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Nichts geht mehr. Am Ende aller Qualen fehlt den Ruderern des Deutschland-Achters die Kraft, um die Goldmedaille zu feiern. Foto: dapd

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Sport: Durch die Hölle zum Gold

Überraschend früh attackieren die britischen Ruderer den DEUTSCHLAND-ACHTER, aber der geht bis an die Schmerzgrenze und siegt am Ende mit souveränem Vorsprung.

Als die Schmerzen barbarisch waren, als die Hünen im Boot das Gefühl hatten, tausend Messer würden in ihre ausgepumpten Körper dringen, da brach auf der Tribüne die Hölle los. Der Lärm von 30 000 Zuschauern zog wie eine Welle über das Wasser des Dorney Lake. Die Achter hatten die Zuschauerränge erreicht, sie glitten an der 1500-Meter-Marke vorbei, und ganz vorne lieferten sich die Deutschen und die Briten einen dramatischen Zweikampf. Nur 0,2 Sekunden lagen die Briten zurück, 500 Meter vor dem Ziel. 500 Meter noch bis Gold, 500 Meter bis zur Sensation. Dem Sieg über den Deutschland-Achter, über das Boot, das seit 35 Rennen ungeschlagen ist.

Jetzt hatten sie das deutsche Boot, wo sie es haben wollten. Sie lagen parallel zu den Konkurrenten vor tobenden Zuschauern, die ihnen einen Schub für den letzten Abschnitt geben sollten.

Aber 500 Meter weiter und gut eine Minute später zeigten die Deutschen die entscheidende Geste. Ihre Muskeln brannten, sie japsten nach Luft, aber die Kraft zur Siegerfaust hätten sie auch noch aufgebracht, wenn sie kurz vor dem Sturz ins Wasser gewesen wären. In diesem Boot waren alle am Ende. Andreas Kuffner lag mit dem Rücken völlig erschöpft auf dem bebenden Oberkörper von Filip Adamski, Florian Mennigen pumpte mit hochrotem Kopf nach Luft. Auch Schlagmann Kristof Wilke hatte sich nach hinten gelehnt. Er erholt sich noch am schnellsten. Mühsam erhob er sich und deutete die Triumphgeste von Usain Bolt an. Die Kraft, vollendet einen Bogenschützen zu imitieren, hatte er nicht.

Der Deutschland-Achter ist Olympiasieger. Er hat Gold geholt, „nach dem geilsten Rennen, das ich je erlebt habe“, keuchte Lukas Müller auf dem Steg. Die Briten wurden Dritte, völlig erschöpft, am Ende ihrer Kräfte. Sie hatten sich überschätzt und die Kandier noch passieren lassen müssen.

Die Schmerzen und die Qualen, welche die deutschen Ruderer für dieses Gold in Kauf nahmen, waren so extrem, dass Florian Mennigen noch zehn Minuten nach dem Rennen auf dem Steg gestützt werden musste. Auch Kuffner konnte sich nur mit zitternden Schritten vorwärts bewegen. Die Briten hatten die Deutschen dazu gezwungen, schon früh an die Schmerzgrenze zu gehen. „Die haben schon bei 750 Metern attackiert. Da mussten wir reagieren“, sagte Maximilian Reinelt, mit 23 Jahren der Jüngste im Boot. Normalerweise fährt der Deutschland-Achter einen klaren Vorsprung heraus und verteidigt diesen dann, im Vertrauen darauf, dass sein Endspurt den Sieg sichert. Doch die Briten wollten die Deutschen auf der Strecke stellen und dann, gepuscht durch ihre grandiose Kulisse, auf den letzten 500 Metern den deutschen Endspurt kontern.

Mit so einer frühen Attacke hatte niemand gerechnet. „Wir mussten unsere Taktik umstellen“, sagte Schlagmann Wilke. Üblicherweise beginnen die Deutschen bei 1500 Metern ihren Schlussspurt. „Aber diesmal hatten wir schon ab 1000 Metern gespurtet“, sagte Reinelt. Der Schlussspurt ist die schlimmste Phase, „da werden die Schmerzen so groß, wie man es sich gar nicht vorstellen kann“, erzählte Kuffner. Jetzt mussten sie diese Qualen früher als normal ertragen. „Da muss man irgendwie durch. Man weiß, dass man die letzten 500 Meter überlebt“, sagte Reinelt. Er hoffte, dass das Boot vor den Briten liegen würde, wenn sie die Tribünen erreichen. „Wenn die Briten diesen Lärm hören, dann fahren die ja in einen Tunnel, das ist gefährlich.“ Der Lärm war höllisch, aber den Briten gingen die Kräfte aus. „Und wir haben ein Fass aufgemacht“, sagte Reinelt stolz. Am Ende siegte der Deutschland-Achter mit souveränem Vorsprung.

Ein paar Meter weiter stand Bundestrainer Ralf Holtmeyer, der Mann, der diesen Achter zu einer nie da gewesenen Größe geformt hat. 36 Siege in Folge, ungeschlagen in einem Olympiazyklus, das hat es weltweit in der Geschichte des Achters noch nie gegeben. Holtmeyer war die Spannung noch anzumerken, er konnte sich noch nicht richtig freuen. „Belgrad war eine wichtige Erfahrung für dieses Rennen“, sagte er. Beim Weltcup in Belgrad hatten die Briten ebenfalls früh attackiert. „Die wollten sehen, wie wir reagieren, wenn wir nicht vorne sind“, sagte der Bundestrainer. Die Deutschen reagierten so: Sie zogen mit einem gewaltigen Schlussspurt ins Ziel. Den Briten aber gingen die Kräfte aus. Auch deshalb rechnete Holtmeyer nicht mit einer Wiederholung dieser Taktik.

Die Besatzung der Deutschland-Achters ist eine Zweckgemeinschaft, sie verbindet erst mal nur der Wille zum Erfolg. Ansonsten aber tritt sie nicht als homogene Gruppe auf. „Aber feiern werden wir zusammen“, sagte Holtmeyer.

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