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Doping: Das Ding aus dem Sumpf

Der frühere Telekom-Fahrer Jörg Jaksche gibt Einblicke in die Parallelwelt des Dopingsports Radfahren und beichtet seine Mitschuld

Berlin - Seine bislang letzte Attacke fuhr der Ansbacher Radprofi Jörg Jaksche vom Team Tinkoff am vergangenen Freitag. Doch schon da war es ein Angriff, der längst nicht mehr auf der Kraft seiner Oberschenkel beruhte, sondern nur noch auf der des gesprochenen Wortes. Der im österreichischen Kitzbühel lebende Jaksche attackierte den Präsidenten des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR), Rudolf Scharping, in heftiger Weise. Scharping hatte den zu diesem Zeitpunkt des Dopings lediglich verdächtigten Jaksche von der Teilnahme der am heutigen Sonntag stattfindenden deutschen Straßenradmeisterschaften ausgeschlossen. Der blonde Radler, vermutlich ein letztes Mal ein wenig ehrpusselig in eigener Sache, schäumte: „Ein Minister a. D., der wegen Affären seinen Hut nehmen musste, ist für mich keine moralische Instanz.“ Der Satz passte zu einer anderen Aussage, die Jaksche gebetsmühlenartig verbreitete: „Ich habe nichts zu beichten.“

Doch was viele in der Szene vermuteten, hat sich nun bestätigt: Auch für Jaksche selbst kam jahrelang das Fressen – und nun erst, reichlich verspätet, so eine Art Moral. Der 30-Jährige hat gebeichtet, und zwar nicht zu knapp.

Im Nachrichtenmagazin „Spiegel“ leuchtet der Radfahrer tief hinein in den Dopingsumpf, der die in Verruf geratene Sportart umgibt. Jaksche gibt nicht bloß seinen Dopingkonsum zu, er belastet auch den Weltverband UCI, die Teamchefs Bjarne Riis (CSC), Gianluigi Stanga (jetzt Milram) und den früheren Telekom-Teamchef und jetzigen Astana-Berater Walter Godefroot. Es ist, als würde sich der ganze Druck, der auf ihm gelastet hatte, in einem Rundumschlag entladen. „Ja, ich habe gedopt, aber ich habe es nicht übertrieben“, sagte Jaksche dem Magazin. „Ich habe nie künstliches Hämoglobin oder so was genommen, wo du einen allergischen Schock erleiden kannst. Und du beruhigst dich damit, dass ein Bodybuilder 16 000 Einheiten Wachstumshormon am Tag nimmt und man selbst eine Weile 800 Einheiten zur Regeneration.“ In allen Rennställen, in denen er seit 1997 gefahren sei – Polti, Team Telekom, Once, CSC und Liberty Seguros –, sei Doping teilweise aktiv von der Teamführung betrieben worden. „Natürlich hat mir niemand den Arm für die Spritze festgehalten, aber die Teamleiter, die sich an dir bereichert haben, die dir die Sachen besorgt haben, ausgerechnet die tun plötzlich so, als würden sie für einen sauberen Radsport eintreten.“ Er denkt da zum Beispiel an Gianluigi Stanga. Der Italiener war Chef des Polti-Teams, des ersten Rennstalls von Jaksche. Stanga habe ihn zum Doping gebracht. „Stanga sagte, er wolle jetzt anfangen mit der Behandlung. Er wollte herausfinden, was bei mir wirkt.“ Stanga, heute Chef von Milram, bestreitet die Vorwürfe.

Vor der Tour de Suisse 1997 habe er Epo gespritzt, erzählte Jaksche. „Die Logik ist: Du passt dein Leistungsniveau dem Rest an, wie es jeder tut. Es ist pervers, aber das Doping-System ist gerecht, weil alle dopen.“ 1999 wechselte er zum Team Telekom; dort sei Teamchef Godefroot über das Dopingsystem informiert gewesen. Als er bei der Tour de France 1999 nicht habe dopen wollen, sagte Jaksche, habe ihn Godefroot über 2000 hinaus nicht weiterverpflichten wollen. „Es ging Godefroot nicht darum, auszuschließen, dass jemand dopt, sondern, dass er ungeschickt dopt.“ Godefroot bestreitet die Vorwürfe.

Auch mit Eufemiano Fuentes, dem Chef eines Dopingnetzwerks in Spanien, hat Jaksche zusammengearbeitet, jetzt hat er es endlich zugegeben. Es gab genügend Indizien für diesen Dopingkontakt, aber Jaksche hatte ihn stets bestritten (siehe Kasten). Der Profi beschuldigt auch einen hochrangigen Mediziner aus Bad Sachsa, gegen den bereits ermittelt wird. Der Arzt hätte ihm 2005 in Fuentes’ Auftrag bei der Tour de France in Karlsruhe Epo gespritzt.

