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Anti-Doping

© dpa

Doping: Der Exportweltmeister

Bei den Olympischen Spielen will sich China als dopingfreie Nation präsentieren. Dabei haben Experten ermittelt: China versorgt die ganze Welt mit Dopingsubstanzen. Ein Report von Friedhard Teuffel und Benedikt Voigt.

Die Sicherheitsschleuse am Eingang des Olympia-Zentrums hat der chinesische Judoka mit dem ausladenden Oberkörper überstanden. Er sammelt Schlüssel und Portemonnaie aus einem Körbchen und schlendert über den Parkplatz. Bei jedem Schritt schaukelt ein Ende seines schwarzen Gürtels, der Schriftzug „China“ auf seinem weißen Judoanzug weist ihn als Athleten des Nationalkaders aus. Nach 20 Metern erreicht er ein dreigeschossiges Haus mit dem Türschild „Doping Control-Center“ – und geht vorbei.

Eigentlich gibt es keinen besseren Standort für das Doping-Kontrollzentrum: Es steht unmittelbar neben dem Athleteneingang des chinesischen Olympiazentrums in der Anding Lu. Hier spazieren täglich viele der 639 chinesischen Olympiateilnehmer vorbei: Judoka, Ringer, Schwimmer, Hockeyspieler, Fußballer. Das Labor könnte die Athleten auf ihrem Weg zum Training einfach zur Probe hereinbitten.

Die Chinesen haben die Dopingtests deutlich erhöht – auf 10 000 im Jahr, sagen sie. Ebenso oft testen die Deutschen ihre Athleten. 6,4 Millionen Euro hat die chinesische Regierung in das neue Labor investiert, 150 Mitarbeiter werden während der Spiele täglich rund 200 Proben von Athleten aus aller Welt und auch aus China untersuchen, mehr als vor vier Jahren in Athen. Saubere Spiele – das ist zumindest offiziell oberste Prämisse des chinesischen Teams, das erstmals Platz eins im Medaillenspiegel vor den USA erreichen kann. „Der Antidopingkampf ist eine Voraussetzung, um erfolgreich Spiele zu organisieren“, sagt der chinesische Staatspräsident Hu Jintao. „Als Gastgebernation ist China dazu verpflichtet, in diesem Punkt ein gutes Beispiel abzugeben.“

Gut möglich, dass die chinesische Staatsführung es ernst meint mit der Dopingbekämpfung. Doch wie will die Parteiführung die Basis des chinesischen Sports kontrollieren? In den Provinzen herrscht ein erbitterter Wettbewerb. Jeder Parteikader, jeder Trainer will die besten Athleten ins Rennen schicken.  Ein altes chinesisches Sprichwort lautet: „Die Berge sind hoch, und der Kaiser ist weit weg.“ Warum auf die Gesundheit von jungen Sportlern Rücksicht nehmen, die doch mit dem sozialen Aufstieg entschädigt werden können? So moralisch aufgeladen wie in Europa, wo alle eine große, ehrliche Familie sein sollen, ist der Sport hier nicht.

Die Zweifel an den Chinesen als ehrenwerten Anti-Doping-Kämpfern werden auch von Chinas belasteter Vorgeschichte genährt: In den 90er Jahren stellten Läuferinnen des Trainers Ma Junren Weltrekorde über 3000 Meter, 5000 Meter und 10 000 Meter auf. „Schildkrötenblut“ und Traditionelle Chinesische Medizin hätten seinen Läuferinnen Beine gemacht, sagte Ma, später wurden einige dieser Läuferinnen des Dopings mit Epo überführt. Trainer Ma ist inzwischen lebenslang gesperrt und soll Kampfhunde züchten. 1998, bei der Weltmeisterschaft in Perth, fand der australische Zoll bei der Schwimmerin Yuan Yuan in einer Thermosflasche Wachstumshormone, die für ihre ganze Mannschaft gereicht hätten. Und kurz vor den Spielen 2000 in Sydney meldete China plötzlich 27 Sportler ab. Die Australier hatten Epo-Tests angekündigt, die China offenbar fürchtete. Eine Blamage durfte sich das Reich der Mitte nicht leisten – 2001 stand schließlich die Wahl über den Olympiaort 2008 an.

