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Effenberg, van Bommel und Co: Die Leitwölfe sterben aus

Rüpel wie Effenberg oder van Bommel haben ausgedient. Die Hierarchien in den Mannschaften sind flacher, Zeichen im Spiel setzt man nicht mehr durch ein fieses Foul. Auch im Fußball geht Führen jetzt anders.

Das wäre in Deutschland nicht gepfiffen worden. Sagte zumindest Trainer Massimiliano Allegri, als Mark van Bommel in seinem ersten Spiel für den AC Mailand nach mehreren Fouls mit Gelb-Rot vom Platz musste. Der FC Bayern hatte den Vertrag mit dem einst von Ottmar Hitzfeld so getauften „Aggressiv-Leader“ im Winter aufgelöst. „Er war ein großartiger Kapitän“, sagte Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge. Van Bommel ging gerade noch rechtzeitig. Nicht weil er 33 Jahre alt ist und man damit nur noch für Milan im besten Fußballeralter ist, sondern weil ein Fußballrüpel im klassischen Sinne nicht mehr als Führungsspieler gebraucht wird. Nicht erst seit der Weltmeisterschaft, bei der die deutsche Nationalmannschaft mit flacher Hierarchie und ohne Capitano Michael Ballack begeisterte, steht in Frage, ob ein Team überhaupt einen hervorstechenden Anführer benötigt.

Lange Zeit hieß es, dass jede Mannschaft einen Spieler braucht, der die anderen nicht nur durch sein Brüllen aus ihrer Lethargie reißt, sondern auch einmal dazwischenhaut. Der, so sagte man dann, ein Zeichen setzt. Für die Mitspieler, für den Gegner, für die Fans. Einen Stefan Effenberg also. Der Größte aller „Aggressive Leader“ und heutige Experte wurde nicht müde darauf hinzuweisen, dass der Weggang van Bommels für die Münchner ein schwerer Verlust sein würde. Natürlich wurde auch nach dem Aus in der Champions League in letzter Minute gegen Inter Mailand gesagt, dass Mark van Bommel dies zu verhindern gewusst hätte. Das ist aber eine reflexhaft bemühte Erklärung für etwas, das man nicht schlüssig erklären kann. In der Bundesliga standen die Münchner mit Kapitän van Bommel auf Platz sechs, jetzt sind sie Dritter. Und niemand außer Stefan Effenberg vermisst ihn.

Überhaupt muss suchen, wer solche „Typen“ in der Bundesliga finden will. Außer Maik Franz, dem großen Provokateur von Eintracht Frankfurt, fallen einem auf Anhieb gar nicht so viele ein. Der bei den gegnerischen Profis wegen seiner Fallsucht unbeliebte David Jarolim hat seinen Stammplatz beim Hamburger SV verloren. Jarolim hat sich mal gegen Bielefeld an der Strafraumlinie fallen gelassen und beim folgenden Tumult seinem Gegenspieler Markus Schuler zwischen die Beine gekniffen. Eine Rote Karte und ein negatives Zeichen für die Mannschaftskollegen – das zeigt, in welchem Bereich sich die oft selbsternannten Alphatiere des Fußballs bewegen.

Die Schwalbe und die Tätlichkeit sind allseits geächtet. Die Diskussionen beginnen bei dem „herausgeholten“ Freistoß, dem eigenen taktischen Foul, mit dem ein gefährlicher Konter verhindert wird oder der Grätsche in den Anfangsminuten, um sich Respekt zu verschaffen. „Ich foule nie mit Absicht. Das passiert halt mal“, sagt Mark van Bommel, der außerhalb des Platzes wie auch Maik Franz ein sehr angenehmer Zeitgenosse ist. Angesichts seiner ungezählten Nickligkeiten und Aktionen auf dem Feld, die gemein sind und dem Gegenspieler Schmerzen bereiten, klingt es trotzdem höhnisch.

