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Unter Verdacht: Russlands Nationalmannschaft bei der WM 2014.

© imago/ITAR-TASS

Doping-Vorwürfe gegen russisches Nationalteam: Das Märchen vom sauberen Fußball

Die ganze russische Nationalmannschaft gedopt? Geht doch gar nicht, weil es Doping im Fußball nicht gibt. Wie der Fußball immer noch an der Legende vom sauberen Sport strickt.

Im Juni 2015 ist der brasilianische Fußball-Nationalspieler Fred bei der Copa America positiv auf die verbotene Substanz Hydrochlorothiazid getestet worden. Der Mittelfeldspieler, der damals beim ukrainischen Klub Schachtjor Donezk unter Vertrag stand, wurde anschließend wegen Dopings für ein Jahr gesperrt. So weit, so normal. Allerdings galt die Sperre nur für Spiele der brasilianischen Nationalmannschaft – weil Fred in der Nationalmannschaft überführt worden war. Für Donezk durfte er weiterhin eingesetzt werden.

Das ist ungefähr so, als wäre Lance Armstrong bei der Straßenrad-Weltmeisterschaft positiv getestet worden – und hätte anschließend trotzdem bei der Tour de France an den Start gehen dürfen. Im Fußball ist so etwas offensichtlich möglich. Und selbst wenn Fred vom Weltverband Fifa später auch für alle anderen Spiele gesperrt wurde, zeigt sein Fall: Beim Thema Doping gelten im Fußball andere Regeln.

Insofern wird es spannend zu beobachten sein, welche Konsequenzen die jüngsten Enthüllungen zur russischen Nationalmannschaft haben werden. Deren gesamter Kader für die Weltmeisterschaft 2014 soll auf der Verdächtigenliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) stehen. Wenn man allerdings Russlands Vize-Ministerpräsident und früherem Sportminister Witali Mutko glaubt, kann es sich dabei nur um ein Versehen handeln: „In unserem Fußball gab es nie Doping und wird es nie Doping geben“, wurde er nach Bekanntwerden der Vorwürfe zitiert. Auch wenn Mutko nicht gerade der glaubwürdigste Kronzeuge ist – seine Ansicht liegt voll im Mainstream. Doping? Im Fußball doch nicht!

Die Branche folgt bei diesem Thema einem ganz speziellen Dreisatz: 1) Doping im Fußball bringt nichts – dafür ist die Sportart viel zu komplex. Woraus 2) folgt, dass es im Fußball kein Doping gibt. Und falls 3) ein Fußballer wider Erwarten doch des Dopings überführt wurde, handelt es sich eben nicht um Doping.

Guardiola wurde zweimal positiv getestet, Doper ist er nicht

Eines der prominentesten Beispiele ist Pep Guardiola, der als Spieler in Brescia zweimal positiv auf Nandrolon getestet wurde und trotzdem nicht als Dopingsünder gilt. Das hat er der Expertise des Wada-akkreditierten Dopinglabors in Barcelona zu verdanken. Ein Labor, das eigentlich Dopingsünder überführen sollte, hilft, einen Sünder reinzuwaschen. Man muss nur ausreichend prominent sein. Und das gilt für die meisten Fußballer vom FC Barcelona oder Real Madrid.

Von den Kunden des Dopingarztes Eufemiano Fuentes soll jeder Fünfte Profifußballer gewesen sein. Doch die entsprechenden Akten sind von der spanischen Justiz nie untersucht worden. „Wenn ich rede, sind wir kein Weltmeister und kein Europameister mehr“, ist Fuentes von „El Mundo“ zitiert worden. Der Fußball ist in Spanien systemrelevant. Und vermutlich nicht nur dort.

Thomas Kistner, Dopingexperte der „Süddeutschen Zeitung“ hat „die geheime Dopinggeschichte des Fußballs“ in seinem Buch „Schuss“ (Knaur, 12,99 Euro) nachgezeichnet. Es handelt sich nicht etwa um eine dünne Broschüre, sondern um ein 400 Seiten starkes Werk – seltsam, wo im Fußball doch gar nicht gedopt wird. Es ist frappierend, wie viele Beispiele Kistner anbringt von Fußballern, die zugeben, dass sie selbst gedopt haben oder dass in ihren Mannschaften gedopt wurde. „Es wird gespritzt und gedopt“, hat Franz Beckenbauer 1977 gesagt. Und Marcel Desailly, der frühere Kapitän der französischen Nationalmannschaft, hat in seiner Autobiografie geschrieben: „Doping existiert im Fußball. Das ist so offenkundig, dass es dumm wäre, es abzustreiten.“

Auch der Fußball ist anfällig für Doping

Trotzdem hält die Branche an der Legende fest, dass Doping im Fußball nichts bringe. Sogar kluge Köpfe wie Jürgen Klopp oder Robin Dutt („Im Fußball macht es nicht wirklich Sinn“) vertreten diese Meinung, die den Intellekt jedes mittelmäßigen Hauptschülers beleidigt. Erstens wird in jeder Sportart gedopt; selbst Tänzer sind schon überführt worden. Und zweitens hat sich der Fußball in den vergangenen Jahrzehnten derart gewandelt, dass eigentlich niemand mehr die Anfälligkeit für Doping bestreiten kann. Ein Profi läuft heute mehr als doppelt so viel wie noch in den siebziger Jahren. Das Tempo ist höher, die Intensität ebenfalls – dazu hat die Zahl der Spiele zugenommen. Allein das Thema Regeneration ist dadurch wesentlich wichtiger geworden.

Es hat auch im Fußball Dopingfälle gegeben. Es waren nicht übermäßig viele – aber das heißt nicht, dass nicht gedopt wird; es heißt nur, dass eben nicht viele Dopingsünder erwischt werden. Das liegt auch daran, dass sich der Aufklärungseifer in Grenzen hält. Der Fußball ist milliardenschwer, das Produkt darf keinen Schaden nehmen. Der Deutsche Fußball-Bund hat seine Doping-Bestimmungen beim letzten Bundestag noch einmal gelockert. Nachdem es bisher so war, dass eine Mannschaft mit Punktabzug bestraft werden musste, wenn ein Spieler gedopt war, dürfen jetzt je Wettbewerb zwei Spieler gedopt sein, ohne dass der Verein sanktioniert wird – erst ab dem dritten Dopingfall droht eine Strafe. Vor dem Bundestag hieß es, dass dieser Antrag wohl zu Diskussionen führen werde. Tatsächlich wurde er ohne Aussprache einfach durchgewinkt.

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