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Wenn die Kameras aus waren, zog sich Sascha Lewandowski meist zurück.

© dpa

Ehemaliger Trainer des 1. FC Union Berlin: Sascha Lewandowski - Hingabe, bis in den Tod

Sascha Lewandowski, früherer Trainer von Union Berlin, verstirbt im Alter von 44 Jahren. Über einen Fußball-Liebhaber mit besonderer Gabe. Ein Nachruf.

An einem Tag im Herbst, draußen prasselte der Regen und Dunkelheit legte sich gerade über das Trainingsgelände des 1. FC Union Berlin, da wirkte Sascha Lewandowski glücklich. Wenige Minuten zuvor hatte er noch auf dem Platz gestanden und eine Übungseinheit geleitet. Eine „richtig ordentliche“, wie er sagte. Mit viel Tempo, rasanten Zweikämpfen und Emotionen. Nun saß er im kleinen Kreis und redete über sein Lieblingsthema: Fußball. Über Taktik und Trainingslehre, Spieler und Mannschaften. Mit den Händen redete er, den Füßen und den Augen. Mal gestikulierte er, mal schüttelte er den Kopf, mal verzog er den Mund. Sascha Lewandowski besaß die Gabe, so mitreißend über Fußball sprechen zu können, dass selbst der größte Sportmuffel einen Augenblick später nach Schuhen verlangt hätte.

Nur eines konnte er nicht: seine Gedanken in eine andere Richtung lenken. „Während der Saison denke ich 24 Stunden an Fußball“, sagte er einmal und vermutlich war es diese Obsession, die ihn erst krank machte und dann das Leben kostete. Am Mittwoch fand ihn die Polizei leblos in seiner Bochumer Wohnung auf. Zur Todesursache und den Hintergründen wollten sich Polizei und Staatsanwaltschaft nicht äußern, schwebendes Verfahren. Sascha Lewandowski wurde 44 Jahre alt.

Vom Fußball konnte er nicht abschalten

Dass ihm die totale Hingabe für seinen Beruf nicht gut tat, war bekannt. Kurz vor Weihnachten, nur wenige Monate nach Antritt beim 1. FC Union sah er abgespannt aus. Die Wangenknochen stachen hervor, in den Augen blitzte und funkelte es nicht mehr. Leere, nur Leere. Nach Hause wolle er, abschalten, Freunde treffen, Ferien machen, sagte Lewandowski und tat es doch nicht. Stattdessen telefonierte er täglich mit potenziellen Neuzugängen und schickte Kurznachrichten in Sprachen, die er nicht verstand. Mit dem Wörterbuch und mit Übersetzungsprogrammen baute er aus Wörtern Sätze. „Buenos dias, como estas?“ Der spanisch sprechende Fußballer aus Ecuador, der am Ende doch woanders unterschrieb, sollte merken, dass da einer ist, der sich für ihn interessiert.

Nur, wer interessierte sich für Lewandowski, den Trainer?

Aufeinander zu achten ist im Fußballgeschäft nicht üblich. Leistungsdruck und Ungewissheit bestimmen den Alltag von Spielern und Trainern. Einige macht das krank, bekannt werden aber nur die wenigsten Fälle. Sebastian Deisler, Ralf Rangnick oder Breno machten Burnout und Depressionen öffentlich. Es folgte ein kurzer Aufschrei, ein flüchtiger Blick auf die Thematik und schon rollte der Ball weiter.

So auch im Fall von Sascha Lewandowski. Ende Februar gaben Verein und Trainer ihre Trennung bekannt. Lewandowskis Burnout-Erkrankung machte eine Weiterbeschäftigung unmöglich. Das wirkte wie Pech, wie ein unglücklicher Wink des Schicksals, nicht wie Scheitern. Scheitern, auch das stammt von Lewandowski, „ist keine Option“. Verein und Fans verabschiedeten ihn vor dem Spiel gegen Karlsruhe mit Sprechchören und Spruchbändern, dann übernahm André Hofschneider.