Josef Capousek hat Chinas Sportsystem von innen kennengelernt. Dreieinhalb Jahre wirkte der ehemalige deutsche Kanu-Bundestrainer als Nationaltrainer Chinas, ehe er sechs Wochen vor Beginn der Spiele überraschend entlassen wurde. „Die chinesischen Funktionäre haben immer gesagt, dass ein Dopingfall bei den Spielen ein schlimmer Gesichtsverlust wäre“, berichtet Capousek. „Was mich gewundert hat: Sie haben nie gesagt, dass Doping unmoralisch oder ungesund ist.“

Von chinesischer Seite Auskünfte zum Thema Doping zu erhalten, ist für westliche Reporter ein Geduldsspiel. Und oft genug wollen Sportler und Funktionäre anonym bleiben – wie der Leichtathletik-Betreuer in den Katakomben des Nationalstadions. Es ist die erste große Veranstaltung im Stadion, das ganz China nur „Niao Chao“ nennt – „Vogelnest“. Der Betreuer schießt Erinnerungsfotos mit Athletinnen, sie feiern einen ersten und dritten Platz bei den China Athletics Open.

„Ich weiß, dass es so etwas in China gegeben hat“, sagt der Betreuer, „aber ich kenne niemanden, der das macht oder gemacht hat.“ Seit mehr als einem Jahr werden seine Läuferinnen regelmäßig kontrolliert, „2008 schon drei oder vier Mal“. Die Ära des Dopings sei vorbei, sagt auch Zhao Jian, Chef der Anti-Doping-Kommission des Chinesischen Olympischen Komitees, bei der Eröffnung des Pekinger Doping-Kontrollzentrums. „China hat das Problem erst in den 80er Jahren entdeckt, und es hat einige Zeit gebraucht, die Fähigkeiten zu entwickeln, damit effektiv umzugehen.“

Der Laborchef Wu Moutian hat zwar zwischen 1989 und 1994 in Heidelberg forensische analytische Toxikologie studiert, lehnt ein mündliches Interview aber ab. Er äußert sich nur schriftlich und allgemein zu seiner Tätigkeit. „Wir suchen hier nach allen Substanzen, die auf der verbotenen Liste der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada stehen“, schreibt er. Die Frage, ob ihm die Ausrüstung zur Entdeckung des Wachstumshormons HGH zur Verfügung stehe, beantwortet er so: „Die Wada wird die Testausrüstung für das Aufspüren von HGH genehmigen.“ Ähnlich vage bleibt der Laborleiter auf die Frage, ob es Einfluss auf seine Arbeit seitens des Staates oder des Chinesischen Olympischen Komitees gebe. Immerhin zählen Beziehungsgeflechte und Korruption zu den Hauptproblemen Chinas. Wu Moutian äußert sich nicht dazu, er schreibt: „Das Chinesische Olympische Komitee ist einer unserer Klienten.“

Dieser Klient konnte zuletzt Erfolge im Kampf gegen Doping melden: acht positive Fälle. Dem Schwimmer Ouyang Kunpeng etwa wurde die Einnahme des muskelbildenden Clenbuterol nachgewiesen und der Ringer Luo Meng mit einer entwässernden Substanz erwischt, die sein Gewicht reduzieren sollte. Für beide war es das erste Dopingvergehen. Trotzdem erhielten sie eine lebenslange Sperre. Das international übliche Strafmaß beträgt beim ersten Verstoß zwei Jahre.

Zur Abschreckung hat Chinas Sportbehörde zu Beginn des Jahres eine weitere Strafe eingeführt: Sippenhaft für gedopte Athleten. Wird beispielsweise ein Kugelstoßer des Dopings überführt, darf das gesamte Leichtathletikteam der Provinz nicht an den nächsten Nationalspielen teilnehmen. Die Nationalspiele entscheiden über die Vergabe der Fördermittel.

