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Im Energiespar-Modus. Viswanathan Anand scheint bei der WM die Leichtigkeit früherer Tage zu fehlen. Foto: dapd

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Sport: Ein Blitz liegt über Moskau

Entscheidet ein Stechen die Schach-WM?

Wenn die beiden Großmeister ihren Remis-Rhythmus beibehalten, wird der ehrwürdige Titel des Schachweltmeisters am Ende womöglich in einem Schnellschach-Match oder gar in Fünf-Minuten-Blitzpartien ausgezockt. Aber noch ist es nicht so weit, noch stehen für Weltmeister Viswanathan Anand, 42, und Boris Gelfand, 43, zwei Spiele mit langer Bedenkzeit auf dem Plan. Vor der elften Runde heute in Moskaus Tretjakow-Galerie gibt es jedoch Hinweise auf die realer gewordene Möglichkeit eines Stechens: Der 5:5-Gleichstand und die beiden jüngsten Partien, in deren Schlüsselmomenten Anand und Gelfand auf Sicherheit setzten. „Ich spiele jeden Tag und schaue, was kommt“, sagte Anand nach dem Remis in der zehnten Partie. Keineswegs spekuliere er auf ein Stechen, versicherte der Inder, er mache seine Züge allein von der Natur der Stellung abhängig. Anand gilt im Vergleich zu seinem israelischen Herausforderer als der bessere Schnell- und Blitzschachspieler, doch ob er sich darauf verlassen sollte, erscheint riskanter denn je. Derzeit bringt er nur selten die gewohnte Magie aufs Brett.

Garry Kasparow, Weltmeister von 1985 bis 2000, glaubt dafür eine Erklärung gefunden zu haben. Der 49-jährige Russe schaute zur sechsten Partie in der Tretjakow-Galerie vorbei und diagnostizierte bei Anand einen Motivationsverlust. „Ich denke, bei ihm geht es langsam bergab. Er will gewinnen, er weiß, dass er der bessere Spieler ist, aber das ist nicht genug“, sagte Kasparow. Natürlich kamen Kasparows Einlassungen nicht überall gut an. Hans-Walter Schmitt, Anands Delegationsleiter, empfindet die Worte als wichtigtuerisch. „Anand liebt das Schach sehr und er wird noch sehr lange gut spielen“, prognostiziert Schmitt. „Vielleicht ein bisschen ökonomischer als früher.“

Im Energiespar-Modus hat Anand schon diesmal begonnen, sechs Remis hintereinander waren die Folge. Teils ein wenig trocken, dafür aber nahezu fehlerlos. Die beiden Gentlemen neutralisierten sich auf hohem Niveau. In der siebten Partie zeigte Gelfand, dass er dem Weltmeister als Stratege ebenbürtig ist: Er überspielte Anand in feinem Positionsstil und ging in Führung. Während Anand sichtlich angeschlagen wirkte, verließ Gelfand am nächsten Tag das Gefühl für Gefahren: Er lief mit seiner Dame in eine Falle. Anand gewann in nur 17 Zügen – der kürzeste Sieg in der 126-jährigen WM-Geschichte.

Da war Anands taktisches Genie noch einmal aufgeblitzt. Ansonsten scheint dem Weltmeister die Leichtigkeit verloren gegangen zu sein. Gewiss, er spielt längst nicht mehr so schnell wie vor zwanzig Jahren, als er für seine Gegner kaum mehr als eine Viertelstunde Bedenkzeit brauchte. Heute nimmt er sich diese manchmal für einen einzelnen Zug. Trotzdem scheint Anand nicht immer Vertrauen in sich zu haben, zum Beispiel in der neunten Partie, als er in einer Standardstellung lange überlegte, bevor er rätselhafterweise einen Läufer abtauschte und nach Gelfands selbstverständlichem Antwortzug wieder in tiefes Brüten versank.

Falls es am Montag nach den zwölf klassischen Partien tatsächlich 6:6 stehen sollte, käme es am Mittwoch zum Stechen: Erst vier Schnellpartien mit je 25 Minuten Bedenkzeit (plus zehn Sekunden pro Zug), und wenn es danach immer noch keinen Sieger gibt, wird eben geblitzt. Dies sei allemal fairer als die jahrhundertelange Tradition, findet Gelfand. Früher gab es kein Stechen, bei Gleichstand hatte der Weltmeister seinen Titel verteidigt.

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