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Vom eigenen Weg abgekommen. So spielte die Mannschaft von Löw bei der EM. Speziell im Halbfinale gegen Italien wurden Fehler gemacht, auch vom Bundestrainer. Foto: dpa

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Sport: Ein bisschen Demut

Joachim Löw äußert sich erstmals seit dem EM-Aus. Von der Wucht mancher Vorwürfe zeigt sich der Bundestrainer teils getroffen, teils ermüdet – von seinem Konzept aber will er nicht abweichen.

Joachim Löw würde einen prima Leitwolf abgeben: einen, der seine Jungs gegen alle Widerstände verteidigt, bei Kritik nicht einknickt, sondern sich erst recht herausgefordert fühlt und gerade in schwerer Zeit, wie man so schön sagt, Zeichen setzt. Leider hat der Leitwolf in der Welt des Joachim Löw keinen Platz mehr. An der zyklisch auftretenden Jammerdebatte über fehlende Führungsspieler und ausgestorbene Leitwölfe im deutschen Fußball will er sich künftig jedenfalls nicht mehr beteiligen. Sie gehört zu den Themen, die Löw nach eigener Aussage immer mehr ermüden. „Viele Mannschaften mit ihren klassischen Führungsspielern sind bei der EM lange vor uns nach Hause gefahren“, sagt der Bundestrainer.

Seine Mannschaft hat es immerhin ins Halbfinale geschafft. Aber was heißt das schon: immerhin? Das große Publikum hat das Abschneiden der deutschen Fußballer bei der EM eher als Enttäuschung empfunden. Löw stimmt mit dieser Deutung offensichtlich nur bedingt überein. Natürlich weiß er, dass sich das Turnier angesichts der allgemeinen Erwartungen im Nachhinein nur schwer zum Erfolg umdeuten lässt, aber als Bundestrainer zählen für Löw Fakten mehr als Emotionen. Wie sehr ihn das Ausscheiden im Halbfinale angefasst hat, wie sehr er sich selbst dafür in die Pflicht nimmt – das behält er weiterhin für sich.

46 Tage sind seit der Niederlage gegen Italien vergangen, 45 davon hat sich Löw der Öffentlichkeit entzogen. Am Montagmittag sitzt er in einem Zelt neben der Frankfurter Arena, in der die deutsche Mannschaft am Mittwoch gegen Argentinien spielt. Es ist das erste Mal seit dem Rückflug aus Polen, dass sich der Bundestrainer wieder äußert. „Die sportliche Kritik nehme ich an, mit allem Verständnis und mit aller Demut“, sagt er. Doch demütig wirkt Löw keineswegs, eher entschlossen und angriffslustig.

Seit sechs Jahren ist Löw Bundestrainer, er weiß natürlich, dass es in diesem Amt auch auf die Wirkung ankommt. Sein Auftritt ist entsprechend perfekt vorbereitet und mit seinen PR-Beratern abgestimmt. Löw spricht zwar frei, doch manchmal merkt man, wie er nach einem abgehandelten Thema im Kopf den nächsten Komplex aufruft, der auf seinem imaginären Spickzettel steht. 25 Minuten dauert der Monolog. Als Löw fertig ist, fragt Pressesprecher Harald Stenger: „Gibt es noch Fragen?“

Neben der sportlichen Kritik, etwa an Löws Aufstellung gegen Italien und seinem taktischen Plan, gab es im unmittelbaren Nachlauf der EM auch eine Menge unsportlicher Kritik, die vom Boulevard bis in die Mitte der Gesellschaft getragen wurde – und die Löw sichtlich irritiert hat. Die Frage zum Beispiel, ob deutsche Nationalspieler die Nationalhymne singen müssen, und der dabei mitschwingende Vorwurf an nicht-singende Spieler mit Migrationshintergrund, „dass sie keine guten Deutschen sind. Das finde ich schlecht“, sagt Löw. Bei ihm werde es auch künftig keine Hymnenpflicht geben. Dass jemand nicht mitsinge, „ist noch lange kein Beleg für die Unlust, zu kämpfen“.

Es ist Löw anzumerken, wie sehr er sich von solchen Themen beleidigt fühlt, genauso wie von dem Vorwurf, dass es sich bei den Nationalspielern um verwöhnte Wohlstandsjünglinge handle. „Auch die Spanier haben einen Koch und kochen nicht selber“, sagt er. Löw stellt sich schützend vor seine Spieler, doch mehr noch als dem inneren Zusammenhalt dient ihm der Vortrag der eigenen Selbstvergewisserung. „Unser Weg, der stimmt“, sagt Löw. „Es gibt keinen Grund, völlig von unserem Konzept abzuweichen.“

Diese Haltung findet sich auch in seiner vorläufigen EM-Analyse. Vieles sei besser gewesen als bei der hymnisch bejubelten WM in Südafrika. Die Mannschaft habe im Schnitt mehr Chancen gehabt, mehr Torabschlüsse, viel mehr Ballbesitz, allein, „die Chancenauswertung war schlecht“. Der Vorwurf, er habe sich gegen Italien zu sehr nach dem Gegner gerichtet, „der stimmt schonmal gar nicht“, sagt Löw. „Ich hatte einen klaren strategischen Plan, von dem ich hundertprozentig überzeugt war.“ Und es offensichtlich immer noch ist. „Die Vorbereitungszeit war relativ kurz“, sagt der Bundestrainer. Es ist etwas, worauf er keinen Einfluss hatte.

Die EM war ein Einschnitt in Löws Amtszeit. Zum ersten Mal überhaupt sah er sich heftiger Kritik ausgesetzt. Sein gestriger Auftritt spricht nicht dafür, dass er sie wirklich an sich herangelassen hat. Aus Überzeugung? Aus Selbstschutz? Die Wucht der Vorwürfe hat sich auch aus der immer noch unbefriedigten Sehnsucht nach einem Titel gespeist, die den Bundestrainer bis zur WM 2014 sehr viel stärker begleiten wird. Löw wird mit diesen, zum Teil irrealen Erwartungen umgehen müssen, auch wenn er sagt, dass es „immer noch ein kleiner Schritt von der Weltklasse zur Weltspitze“ ist. Joachim Löw sollte mehr denn je darauf achten, dass er nicht ins Stolpern gerät.

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