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Sport: Dramatik vor dem Jubel

Deutschland siegt nach 1:3-Rückstand gegen Australien noch 4:3 und wird erneut Hockey-Weltmeister

Manchmal trifft das Schicksal einfach den Richtigen. Im WM-Finale waren nur noch wenige Sekunden zu spielen, als die Australier ihren letzten Angriff einleiteten. Luke Doerner lief über die rechte Seite, er versuchte, in den Schusskreis einzudringen, aber da stand Philipp Crone. Wer hat gezählt, wie viele Angriffe Crone während der Weltmeisterschaft gestoppt hat? Er stoppte auch den letzten, normalerweise haut er den Ball mit seinem schweren Holzknüppel weit nach vorne, aber diesmal stürmte er mit dem Ball los, als wäre er kein wuchtiger Haudrauf, sondern ein filigraner Dribbelkünstler. Die Zuschauer fingen an, die Sekunden herunterzuzählen. Sie waren gerade bei acht angelangt, da flogen die deutschen Schläger durch die Luft. „Ich war ganz kurz beunruhigt“, berichtete Crone, „weil kein Deutscher mehr den Schläger in der Hand hatte und noch acht Sekunden zu spielen waren.“ Die Stadionuhr aber hinkte der offiziellen Zeitmessung hinterher. Das Spiel war bereits zu Ende und Deutschlands Hockey-Nationalmannschaft durch ein 4:3 (1:2) gegen Australien zum zweiten Mal nach 2002 Weltmeister.

„Ich bin einfach sehr stolz, dass wir das geschafft haben“, sagte Bundestrainer Bernhard Peters, für den mit dem Erfolg gestern nach 21 Jahren die Tätigkeit beim Deutschen Hockey-Bund endete. „Die Willensleistung der Jungs war unheimlich stark.“ 1:3 hatte seine Mannschaft zurückgelegen, doch innerhalb von acht Minuten machten die Deutschen aus dem Rückstand ein 4:3. „Wenn du drei Tore in einem WM-Finale schießt, solltest du es eigentlich gewinnen“, sagte Australiens Kapitän Brent Livermoore. Für die Australier sind die Deutschen inzwischen so etwas wie ein großer Spaßverderber. Auch vor vier Jahren hatten sie im WM-Finale gegen Deutschland verloren, genauso 1992 im Endspiel um die olympische Goldmedaille.

Nach einem Erfolg der Deutschen sah es zu Beginn der zweiten Halbzeit allerdings nicht aus. Der Gastgeber war zwar vor der Pause durch Christopher Zellers siebtes WM-Tor in Führung gegangen, diesen Vorteil aber gab die Mannschaft viel zu schnell wieder aus der Hand. Noch in derselben Minute kamen die Australier nach ihrer ersten Strafecke zum Ausgleich. Timo Weß lenkte den Schlag von Mark Knowles ins eigene Tor, sechs Minuten später ging Australien durch Matthew Naylor sogar in Führung, wieder nach einer Strafecke. Torhüter Uli Bubolz war der Ball knapp über die Hand geflogen. „Das Spiel lief heute sehr bescheiden für mich“, sagte der Berliner. Trotzdem wurde Bubolz als bester Torhüter des Turniers ausgezeichnet.

Ausgerechnet im Finale kassierte Bubolz so viele Gegentore wie in keinem Spiel zuvor. Als die Australier mit dem ersten Angriff nach der Pause auf 3:1 erhöhten, schien sich der Traum von der erfolgreichen Titelverteidigung endgültig zu verflüchtigen. Aber die deutschen Spieler untersagten sich jeden Zweifel. „Das sind genau die Situationen, die wir vorher besprechen und die uns dann nicht mehr überraschen“, sagte Philipp Crone. Als Moritz Fürste, dem jüngsten deutschen Spieler, acht Minuten später der Anschlusstreffer gelang, wusste Crone, „dass wir gewinnen“. Bernhard Peters bemerkte an der Seitenlinie, „dass die Australier eine ganze Menge Angst hatten“, und die Deutschen nutzten dies. Björn Emmerling erzielte mit einem artistischen Lob den Ausgleich, Christopher Zeller gelang eine Viertelstunde vor Schluss nach einem entschlossenen Vorstoß der Siegtreffer. Es war das Ende einer perfekten Dramaturgie. Zeller war zwei Spiele ohne Tor geblieben, im Finale traf er zweimal.

Neben der mentalen Stärke war auch das Publikum wieder ein wichtiger Faktor für den Erfolg der Deutschen. „Der absolute Hammer“, sagte Björn Emmerling über den Radau, den die 11 000 Fans auf den Tribünen in Mönchengladbach veranstalteten. „Die Zuschauer sind komplett durchgedreht“, bemerkte Uli Bubolz. Nur Bernhard Peters, der sich über Jahre hinweg den Ruf erarbeitet hat, eine Kreuzung aus Rumpelstilzchen und HB-Männchen zu sein, schien das Inferno um ihn herum wenig zu beeindrucken. Während des Spiels saß er die meiste Zeit brav auf seinem Stuhl. „Man muss die Ruhe bewahren“, sagte Peters. „Manchmal gelingt mir das – oft nicht.“

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