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Bald wieder in deutscher Hand? Der Champions-Legaue-Pokal.

© AFP

Dortmund und Bayern in der Champions League: Der Erfolg ist zum Greifen nah

Bundesliga gegen Spanien – 8:1: Nach den Siegen von Bayern München und Borussia Dortmund im Champions-League-Halbfinale könnte es zum ersten Mal ein deutsch-deutsches Endspiel geben. Für Europas Fußball wäre es ein Machtwechsel.

Als José Mourinho, dieser große Fußballtrainer, gegen Mitternacht in den Kellergewölben der Dortmunder Arena aus dem Aufzug tritt, ist er auf der hässlichen Rückseite des Fußballs angekommen. In einer schlauchartigen Durchfahrt aus Beton, direkt unter der Osttribüne. Ordner und Journalisten tummeln sich hier, Kabelträger, Sanitäter, Polizisten und anderes Hilfspersonal, und auch ein paar Fans haben sich in die sogenannte Mixed-Zone geschmuggelt. Ein Pulk von Kameraleuten geht rückwärts vor Mourinho her und schlägt ihm eine Schneise durch das Gewusel. Auf halbem Weg zu Reals Mannschaftsbus bleibt der Portugiese plötzlich stehen. Kameraleute stolpern und rempeln, während sich Mourinho zu den Männern in den grauen Anzügen begibt, die gerade in einen Kleinbus steigen. Es ist das Schiedsrichterteam aus Holland. Mourinho gibt ihnen die Hand und sagt ein paar Worte. Er lächelt.

Der Trainer von Real Madrid ist so etwas wie der größte lebende Schiedsrichterfresser dieses Planeten. Niemand ist durch abstrusere Verschwörungstheorien aufgefallen als dieser kleine Mann mit dem großen Ego. Aber an diesem Abend, das weiß er – oder zumindest dürfte er es ahnen –, hat sich die Welt nicht gegen ihn verschworen. Seine Mannschaft, Real Madrid, der größte Klub der Welt, hat in Dortmund ein Debakel erlebt: 1:4 im Halbfinal-Hinspiel der Champions League.

Mourinho sieht erschöpft aus, fast matt, als er das Unerklärliche erklären soll. „Die bessere Mannschaft hat gewonnen“, sagt er. Man kann nur mutmaßen, was ihm ein solcher Satz abverlangt. Aber so ist es eben. Präsenter, aggressiver sei der BVB gewesen, „mental auch sehr stark“. Aber vor dem Einzug ins Finale von Wembley steht noch das Rückspiel. Mit einem 3:0 wäre Real weiter. Unmöglich? „Wir brauchen ein perfektes Spiel“, sagt Mourinho. Aber glaubt daran noch jemand? Außer Mourinho natürlich.

Das Spiel in Dortmund ist gerade zu Ende, da stürzt ein Fan im schwarzen BVB-Trikot die Treppen hoch zu einem Kumpel, der in der Vip-Loge sitzt. „Hömma!“, ruft er. „Glaubsse dat?“

Vielleicht hat es ein paar Optimisten gegeben, die für möglich gehalten haben, was in dieser Woche passiert ist. Dass Bayern und Dortmund mit zwei Siegen aus ihren Heimspielen gegen den FC Barcelona und Real Madrid hervorgehen. Aber dass die Deutschen nach zwei Vierteln dieses Länderspiels gegen Spanien mit 8:1-Toren führen? Nein, damit hat ganz sicher niemand gerechnet.

„Das ist ein Brett“, sagt Dortmunds Kapitän Sebastian Kehl über den 4:0-Erfolg des nationalen Konkurrenten aus München über Barcelona, den höchsten Sieg, den es je in einem Halbfinale der Champions League gegeben hat. „Aber unseres ist genauso dick.“

Noch ein Superlativ gefällig? Robert Lewandowski hat gegen Real als erster Spieler überhaupt vier Tore in einem Halbfinale erzielt, und als der Star des Abends von der Presse gestellt wird, schlängelt sich sein Kollege Mario Götze unbehelligt aus der Gefahrenzone. Er steigt in einen Mittelklassewagen mit dunklen Scheiben und lässt sich aus dem Stadion chauffieren. War da was? Vor den beiden Begegnungen gab es ein paar Themen, die die Spiele ein bisschen kleiner gemacht haben, als sie es verdient hätten. In München war es die Steueraffäre von Bayerns Präsident Uli Hoeneß, in Dortmund die Nachricht, dass Götze im Sommer für 37 Millionen Euro von Dortmund nach München wechseln wird.

