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Sport: EHC Eisbären: Ein paar Umzugskisten in Tokio

Wegen der einzigartigen Dachkonstruktion nennen die Fans des EHC Eisbären ihre Eishalle im Sportforum Hohenschönhausen liebevoll Wellblechpalast. Ab 7.

Wegen der einzigartigen Dachkonstruktion nennen die Fans des EHC Eisbären ihre Eishalle im Sportforum Hohenschönhausen liebevoll Wellblechpalast. Ab 7. Oktober heißt die Arena sogar offiziell so. Schade eigentlich, ist doch die gläserne Wandverkleidung noch beeindruckender als das Dach aus Blech. Geht beim Training oder einem Spiel der Eisbären aus der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) ein Schuss an den Fangnetzen vorbei, dann klirrt schon mal eine Scheibe.

An diesem Morgen muss der Glaser nicht bestellt werden. Fast alle Spieler der Eisbären sind schon in der Kabine, und der letzte der noch auf dem Eis steht, schießt nicht daneben. Oben links, oben rechts - kein Puck verfehlt das Ziel. Manager Peter John Lee beobachtet die Sonderschicht: "Wahnsinn, was der für einen Schuss hat." "Der" heißt Chris Marinucci, er ist ehrgeizig und deshalb unzufrieden mit sich. Ein Tor, vier Vorlagen - so lautet seine Statistik aus acht Spielen beim EHC. "Ich bin noch nicht in Form", sagt Marinucci, ahnend, was für eine Frage nun kommt. Zwar war der US-Amerikaner vergangene Saison Topscorer seines Klubs und Meister, aber das war in Japan.

Mancher mag da schmunzeln. Zu frisch ist bei den Eisbären noch die Erinnerung an den in der Vorsaison geschassten Trainer Glen Williamson. Der Kanadier hatte als Referenz zwei japanische Meistertitel mit dem Seibu Railway Team im Gepäck, wurde ob seines Misserfolges beim EHC von den Fans aber bald als "japanischer Eismeister" verhöhnt. Marinucci hat davon gehört, kann dazu aber nichts sagen. "Williamson? Der war schon weg als ich nach Japan kam, wir kennen uns nicht."

Marinucci wurde zwar nicht wie Williamson von einer Eisenbahn-Gesellschaft entlohnt, sondern von der Hotelkette Kokudo. Aber der Ruf des Kuriosen eilt dem japanischen Eishockey nun mal voraus. Firmenmannschaften, kreischende Teenager auf den Rängen, dazu noch schmucklose Hallen aus grauem Beton, gegen die das Sportforum geradezu gemütlich wirkt. Und mal ehrlich, das Häschen im Vereinslogo der Kokudo Bunnies aus Tokio lächelt so unverschämt niedlich - wird da überhaupt richtiges Eishockey gespielt? Der 1.80 Meter messende, stämmige Marinucci lacht. "Natürlich ist das Niveau dort viel niedriger als in Amerika oder Europa."

Das Leben in Japan wirkt auf den Europäer geschäftig und hektisch, trotzdem geordnet. Dies scheint sich im Eishockey nicht widerzuspiegeln, um diese Erfahrung ist Marinucci nach einem Jahr in Tokio reicher. "In Japan wird ohne System gespielt, das ist ein einziges Gewusel auf dem Eis. Aber die Atmosphäre in den Stadien ist einmalig. Eishockey hat dort eine sehr treue Anhängerschaft. Mir hat es gut gefallen, ursprünglich wollte ich ein paar Jahre in Tokio bleiben." Daraus wurde nichts, im Sommer beschloss der japanische Verband, in der ersten Liga keine Ausländer mehr zuzulassen.

Der plötzlich Abschied vom Vorruhestand in Asien stellte Marinucci vor Probleme. Ein Teil seines Hausrats befindet sich immer noch in Tokio. "Ich habe schon ein paar Faxe nach Japan geschickt, hoffentlich kommen meine Sachen bald." Aber als Umzugs-Profi ist Marinucci ans Improvisieren gewöhnt, Berlin ist bereits die neunte Station in der Karriere des 29-Jährigen, der es in der National Hockey League (NHL) nur auf ein paar Spiele bei den New York Islanders und den Los Angeles Kings brachte, sich ansonsten in der International Hockey League (IHL) verdingte.

Marinucci stammt aus Grand Rapids in Michigan, wo Eishockey Sportart Nummer Eins ist, eben einen anderen Status hat als in Japan. Die DEL liegt irgendwo zwischen den USA und Japan, für Marinucci ist sie nach der Asien-Exkursion noch eine Herausforderung. Wie lässt sich ein Jahr Japan am schnellsten verarbeiten? "Ich muss viel trainieren, lockerer werden, dann klappt das schon noch hier", sagt Marinucci und geht in die Kabine. Keine Scherben, alle Scheiben im Wellblechpalast sind heil geblieben. Ein gutes Omen für den Stürmer und seine blendend in die Saison gestarteten Eisbären für das Spiel am Mittwoch gegen die Iserlohn Roosters (Beginn 15 Uhr, Sportforum)?

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