Auch Jens Voigt, sagt Jaksche, sei ins allgemeine Dopingsystem eingeweiht gewesen. Damals jedenfalls, als Voigt 1998 für die französische Gan-Mannschaft fuhr. Jetzt ist Voigt bei CSC, Sprecher der Vereinigung der Radprofis, und streitet unverändert ab, jemals etwas mit Doping zu tun gehabt zu haben. Jaksche attackiert auch die UCI. Ein Fahrer habe ihm erzählt, dass es wegen der Trainingskontrollen Deals zwischen ein paar Mannschaften und dem Weltverband geben soll. „Da muss man annehmen, dass es kein generelles Umdenken gibt.“

Mehrere Stunden hat Jaksche für sein Rundumgeständnis mit „Spiegel“-Redakteuren zusammengesessen. Und vor denen packte einer aus, der noch aktiv ist und gerne weiterfahren möchte. Das sagte sein Anwalt Michael Lehner, der den Deal mit dem Magazin „aktiv begleitet hat“, dem Tagesspiegel am Sonntag. Lehner hatte Jaksche zu dem Geständnis überredet. Ein schwieriger Prozess, aber die Umstände kamen dem Heidelberger Anwalt entgegen. Der russische Brauereimulti Oleg Tinkoff, Besitzer des Teams Tinkoff, hatte Jaksche wegen einschlägiger Gerüchte schon im April vor dem Giro d’Italia suspendiert, Jaksche war anschließend nur bei kleineren Rennen gestartet. Er fühlte sich kaltgestellt. Verunsichert. Sein Leidensdruck verstärkte sich. Seit Herbst 2006, sagt Lehner, hätte Jaksche ans Auspacken gedacht.

Das Geständnis des Jörg Jaksche, es ist die Geschichte eines Hin-und-her-Gerissenen. Lehner spricht von „enormem Druck“, von einem Rennfahrer, der lange „nicht ein noch aus wusste“. Zukunftsängste, sagt Lehner, hätten dabei eine große Rolle gespielt – und auch die Angst, in der Szene als „Verräter“ dazustehen. Lehner gab den nüchternen Anwalt und den einfühlsamen Ratgeber. Er musste Jaksche zu seinem Outing überreden, weil das die einzige Chance für den Profi war, den Schaden zu begrenzen. Aber er wusste auch, dass er ihn nicht zu sehr drängen durfte. „Das stand ja bis zum letzten Moment auf der Kippe“, sagt Lehner. „Ich habe gesagt: Irgendwann muss es raus, sonst stehst du da wie Jan Ullrich, der gar nichts sagt.“

Nun ist es raus, und dass sein Befreiungsversuch auch eine finanzielle Komponente hat, bestreitet Lehner nicht. Der „finanzielle Aspekt“ sei aber „gering“. Nach Tagesspiegel-Informationen erhielt Jaksche circa 40 000 Euro, Lehner hielt sich dazu bedeckt. „Man darf nicht vergessen, dass er auch große Aufwendungen hatte“, sagt er. Jaksche sei bei Tinkoff „für ’nen Appel und ’n Ei“ gefahren. Soll bitte keiner denken, dass hier bloß einer abkassieren will. Nach Tagesspiegel-Informationen war es allerdings eher umgekehrt. Jaksche soll seine Dopingbeichte aus Vermarktungsgründen auch der Sendung „Kerner“ angeboten haben. „Es gab da eine Idee, die wurde aber wieder verworfen“, heißt es dazu vom ZDF.

Der „schöne Jörg“, wie er in der Szene genannt wird, wird sich nun wohl in einem Verfahren vor dem österreichischen Radsportverband verantworten müssen. Das ganze Procedere folgt einem klar kalkulierten Plan von Lehner. Jaksche hat ausgepackt, er wird seine Vorwürfe nun offiziell zu Protokoll geben, vor dem Sportgericht des österreichischen Radsportverbands. Der ist für Jaksche zuständig, weil der 30-Jährige aus Ansbach eine österreichische Lizenz besitzt. „Ich möchte für ihn die Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen. Dafür ist sie ja da“, sagt Lehner. Dann würde Jaksche ein Jahr gesperrt. Üblich sind zwei Jahre. Auch Rudolf Scharping will mit Jaksche reden. „Wir werden ihn übernächste Woche einladen“, sagte er. Und mit der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada ist Lehner schon länger in Kontakt. Er geht davon aus, dass niemand gegen die zwölfmonatige Sperre Berufung einlegen würde. „Es muss dann“, sagt Lehner fast geschäftsmäßig, „nur noch genau festgelegt werden, wann die Sperre beginnt.“ Wenn sie endet, will Jaksche wieder Rennen fahren, unbedingt.

Er wäre dann 31. Für Radprofis ist das noch kein Alter. Fraglich ist nur, welches Team ihn dann nehmen wird. Ihn, Jörg Jaksche, den Verräter.

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