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Wotan Wilke Möhring, 46, wurde in Detmold geboren und wuchs in Herne auf. Der gelernte Elektriker kam über den Weg als Clubbesitzer, Musiker (u.a. mit Gaby Delgado von DAF), Türsteher und Model zur Schauspielerei. Für die Rolle in „Der letzte schöne Tag“ erhielt er den Deutschen Fernsehpreis und den Grimme-Preis. Seit 2012 ist er für den NDR als „Tatort“-Kommissar im Einsatz.

© Achim Multhaupt

Dortmund-Fan Wotan Wilke Möhring: "Ich habe Bayern aufs Stadion gespuckt"

Der Schauspieler Wotan Wilke Möhring ist Dortmund-Fan. Keiner, der in Vip-Logen am Buffet steht, sondern einer, der mit nacktem Oberkörper durch die Kurve rennt – und auch schon mal aggressiv wird.

Da, wo ich her komme, aus Herne, wird man Schalker oder Dortmunder. Das ist nun mal so, daneben gibt es eigentlich nicht viel. So richtig Fan bin ich eigentlich erst geworden, als ich später weg war von zu Hause. Als ich nach der Schulzeit nach Berlin umgezogen bin. Da hat es mich gepackt, da bin ich dann auch Vereinsmitglied geworden – und bin es heute noch. Da war ich schon über 20, und vielleicht habe ich die räumliche Entfernung ja gebraucht, um eine wirkliche Nähe zu entwickeln.

Als Schüler war ich nie im Stadion, nur ein Mal bei Dortmund gegen Bremen. Das war allerdings im Weserstadion, als meine Eltern mal nach Hause gefahren sind und mich zu meinem Patenonkel mitgenommen haben. Das war meine erste richtige Begegnung mit Borussia Dortmund.

Aber wie gesagt: Ins Westfalenstadion bin ich zu dieser Zeit nicht gegangen. Das ergab sich einfach nicht. Damals war ich noch als Punk unterwegs, und auf der Südtribüne machte sich die Borussenfront breit. SS-Siggi und all die bösen Jungs, mit denen wir absolut nichts zu tun haben wollten. Fußball war ja in den 80ern noch mehr ein Politikum, als es das heute ist. Und weil ich von zu Hause aus überhaupt keine Fankultur mitbekommen hatte, habe ich auch nichts Großartiges vermisst.

"Hertha? Das ging mal gar nicht."

In Berlin hat sich diese Einstellung geändert. Die Stadt war zwar geil, aber trotzdem hat mir der Pott ein Stück weit gefehlt. Mit Fußball konnte man da einiges kompensieren, aber Hertha ging gar nicht. Dieser komische Verein und dieses gigantische Stadion, was nur dann voll ist, wenn die mal ausnahmsweise gut spielen. Und wenn sie schlecht spielen, bleiben alle daheim. Das hatte für mich nichts mit Fankultur zu tun. Ich habe mich also voll an die Borussia gehängt, lustigerweise hat das auch alte Freunde wieder zu mir zurückgebracht, die man nach der Schulzeit aus den Augen verloren hatte. Mit dem BVB hattest du immer ein Thema, das ist ja was Identitätsstiftendes.

Überhaupt finde ich es generell klasse, wenn Menschen Fußballfans sind. Weil es etwas weltweit Verbindendes ist, weil sich Leute mit etwas identifizieren, weil sie sich dafür einsetzen. Weil ihnen nicht alles egal ist. Das finde ich wichtig, und das macht Fußballfans in meinen Augen erst einmal per se zu guten Menschen. Außerdem hast du, egal wo du bist, immer ein Thema, über das du mit den Leuten reden kannst. Diese Leidenschaft verbindet, und dieser kulturelle Austausch bringt dich näher an die Menschen heran. Egal wo und egal, für welchen Verein ihr Herz schlägt.

Damals habe ich die Spiele immer mit einem guten Freund von mir gesehen, mit dem ich zusammen Musik machte: Gabi Delgado von der Punkgruppe Deutsch Amerikanische Freundschaft – der ist auch glühender BVB-Fan. Mit dem habe ich zusammen vor dem Fernseher gezittert, unter anderem, als die Mannschaft 1997 die Champions League gewonnen hat. Das war eine Hammer-Zeit, aber dann kam irgendwann der finanzielle Absturz. Als der BVB am Abgrund stand, habe ich gerade mit dem Regisseur Peter Thorwald in Unna den Film „Goldene Zeiten“ gedreht. Der Peter ist auch so ein Wahnsinns-BVB- Fan. Wir haben gemeinsam gelitten und gebetet, dass es irgendwie weitergehen soll. Ich habe damals im Steigenberger Hotel direkt gegenüber von der Geschäftsstelle an der B1 gewohnt und konnte nachts beobachten, wie die Staatsanwaltschaft da auflief und die Akten aus den Büros räumte. Wahnsinn, die ganze Bude leergeräumt. Wie sollte das gutgehen?

