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Sport: Dreimal Gold: Ullrich klettert auf den Olymp. Team Telekom teilt die Medaillen unter sich auf: Der Kapitän holt Gold, Winokurow Silber, der Berliner Klöden Bronze

Sydney. Jan Ullrich richtete sich schon 500 Meter vor dem Ziel auf, nahm die Hände vom Lenker und warf die Arme immer wieder jubelnd in die Höhe.

Sydney. Jan Ullrich richtete sich schon 500 Meter vor dem Ziel auf, nahm die Hände vom Lenker und warf die Arme immer wieder jubelnd in die Höhe. Kurz vor der Linie bekreuzigte er sich. Aberglaube, kein Glaube. Ein Solo zum Gold: Eddy Merckx hatte einst in diesem eindrucksvollen Stil seine großen Siege in den Straßrennen errungen.

Am vorletzten Anstieg war Jan Ullrich angetreten. Unwiderstehlich mit dem großen Gang, 53/17 Zähne. Die Sonne entflammte seinen Ehrgeiz, nachdem der Regen am Morgen seine Moral zu ertränken schien und er "am liebsten zum Flughafen gefahren" wäre. Nun war es sein Wetter. Alexander Winokurow und Andreas Klöden hingen sich dran, keine Konkurrenten, sondern zwei Kameraden.

Jan Ullrich wartete sogar, nahm die beiden Teamgefährten mit zum großen Coup der Telekom: In einer Art Mannschaftszeitfahren rauschte das Trio wie ein ICE über den Kurs. Auch die hartnäckigsten Verfolger, die beiden Italienern Michele Bartoli und Paolo Bettini, resignierten bald. Drei Fahrer aus zwei Nationen, aber aus einem Profiteam, "die sich blind verstehen und gut harmonieren" (Jan Ullrich), hatten die Medaillen sicher. Die drei von der Telekom mussten die Metalle nur noch unter sich aufteilen. Die Reihenfolge war klar: Jan Ullrich, der große Initiator, der Stärkste im Peloton und der Chef des Trios, holte sich das verdiente Gold mit einem eindrucksvollen Solo auf den letzten vier Kilometern.

Das 239,4 km lange Rennen im Süden Sydneys war das bestbesetzte der Saison mit drei Tour-Siegern (Ullrich, Pantani, Armstrong) und drei Weltmeistern (Olano, Camenzind und Freire). Was Rang und Namen hat, war am Start. Nach seinem WM-Sieg als Amateur 1993, dem Tour- und Vuelta-Triumph 1997 und 1999, dem WM-Titel im Zeitfahren 1999 hängt Jan Ullrich zu all den Trikots im Trophäenschrank nun die Goldmedaille. Das Gold in Sydney entschädigte den Tour-Zweiten für das entgangene Gelb in Paris. Jubelnd als Solist rollte auch Alexander Winokurow neun Sekunden später als Zweiter dem Ziel entgegen zur ersten Medaille Kasachstans. Mit feuchten Augen dankte der Kasache Jan Ullrich, "dass er mich mitgenommen hat". Andreas Klöden folgte mit weiteren drei Sekunden Abstand und feierte die Bronzemedaille wie einen Sieg. "Alex fährt schon das ganze Jahr sehr gut und macht gute Arbeit. Da gab es keine Probleme um Platz zwei und drei zwischen uns beiden ",sagte Klöden zur internen Medaillenverteilung im Team Telekom.

Sie konnten sich Zeit lassen. Es drohte keine Gefahr: Der Vierte, Bartoli, hatte 1:26 Minuten Rückstand. Gold nach Gelb, Sieg in der olympischen Königsdisziplin des Radsports nach dem Triumph bei der Tour de France - das hat noch keiner geschafft (Miguel Indurain wurde in Atlanata Olympiasieger im Zeitfahren). "Damit habe ich wirklich nicht gerechnet", strahlte Ullrich unter seinem kurzen Haarschnitt. "Nach Weltmeisterschaft und den großen Rundfahrtsiegen ist das wieder ein Riesenerfolg in meiner Karriere. Ich habe darauf hingearbeitet. Es hat sich gelohnt."

Eigentlich hatte Ullrich das Gold erst am Sonnabend holen wollen, im Zeitfahren. Und nicht in der "Lottiere", wie Lance Armstrong das olympische Straßenrennen bezeichnet hatte. Doch die Doppelstrategie des deutschen Teams führte zum Sieg. Erik Zabel, der Sprinterkönig und Klassikersieger, war der Favorit. Die Konkurrenz orientierte sich an dem schnellen Deutschen. Mit seiner Attacke auf der vorletzten der 14 Runden wollte Ullrich auch nur "die Gruppe verkleinern". Und plötzlich war sie so klein, dass nur noch die drei Telekomfahrer übrig blieben. Mit Tempo 47, der schnellsten Runde, stürmte das Trio davon. Armstrong, der Toursieger, zeigte sich auf einmal. Zu spät hatte der Amerikaner die Taktik der Deutschen durchschaut - und den Ehrgeiz des großen Rivalen für das Zeitfahren unterschätzt. Armstrong wurde mit anderthalb Minuten Rückstand 13. Zabel gewann nach ihm den Spurt des Hauptfeldes um Platz 14.

Natürlich habe er im Vorfeld von Olympia angekündigt, er würde sich auf das Duell mit Armstrong konzentrieren, sagte Ullrich. "Aber das, was ich fahre, mache ich auch hundertprozentig und schone mich nicht wie Lance, der heute nur mitgefahren ist." Mit dem goldbeladenen Deutschen im Rücken steht der Amerikaner plötzlich unter Druck. "Wenn ich Lance geschockt habe ist es gut", sagte der Olympiasieger gelassen. "Wenn nicht, ist es auch egal." Jan Ullrich hat den Olymp bereits erklommen.

Hartmut Scherzer

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