Staffan Sahlströms schwedische Dopingkontrollfirma IDTM führt seit 1993 im Auftrag internationaler Sportverbände Tests in China durch. Der Schwede stellt dem Land ein gutes Zeugnis aus: „In Russland oder arabischen Ländern ist es oft schwieriger, die Athleten zu finden.“ Seine Dopingfahnder hätten manchmal Schwierigkeiten, Militärgelände zu betreten, auf denen Athleten trainieren. Aber in Europa sei das nicht anders.

China bemüht sich offenbar, doch es bleiben Merkwürdigkeiten. Ein Insider, der ungenannt bleiben will, wunderte sich zuletzt über eine Begebenheit in seiner Sportart: „Im Mai sind zwei Athleten zum Nationalkader dazugekommen, die vor zwei Jahren aussortiert worden waren.“ Er frage sich, wo diese auf einmal herkommen. Und ob sie auf der Nationalkaderliste stehen, die Grundlage für intensive Dopingkontrollen ist. „Es ist nur eine Vermutung“, sagt der Insider, „es kann sein, dass ihre Namen auch auf der Liste stehen – es kann aber auch nicht sein.“

Chinas Sport gibt ein unscharfes Bild ab. Es ist jedenfalls kein System aufgeflogen wie in der DDR, das sich nachzeichnen lässt von der Staatsführung über Sportverbände, Ärzte und Trainer bis hinunter zu den Athleten. Aber eines ist offensichtlich: China dopt, wenn schon nicht mehr die eigenen Athleten, dann den Rest der Welt. Das hat der Dopinganalytiker Hans Geyer ermittelt. Deutsche Sporthochschule Köln, siebter Stock, Institut für Biochemie. Hier teilt sich Geyer ein fensterloses Büro mit einer Kollegin, und von hier aus hat er den Nachweis erbracht, dass China Exportweltmeister von Dopingmitteln ist. Geyer, ein konzentriert wirkender Mann mit kleiner runder Brille, ist stellvertretender Leiter des Kölner Dopingkontrolllabors. Er muss von seinem Büro aus nur um die Ecke gehen, dann steht er inmitten von Röhrchen und Maschinen. In diesem Raum haben sich schon einige Sportlerschicksale entschieden. Mikroskopisch kleine Mengen der falschen Substanz können eine Karriere für immer beenden.

Beim vielleicht spektakulärsten Dopingfall der Sportgeschichte ist Geyer chinesischen Firmen auf die Spur gekommen. Im Balco-Labor bei San Francisco hatte Victor Conte, ehemaliger Bassist einer Soulband, 2003 ein eigenes Dopingmittel entwickelt. Er veränderte die Molekülstruktur eines Anabolikums, und fertig war Tetrahydrogestrinon, kurz THG. Es wäre nicht nachweisbar gewesen, wenn sich Conte nicht mit einem Mitwisser, einem Trainer, verkracht hätte, der das Geheimnis verriet. Geyer fragte sich, woher Conte die Grundsubstanz bezogen hatte. Er durchforstete das Internet. Und fand einen Anbieter – in China.

„Eigentlich wollten wir nur höchstens ein Gramm bestellen. Aber uns wurde ein Kilo angeboten – zu einem Spottpreis“, berichtet Geyer. Am Anfang glaubten sie an der Sporthochschule noch an eine Fälschung. Doch dann kam ein Päckchen mit einer hochreinen Substanz. Geyer suchte und bestellte weiter: „Da gab es noch viele andere Dopingsubstanzen.“ Geyer und seine Kollegen ließen die Sendungen rückverfolgen. Sie kamen aus Schanghai.

Die Kölner Forscher haben nicht viel Geld ausgeben müssen, einmal zahlten sie für eine Substanz 150 Euro, die auf dem Schwarzmarkt 6600 Euro gekostet hätte und einen offiziellen Verkehrswert von 40 000 Euro hatte.