"Fußballfans sind in meinen Augen per se gute Menschen"

Damals habe ich bei den Dreharbeiten eine Klappe gemacht, wie es bei uns Filmleuten heißt. Normalerweise bedeutet das, einen auszugeben. Ich habe das aber anders gemacht: Wer drei Fragen zum BVB beantworten kann, den lade ich zum Heimspiel gegen die Bayern ein. Am Ende habe ich Tickets für zwölf oder 13 Leute gekauft und sie alle mit ins Stadion genommen. Als der BVB mit 0:2 hinten lag, bin ich völlig durchgedreht und mit blankem Oberkörper aus dem Stadion gerannt. Völlig bekloppt und aggressiv. Das hat mich dermaßen genervt, dass die diese existenzbedrohende Krise haben und jetzt auch noch gegen die Bayern verlieren. Im Stadion gehe ich immer richtig ab, das ist alles hochemotional. Am nächsten Tag waren auf dem Set alle ein bisschen bedrückt, weil ich als Hauptdarsteller so abgegangen bin.

"Norbert Dickel kann überhaupt nicht singen"

Als der Film dann abgedreht war und lief, durfte ich dann mit dem Peter Thorwald und mit Norbert Dickel im Mittelkreis des Westfalenstadions die Dortmund-Hymne singen. Was für eine Ehre, und was für ein fantastisches Gefühl! Ein Hammer-Erlebnis. Auch wenn Norbert Dickel überhaupt nicht singen kann. Macht aber nichts, wir waren auch nicht besser. Ich war früher nun mal Punk, da muss man nicht singen können.

Mit „Nobby“ in der Halbzeitpause vor der Südtribüne, so etwas vergisst man als Fan natürlich nicht. Klasse war aber auch das 3:1 in München in der Meistersaison 2010/11, als die bei den Bayern alles klargemacht haben. Da habe ich gerade einen Werbespot gedreht und bin vor dem Spiel mit einem Segelflugzeug über das Stadion geflogen. Die hatten mich mit dem Segelflugzeug ausgeklinkt und dann von außen gefilmt. Ich hab von da oben runtergespuckt und gesagt „Heute kriegt ihr das, was ihr braucht“. Und dann später, als wir wieder unten waren, ab in den Block, und dann kam es tatsächlich so. Unfassbar das Spiel. So wie das Pokalfinale gegen die Bayern in Berlin. Da hatte ich vier Karten besorgt, und schon zur Halbzeit wusstest du, uns kann heute überhaupt nichts passieren. Das Beste war, mein Bruder war drei Tage zuvor Vater geworden. Der kriegte das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht. Fünf Dinger, fünf Siege hintereinander. Unglaublich!

Vip-Bereich? Interessiert mich nicht. Ich brauche die direkte Nähe zu den Fans

Ein ganz besonderes Erlebnis, das mich mit diesem Verein verbindet, war auch die Tour zum Auswärtsspiel in der Champions League gegen Arsenal London in der Saison 2011/12. Das ging wirklich ganz tief rein, das sind diese Momente, wo du weißt, du bist mit den richtigen Leuten genau am richtigen Platz und beim richtigen Verein. Besser geht es nicht! Allein der Zug zum Stadion war so unglaublich, dass ich heute noch eine Gänsehaut bekomme, wenn ich daran denke. Obwohl zu diesem Zeitpunkt in der Gruppenphase ja eigentlich schon alles verloren war – oder fast alles –, wollte ich zu diesem Spiel unbedingt hin.

Fußball auf der Insel, das hat ja immer einen ganz besonderen Reiz. Das ist ein echter Kitzel. Ich hab’ also über den Verein Karten besorgt, und zwar in der Kurve. Vip-Bereich, das interessiert mich nicht, ich brauche die direkte Nähe zu den Fans. Ich kann nichts mit Geschäftsleuten anfangen, die neben mir zwei Stunden schlafen und zwischendurch ans Buffet rennen, anstatt die Mannschaft nach vorn zu brüllen. Das ist überhaupt nicht mein Ding. Ich bin beim Fußball extrem emotional. Beim Spiel gehe ich richtig mit, aber danach ist es dann vorbei. Obwohl: Es kann mir auch schon mal den ganzen Tag versauen.