Aber als es dann losgeht, zählt nur noch das Spiel. Hoeneß jubelt auf der Tribüne, als gäbe es keinen Staatsanwalt; Götze spielt, als wäre er nie beschimpft worden. Und auf den Rängen in Dortmund schreien die Menschen auch gegen den Frust an, dass sie ihren talentiertesten Spieler an den größten nationalen Konkurrenten verlieren werden. Sie hüpfen und singen, und am nächsten Morgen werden sie bei der Arbeit mit krächzender Stimme und schmerzendem Rücken von diesem unfassbaren Abend erzählen. „Das hat heute alles in den Schatten gestellt“, sagt Dortmunds Trainer Jürgen Klopp. „Ohne diese Atmosphäre wäre das Spiel so nicht möglich gewesen.“

Wenn den Bayern und den Dortmundern jetzt nicht noch der Himmel auf den Kopf fällt, wird der deutsche Fußball Ende Mai etwas erleben, was es nie zuvor in der Champions League gegeben hat: ein deutsch-deutsches Finale (im Uefa-Cup standen sich 1980 Borussia Mönchengladbach und Eintracht Frankfurt gegenüber). Über Jahrzehnte haben Engländer, Italiener und Spanier den europäischen Fußball beherrscht, während für die Klubs aus der Bundesliga allenfalls eine Nebenrolle abfiel. Seit Bayerns Triumph 2001 hat kein deutsches Team mehr einen Europapokal gewonnen. Im selben Zeitraum triumphierten die Mannschaften aus Spanien insgesamt neunmal in Champions League, Uefa-Cup und Europa League. Doch im internationalen Fußball scheint gerade etwas in Bewegung geraten zu sein.

Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandschef der Bayern, wirkte ganz beseelt, als er am Dienstagabend vor die Kameras trat. Ein Traum sei das, sagte er, die beste Mannschaft der Welt derart deutlich zu beherrschen und zu besiegen. Aber stimmt das überhaupt noch: das mit der besten Mannschaft der Welt?

Man sagt das so einfach über den FC Barcelona, der den Fußball in den letzten Jahren geprägt und beherrscht hat und ihm vor allem mit kunstvollen Passorgien ein neues Gesicht gegeben hat. Während die spanische Zeitung „Marca“ bei Barças Niederlage „eindeutige Symptome des Verfalls“ festgestellt hat, verkündet „As“ sogar schon „das Ende einer Ära“.

Für die Deutschen war der spanische Fußball Vorbild und Trauma zugleich

Real, Ajax, Bayern, Milan, Barça – die Geschichte des internationalen Fußballs in den vergangenen 60 Jahren ist eine Abfolge von Imperien, die aufsteigen und wieder zerfallen. Der Machtwechsel vollzieht sich schleichend, und es deutet einiges darauf hin, dass wir gerade einen solchen erleben. Barcelona hat in der Champions League nur mit Mühe überhaupt das Halbfinale erreicht. Schon zuvor, gegen den AC Mailand und Paris St. Germain, stand die Mannschaft am Rande des Ausscheidens. Auch Barças Alter Ego, dem spanischen Nationalteam, das seit 2008 alle internationalen Titel gewonnen hat, ist die Selbstverständlichkeit seines Spiels ein wenig verloren gegangen. Zuletzt mussten die Spanier sich in der WM-Qualifikation mit einem 1:1 gegen Finnland begnügen.

Für die Deutschen ist der spanische Fußball in den vergangenen Jahren Vorbild und Trauma gleichermaßen gewesen, an dem sie sich vergeblich abgearbeitet haben: 2008 scheiterte die Nationalmannschaft im EM-Finale an den Spaniern, 2010 bei der WM im Halbfinale. „Die Spanier beherrschen fast alles“, hat Bundestrainer Joachim Löw in einer Mischung aus Hochachtung und Verzweiflung einmal gesagt. „Wenn die Spanier nicht so überragend wären, hätten wir auf jeden Fall einen Titel gewonnen.“

So aber fehlt eben der Titel, der dem oftmals atemberaubenden Spiel dieser deutschen Fußballergeneration etwas Gültiges geben würde. Und wie man dafür den Spaniern beikommen soll, das ist das große Thema, nicht nur in Deutschland: Soll man ihren Stil kopieren oder etwas Eigenes dagegensetzen?