Die Aufgabe in Berlin war stets gewaltig gewesen für Lewandowski. Ein Klub, reich an Tradition und arm an struktureller Breite, der in die Bundesliga strebte. Zu den besten Zwanzig des Landes wolle man bald gehören, verkündete Präsident Dirk Zingler und Lewandowski sollte Union dort hinführen. Er, einer der talentiertesten Trainer Deutschlands, hatte sich bewusst für einen Zweitligisten entschieden. „Weil nicht immer nur die rationalen Dinge im Leben Spaß machen“, sagte Lewandowski und versuchte, den Eindruck einer Bauchentscheidung zu erwecken.

Er überlegte sich alles bis ins kleinste Detail

Nur war er alles andere als einer, der emotionale Entscheidungen trifft. Bei einem früheren Engagement hatte er zusammen mit Sami Hyypiä ein Trainer-Duo gebildet. Lewandowski, der nie selbst im Profibereich gespielt hatte, galt als Hirn. Hyypiä, der ehemalige Weltklasse-Verteidiger, war der Bauch. Hirn und Bauch waren oft anderer Meinung, aber zusammen arbeiteten sie erfolgreich.

Lewandowski überlegte sich Dinge bis ins kleinste Detail und kannte das Geschäft. Er wusste, dass er nach den geplatzten Engagements bei Eintracht Frankfurt, Schalke 04 und RB Leipzig wieder einen Job brauchte, um nicht vom Trainerkarussell herunterzufallen. Den Status eines Pep Guardiola oder eines Thomas Tuchel, die einfach so ein Sabbat-Jahr einlegen konnten und trotzdem mit Anfragen überhäuft wurden, besaß er nicht. Union könnte ihn auf der Karriereleiter weit nach oben bringen oder seine Laufbahn ruinieren.

Wenige Wochen nach seiner Ankunft beschlich Lewandowski das Gefühl, Letzteres werde immer wahrscheinlicher. Sein Training war anspruchsvoll, zu anspruchsvoll für Spieler, die sich den Großteil ihres Lebens in der Zweiten Liga verdingt hatten. Niemand von ihnen hatte je in Regionen gespielt, in denen Lewandowski unterwegs war als Trainer. Bayer Leverkusen, Champions League, Bundesliga-Spitze.

Der Ton wurde rauer, Lewandowski zog sich immer mehr zurück. In seine Trainerkabine, manchmal für Stunden. Dort studierte er Filmmaterial, analysierte die eigenen Trainingseinheiten und den kommenden Gegner. Zu Hause, das war in Berlin ein Hotel. Niemand wartete dort auf ihn. Seine Lebensgefährtin, eine Journalistin, lebte weiterhin im Westen. Sie war vor ihrer Abreise zur Europameisterschaft vermutlich die Letzte, die ihn lebend sah.

In seinem beruflichen Umfeld ließ er kaum jemanden an sich ran. Lewandowski blieb bis zuletzt unnahbar, selbst seine engsten Mitarbeiter wussten nie, was wirklich in ihm vorging. Je länger er in Berlin lebte, desto stärker schwankte seine Stimmung. Da gab es den Sascha Lewandowski, der im Licht der Kameras lächelte und der, der in sich versank, wenn sie wieder abrückten.

Nach seinem Abschied aus Berlin zog er sich ins Private zurück, doch anstatt besser ging es ihm immer schlechter. Einmal besuchte er mit seiner Lebensgefährtin das Bochumer Schauspielhaus. Schweißgebadet saß er auf seinem Sitz, nach zehn Minuten verließ er den Saal. Eine Panikattacke? Seine Lebensgefährtin rief und fragte, ob jemand ihren Mann gesehen hätte, den Fußballtrainer, aber niemand wusste eine Antwort. Sascha Lewandowski war selbst seinem engsten Umfeld entglitten.

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