"Am Set waren sie bedrückt, weil ich so abgegangen bin"

Ich habe also zwei Tickets gekauft und eins meinem alten Kumpel Achim geschenkt, mit dem ich früher schon mal in London war. Damals haben wir in besetzten Häusern gewohnt und erlebten geile Zeiten. Für mich ist London auch heute noch eine irre Stadt, deshalb war es für mich die perfekte Auswärtstour.

Wir sind dann also zum Treffpunkt der Fans, wo schon richtig Alarm war. So langsam wurde es dunkel, und dann hat sich der Zug Richtung Stadion in Bewegung gesetzt. Ganz viele hatten diese neuen, schwarz-gelb gestreiften Mützen an, und das Heer der Dortmunder bewegte sich durch die Straßen. Irre! Es wurden immer mehr, dieser Zug an den alten Arbeiterhäusern aus roten Ziegelsteinen vorbei dauerte fast eineinhalb Stunden und war absolut beeindruckend. Das war wie eine Prozession. Die Leute haben uns bestaunt, und jedes Mal, wenn ein Asiat am Fenster auftauchte, ging es los mit dem Chorus „Kagawa, Shinji“. Und alles absolut friedlich.

9000 Dortmunder waren auf dem Weg ins Wembley-Stadion

Das einzige Problem war die Bierversorgung, weil die ganzen kleinen indischen Shops zu hatten. Die wären dem Ansturm mit tausenden Dortmundern sonst nicht Herr geworden. Es war ein Zug der Leidenschaft, einfach ein tolles Gefühl. 9000 Dortmunder waren da auf dem Weg ins Stadion, das hatte eine unfassbare Energie. Ich war unglaublich berührt von der ganzen Situation, das fühlte sich so verdammt richtig an.

Und es war lustig. Ein Dortmunder, der schon gut einen im Tee hatte, fragte einen berittenen Polizisten: „Is it your horse?“ Unglaublich komisch. Mit dem Spruch habe ich ein T-Shirt bedruckt und es meinem Freund Achim zur Hochzeit geschenkt. Auch im Stadion war es absolut friedlich. Und wir hatten von der Stimmung her ganz klar die Oberhand. Die Engländer schossen zwar die Tore, aber die Show rissen die schwarz-gelben Fans im Auswärtsblock. Arsenal ist ja bekannt für sein Opernpublikum. Wir haben dann auch gesungen, „You only sing when you’re winning“. Leider haben sie dann tatsächlich gesungen – weil sie gewonnen haben. Und wir haben verloren. Aber dass wir 90 Minuten lang dagegen angesungen hatten, das machte die Niederlage irgendwie erträglich. Wir waren trotzdem stolz, als wir das Stadion verlassen haben. Die hatten uns zwar geschlagen, wir hatten aber trotzdem dieses Gefühl, dass wir es denen gezeigt haben. Ihr habt zwar mehr Geld und den besseren Stürmer, aber wir haben es euch richtig besorgt! Wir haben weiter in den Kneipen gefeiert und konnten am nächsten Tag lesen, wie sehr der Auftritt von uns Fans von der englischen Presse honoriert wurde. Auf der Insel haben sie ja eine ganz besondere Antenne für so etwas. „The Champions League will be poorer without them“, das war das Fazit. So etwas geht runter wie Öl.

Seit diesem Erlebnis spüre ich noch intensiver, dass ich den richtigen Verein habe. Wobei ich, seitdem ich in Köln wohne, auch regelmäßig hier ins Stadion gehe. Meine Freundin ist Köln-Fan, und die hat unsere Tochter einfach hinter meinem Rücken beim FC angemeldet. Unglaublich, eines Tages komme ich nach Hause, da steckt im Briefkasten das Mitglieder-Magazin. Ich frag kopfschüttelnd „Was ist das denn?“, da kam dann raus, dass sie unsere Tochter einfach beim falschen Verein angemeldet hat. Da muss ich also noch was geradebiegen, das sehe ich ganz eindeutig als Erziehungsauftrag. Obwohl, großartig Gedanken mache ich mir da nicht. Ich muss die Kleine nur ein Mal mitnehmen ins Westfalenstadion, dann ist sie hundertprozentig BVB-Fan. Wer ein Mal in diesem Stadion war und die Stimmung erlebt hat, um den ist es geschehen. Das ist nun mal so.

Der Text ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch „Dortmunder Jungs. Unser Leben für den BVB“, das gerade im Delius Klasing Verlag erschienen ist (192 Seiten, 22,90 Euro). Autoren des Buches sind Achim Multhaupt und Felix Meininghaus, der auch für den Tagesspiegel über Borussia Dortmund schreibt.

Wotan Wilke Möhring

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