Ein bisschen von beidem könnte die Lösung sein. „Brutal und schön zugleich“ fand der englische „Daily Telegraph“ Bayerns Auftritt gegen Barcelona. Die Spiele in dieser Woche wirkten wie eine Wiederentdeckung der historischen deutschen Stärken – auf deutlich höherem spielerischen Niveau.

„Real Madrid hatte keine Idee: Was sollen wir machen?“, sagte Dortmunds Torschütze Robert Lewandowski, und sein Kapitän Sebastian Kehl meinte bei den spanischen Mannschaften generell Probleme mit der Art der Deutschen ausgemacht zu haben. Damit, „wie aggressiv wir sind, wie stark wir draufgehen. Das sind Real und Barça aus ihrer Liga nicht gewohnt.“

Bezeichnend war in dieser Hinsicht das dritte Tor der Bayern gegen Barcelona: wie der knochige Thomas Müller seinem Kollegen Arjen Robben mit einem Bodycheck den Weg frei sperrte. Müller ist ein Spieler, wie es ihn kein zweites Mal gibt. Er kann im Grunde nichts überragend gut, aber auch nichts richtig schlecht. „Die Kinder wollen immer irgendwelche Zaubereien sehen, Ball hoch halten, viermal um die eigene Achse und so was. Aber das war noch nie mein Fachgebiet“, sagt Müller. „Ich definiere mich über Effizienz und Geradlinigkeit.“

Ottmar Hitzfeld, der frühere Bayern-Trainer, hat schon gemutmaßt, dass Müller in der nächsten Saison Probleme bekommen könne, wenn Pep Guardiola die Bayern übernimmt. Guardiola, ein Verfechter des technisch feinen Spiels, hat den FC Barcelona zu dem gemacht, was er bis Dienstagabend war: das Beste, was dieser Sport zu bieten hat.

Und Müller? Passt er zu Guardiolas Fußball? Seit Dienstag könnte man auch fragen: Passt Guardiolas Fußball zu Müller und den Bayern?

Es sieht so aus, als hätten die Spanier in dieser Woche ihren Schrecken eingebüßt. Borussia Dortmund hat im laufenden Wettbewerb fünf Spiele gegen spanische Mannschaften bestritten – und kein einziges verloren. Bei Barça und Real standen sieben Spieler in den Startformationen, die vor neun Monaten mit Spanien den EM-Titel gewonnen haben. Bayern und Dortmund boten je sechs Nationalspieler auf. Joachim Löw könnte künftig nicht nur personell von der Arbeit der Bundesliga profitieren, sondern auch psychologisch. „Das sind hervorragende Erfahrungen für jeden Einzelnen“, sagt der Bundestrainer. In dieser Woche hat sich in Deutschland die Gewissheit verfestigt: Titel sind möglich. Mit dem Verein. Und im nächsten Sommer bei der WM in Brasilien dann mit der Nationalmannschaft?

„Es gibt kein Gegenmittel gegen den Glanz, mit dem die Bundesliga die Fußballwelt überstrahlt“, hat die spanische Zeitung „El Pais“ geschrieben. „Die Vereine sind nur die Avantgarde eines Machtwechsels, der auch die Nationalelf betreffen wird.“

Zur Jahrtausendwende hat der Deutsche Fußball-Bund in Zeiten großer Not seine Nachwuchsausbildung von Grund auf reformiert. Das Resultat ist nun zu sehen. Die Spieler, die gerade das Land entzücken, diese fabelhaften Götzes, Müllers und Gündogans, sind der erste Abschlussjahrgang, der aus den Akademien der Klubs ins Fußballerleben entlassen wurde. Es sind junge hungrige Männer Anfang 20. Ihre beste Zeit kommt erst noch.

Erschienen auf der Reportage-Seite.

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