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© dpa

Telekom-Ausstieg: Zaubertrank von der Hebamme

Die Telekom sonnte sich lange im Glanz ihres Rad-Teams – dabei hatte es längst negative Auffälligkeiten gegeben.

Der Testosteronwert lag unglaublich hoch, doppelt so hoch wie erlaubt. Im Training hatte ein Dopingfahnder den Radprofi Christian Henn abgepasst, jetzt hatten Experten eine positive Probe des Athleten vom Team Telekom in der Hand. Ein Dopingfall? Oder eine menschliche Geschichte, eine etwas pikante allerdings? Das Testosteron, erzählte Henn etwas verschämt, komme von einem Wundermittel, das ihm eine italienische Hebamme aus Tierprodukten gebraut habe. Er möge eben Viagra nicht, deshalb diese Mixtur. Das Mittel habe Paola und ihm „schon 1997 zu unserem ersten Sohn verholfen“. Paola ist Henns Frau.

Eine anrührende Geschichte, nur glaubten die zuständigen Sportrichter sie nicht. Der Radprofi Henn wurde sechs Monate gesperrt. 1999 flog der Olympia-Dritte von 1988 auf, und seine Geschichte ist einer dieser dunklen Flecken auf der Telekom-Fassade. Aber sie fielen nicht auf, dafür glitzerte die Fassade zu stark. Jan Ullrich, der Tour-Sieger von 1997 und mehrfache TourZweite, Erik Zabel, der Starsprinter, Bjarne Riis, der Tour-Sieger von 1996, sie überstrahlten alles. Für Telekom-Kommunikationschef Jürgen Kindervater war Henn damals „ein Einzelfall“.

Natürlich, was sonst? Dass auch beim Team Telekom, später T-Mobile, systematisches Doping zum Alltag gehören könnte, das war für Kindervater immer eine ganz böswillige Lüge. Stand denn nicht in allen Verträgen drin: Wer dopt, fliegt? Hatte sich nicht das Team Telekom freiwillig den Trainingskontrollen des Deutschen Sportbundes unterworfen und diese auch bezahlt? Bei so einer Kontrolle flog denn auch prompt Henn auf.

Aber Telekom forderte auch gnadenlos Erfolge. Und diese Erfolge waren nicht ohne Doping zu bekommen. Das war eine ganz einfache Rechnung, sie wollte bloß niemand hören. Es gab viele, kleine Hinweise auf Doping, keiner beachtete sie ernsthaft. 1999 flog auf, dass Telekomfahrer bei Rundfahrten regelmäßig mit Zentrifugen ihren Hämatokritwert testeten. Wenn der über 50 liegt, ist das ein Hinweis auf Epo-Einsatz. 2001 fanden italienische Ermittler im Gepäck von Telekom-Teamarzt Lothar Heinrich Kortikoide – ein Doping-Klassiker. Für den Eigenbedarf, erklärte der Mediziner. Seltsam auch, dass im Tour-Feld flächendeckend Doper aufflogen, während die angeblich sauberen Profis vom Team Telekom und Team T-Mobile wundersam ungedopt Etappen gewannen.

Mehrere Telekom-Profis wurden zeitweise auch von dem inzwischen verstorbenen Freiburger Sportarzt Joseph Keul betreut. Der hatte einmal erklärt: Bei richtiger Anwendung sei Epo „ungefährlich“. Und ausgerechnet Walter Godefroot war Teammanager. Der Belgier hatte als Profi zwei Dopingkontrollen verweigert, einmal wurde er positiv getestet. Er bestreitet bis heute jede Verwicklung ins Dopingsystem des Teams Telekom.

Das wirkt fast schon putzig. Schließlich haben in diesem Jahr reihenweise frühere Telekom-Profis ausgepackt. Sie gestanden Dopingmissbrauch, nachdem der frühere Telekom-Pfleger Jef D’hont das Betrugssystem enthüllt hatte. Zu den Geständigen gehörte im Übrigen auch Christian Henn. Auch die Freiburger Ärzte Lothar Heinrich und Andreas Schmid gaben ihre Beteiligung zu. Nur Jan Ullrich bezeichnet sich noch immer als unschuldig. Dabei ist sein Kontakt zu dem spanischen Arzt Eufemiano Fuentes belegt. Fuentes war der Kopf eines Doping-Netzwerks, das 2006 aufflog.

Der Sponsor versuchte verzweifelt, sein nettes Image zu bewahren. Im Team wurden interne Kontrollen eingeführt, die Telekom gehörte außerdem zu den Gründungspaten der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) und entwickelte sich zu ihrem größten privaten Sponsor. Die Nada führte auch auf Wunsch der Telekom zusätzliche Kontrollen ein. Im August wurde für den Anti-Doping-Kampf noch eine Million Euro bereitgestellt. Aber das öffentliche Bild des Teams bestimmte ein Doper wie Patrik Sinkewitz, aufgeflogen bei der Tour 2007.

Als der US-Milliardär Bob Stapleton 2006 neuer Teamchef des Teams T-Mobile wurde, da sagte ihm ein Rennfahrer: „Hör dir alles an – glaube nichts.“ Ein sehr guter Rat.

siehe auch Seiten 2, 28 und 35

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