„Nach 2003 tauchten immer mehr Anbieter auf“, sagt Geyer. „Die chinesischen Firmen haben gemerkt, was das für ein Riesenmarkt ist.“ Bei einer weltweiten Razzia gegen illegalen Handel von Anabolika stellten Ermittler 2007 fest, dass 99 Prozent der Rohsubstanzen, aus denen in den USA Anabolika hergestellt werden, aus China kamen. Das „ESPN Magazine“ meldete, dass der pharmazeutische Markt in China 67 Milliarden Dollar pro Jahr umsetzt, ein Großteil machten Wachstumshormone und Anabolika aus. China, schätzt die amerikanische Antidrogenbehörde DEA, ist für 70 bis 80 Prozent des weltweiten Schwarzmarktangebots von Wachstumshormonen verantwortlich.

Vor Geyers Büro steht ein Beistellwagen. Brausetabletten mit gewöhnlichen Mineralien oder Vitaminen liegen darauf, Tees zum Abnehmen. In allen stecken Dopingsubstanzen, die wahrscheinlich von chinesischen Firmen stammen. Der Tee verspricht einen Fettabbau von zwei bis drei Kilo pro Woche. Was nicht auf der Packung steht: Der Tee enthält Sibutramin, eine Dopingsubstanz, die das Risiko eines Schlaganfalls erhöht. „Die Aktivität der chinesischen Firmen ist die Ursache, dass wir so viele gepanschte Produkte bekommen“, sagt Geyer. Denn Hersteller auf der ganzen Welt mischten einfach billige chinesische Dopingsubstanzen unter ihre nichtwirksamen pflanzlichen Produkte.

Das hat auch die Welt-Anti-Doping-Agentur in Montreal erkannt und Informationen an die chinesische Regierung weitergegeben. Die Beschwerden haben offenbar Wirkung gezeigt: „Wir haben Schwierigkeiten, etwas zu bestellen, unsere Anfragen werden zurzeit gar nicht mehr beantwortet“, sagt Geyer. Einige Internetseiten seien ganz verschwunden.

Zwei Stockwerke höher in der Sporthochschule, im Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin, untersucht Patrick Diel die Zukunft des Dopings: das Gendoping. Im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur soll der Molekularbiologe herausfinden, wie die erste gefährliche Gendopingsubstanz nachgewiesen werden könnte. Es geht um Myostatin.

Das ist die Substanz im Körper, die das Wachstum der Muskeln hemmt. Ohne Myostatin würden Muskeln zu Bergen anwachsen. Gefährlich, aber verlockend für Sportarten, in denen Kraft eine Rolle spielt. „Wenn jemand in der Lage ist, Myostatin auszuschalten, haben wir ein Problem“, sagt Diel. Forscher der Universität Peking haben bereits ein erfolgreiches Experiment durchgeführt. Wohl in guter Absicht, denn ein Myostatinblocker würde Patienten mit Muskelschwund helfen. Die Forscher mischten Mäusen eine Substanz ins Futter, die Myostatin ausschaltet. „Sie haben gezeigt, dass es in oraler Applikation funktioniert. Man braucht also nicht irgendwelche gekühlten Blutbeutel zum Dopen. Man könnte es einfach in einen Sportdrink mischen“, sagt Diel.

Gendoping aus der Flasche. Und es sei nur eine Frage der Zeit, bis jemand die Formel für die Maus auf den Menschen überträgt. „Das kann jeder Molekularbiologe“, sagt Diel. Vielleicht ist ein Myostatinblocker also längst im Umlauf. Die Schriftstellerin Ines Geipel will bei ihrer jüngsten Chinareise auch auf Myostatinblocker gestoßen sein, darüber berichtet sie in ihrem neuen Buch „No Limit“.

Diel soll im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur die Verfolgung aufnehmen und ein Nachweisverfahren entwickeln. Die Ergebnisse der Chinesen setzen ihn unter Druck. Diel muss sich beeilen. Sonst hat der Sport das Kräftemessen mit künstlich aufgepumpten Muskeln verloren.

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