Van Bommels Spielweise hat einen destruktiven Grundgedanken, der aber an Wertigkeit verliert, wenn die Konstruktion eigener Angriffe im Vordergrund steht. Früher gab es noch richtiger Treter wie Dirk Schuster oder Uli Borowka, jetzt ist auch die Herangehensweise van Bommels langsam obsolet. Solange es einen Gegner zu bekämpfen gilt und Zweikämpfe gibt, wird auch die Unfairness zwischen 22 Männern bestehen bleiben. Die Wahl der Mittel ändert sich allerdings nicht nur wegen der überall postierten Fernsehkameras, auch die sichtbaren Eigenschaften eines Führungsspielers werden infrage gestellt.

„Ich denke, unsere Generation bringt eher Leute hervor, die nicht auf dem Platz herumschreien, sondern genug Feingefühl haben, um zu merken, wenn jemand Hilfe braucht“, sagt Nuri Sahin vom Tabellenführer Borussia Dortmund. Ähnlich sieht es der Mainzer Lewis Holtby. „Jetzt reift eine Generation heran, in der das Kollektiv an Bedeutung gewinnt. Wir pushen uns gegenseitig, und wir jungen Spieler sind gewillt, Verantwortung zu übernehmen. Da ist Borussia Dortmund ein gutes Beispiel, wo eine Gruppe zusammenwächst, die auch privat sehr viel gemeinsam unternimmt.“ Das hat Holtby auch in der Nationalmannschaft beobachtet, in die seiner Meinung nach ein Alphatier nicht mehr reinpassen würde.

Der Deutsche Fußball-Bund in Person von Sportdirektor Matthias Sammer legt viel Wert auf die Charaktereigenschaften der jungen Profis, ein wichtiger Teil ihrer Ausbildung. Das hat seinen Sinn auch darin, dass Bundestrainer Joachim Löw ein Spiel möchte, in dem der Ball in einem fairen Zweikampf erobert und kein Freistoß verursacht wird. Statt der Art van Bommels also die der Bender-Zwillinge, die so etwas wie der Prototyp des gefragten Spielers sind. Sie spielen in der klassischen Position der Anführer im Mittelfeld und scheuen keinen harten Zweikampf, um an den Ball zu kommen, vor allem aber leiten sie schnell einen eigenen Angriff ein, wenn sie ihn haben. Das so genannte Umschalten ist der wichtigste Moment im derzeitigen Fußball, die wahren Zeichen werden hier gesetzt.

Wer das gut kann, ist natürlich noch lange kein Führungsspieler. Am Beispiel von Leverkusens Arturo Vidal kann man sehen. was diesen ausmacht. Vidal ist seit 2007 in der Bundesliga und galt in den ersten Jahren als rustikaler Grätscher, der permanent vom Platzverweis bedroht ist. Vidal hat sich aber zu einem der Anführer in Leverkusen entwickelt, der neben seinem unermüdlichen Einsatz vor allem durch seine spielerische Klasse überzeugt. Die Transfergerüchte, nach denen Vidal in München als ein Nachfolger van Bommels im Gespräch ist, zeigen die Entwicklung der gefragten Führungsspieler auf. Neben Vidal ist in Leverkusen auch noch Platz für den stets die alleinige Führung beanspruchenden Capitano Ballack. Der wird aber nicht mehr im Vordergrund stehen.

Der ehemalige Bundesliga-Trainer Hans-Dieter Tippenhauer, der Ende der Siebzigerjahre mit Fortuna Düsseldorf den DFB-Pokal gewann und das Endspiel im Europapokal der Pokalsieger erreichte, hat zu dem Thema im vergangenen Jahr seine Dissertation im Fach Sportpsychologie vorgelegt. Für „Der wahrgenommene Einfluss von Führungsspielern in der Fußball-Bundesliga“ hat er einen Fragebogen an Spieler, Trainer und Journalisten geschickt. Demnach sind jene Fußballer Führungsspieler, die generell Einfluss auf den Trainer, die Mitspieler und die Medien haben. Davon, dass man sich den auf dem Platz durch klassische Leitwolfaktionen verschafft, ist nicht die Rede. Zentrales Ergebnis der Befragung ist, dass jede Mannschaft nicht einen, sondern drei bis vier Führungsspieler hat. Die Trainer nehmen sogar mehr Spieler in einer solchen Rolle wahr als die Profis.

In einer Gruppe werden immer welche sein, die den Ton vorgeben. Fragt sich nur, welchen.

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