. Ist das wahr?

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