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Sport: Ein Fall für die Taktikkommission

Die Abwehrschwäche der deutschen Mannschaft ist ein Problem der Besetzung im defensiven Mittelfeld

Berlin - Möglicherweise ist Torsten Frings ein Fall für die Fifa-Ethikkommission: Hat Frings bei der Fußball-Weltmeisterschaft gegen die eigene Mannschaft gesetzt? Torsten Frings hat eine private Wette laufen, dass er erst dann wieder zum Friseur darf, wenn die Deutschen aus dem Turnier ausgeschieden sind. Inzwischen erinnert seine Matte an große historische Vorbilder, John Lennon (1969) etwa, Guillermo Vilas (1977) oder auch Harald Schmidt (2004), und Frings, eigentlich Typ Kurzhaarträger, ist von seiner Mähne zunehmend genervt. Der Bremer spielt im defensiven Mittelfeld auf einer Position, die mehr denn je über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Da wäre es doch ein Leichtes … Natürlich ist das Blödsinn. Wenn jemand ehrgeizig ist in der deutschen Mannschaft, dann Torsten Frings. Allerdings kann er auch ein Sicherheitsrisiko werden, ohne es zu wollen.

Das 4:2 gegen Costa Rica im Eröffnungsspiel der WM ermöglicht die Fortsetzung einer Debatte, die das Land nun schon seit fast zwei Jahren führt: Die deutsche Mannschaft hat ein Abwehrproblem, so viel steht fest. Die Schuldfrage aber ist noch nicht hinreichend geklärt. Für die Boulevardmedien sind es die vier Abwehrspieler; für Bundestrainer Jürgen Klinsmann ist es die ganze Mannschaft. „Wir versuchen, vom Sturm übers Mittelfeld zur Abwehr einen engen Trichter aufzubauen“, sagt Klinsmann. Dort, wo der Trichter am engsten sein sollte und die Angriffe des Gegners eigentlich nur noch tröpfeln dürften – genau dort spielt Torsten Frings.

„Der Viererkette werden jetzt wieder beide Tore angehängt“, sagt Philipp Lahm, der als deren linkes Glied einer der Betroffenen ist, „aber das Problem war, dass der Pass in die Spitze immer frei gespielt werden konnte.“ Zweimal übertölpelten die Costa-Ricaner auf diese Weise den deutschen Defensivverbund, zweimal traf Paulo Wanchope ins Tor, und als Costa Ricas einziger Stürmer zum dritten Mal frei vor Jens Lehmann auftauchte, half nur der Linienrichter, der fälschlicherweise auf Abseits entschied. Entgegen der offenkundigen Defizite in der Abstimmung zwischen Abwehr und Mittelfeld bescheinigte Frings seiner Abteilung, dass sie ihren Auftrag wunschgemäß erfüllt habe: „Das Mittelfeld hat sehr gut verschoben. Wir haben viele Zweikämpfe gewonnen und der Abwehr sehr viel Arbeit abgenommen.“ Dass dies nicht so war, belegte die Entstehung des Tores zum 2:3. Frings und der Innenverteidiger Per Mertesacker stürzten beide auf den ballführenden Spieler zu; um Wanchope in ihrem Rücken kümmerte sich keiner von ihnen.

Am besten lassen sich die Defizite durch einen Vergleich mit der WM 2002 illustrieren. In der Rückschau wird der Erfolg der Deutschen allein auf Kahn und/oder Ballack reduziert; in Wirklichkeit aber war es der Erfolg einer starken Achse aus Kahn im Tor, Dietmar Hamann im defensiven und Michael Ballack im offensiven Mittelfeld. Es ist kein Zufall, dass die Deutschen das Finale gegen Brasilien verloren, weil a) Ballack gesperrt fehlte, b) Hamann im Mittelfeld den Ball an Rivaldo verlor und c) Kahn dessen Schuss vor die Füße von Ronaldo klatschen ließ.

Inzwischen gilt Dietmar Hamann mit seiner ewigen Querspielerei als Hemmschuh für die Moderne, bei der WM 2002 aber interpretierte er die Rolle des Sechsers vor der Abwehr genau so, wie es der moderne Fußball erfordert: als Regisseur aus der zweiten Reihe, als Abfangjäger mit der Fähigkeit zur Spieleröffnung, als Stratege mit Zweikampfhärte – je nachdem, welche Fertigkeit man hervorheben will. Giovanni Trapattoni hat in seiner Zeit bei Bayern München einmal über den jungen Dietmar Hamann gesagt: „Er erahnt die Situation, bevor sie entsteht.“ Vielleicht ist das der größte Unterschied zu Torsten Frings, dem das Gespür für die Gefahr manchmal fehlt. Frings mit seinem unbändigen Eifer stopft die Löcher erst, wenn sie entstanden sind – und reißt damit an anderer Stelle neue Löcher.

Es steht außer Frage, dass Frings, der seine Karriere als Stürmer begonnen hat, außergewöhnliche Qualitäten besitzt: Er ist schnell, dynamisch, zweikampfstark und hat, wie beim vierten Tor gegen Costa Rica zu sehen, einen guten Schuss. Aber er hat nicht die technische Reife, die zum Beispiel für das direkte Passspiel erforderlich ist. Frings muss den Ball erst stoppen, bevor er ihn weitergibt. Genau das ist oft der Moment, in dem eine neue Spielsituation hätte entstehen können. Hinzu kommt, dass Frings nicht über das strategische Denken verfügt, das ein moderner Sechser benötigt. Erst vor einer Woche, nach dem Spiel gegen Japan, hat Michael Ballack Frings’ Interpretation der Position kritisiert: „Er muss einfach kapieren, dass er das Spiel defensiver auslegt. Er hat eine ganz entscheidende Position, weil dort die Verantwortung fürs Ganze lastet.“ Der Lernerfolg hielt sich in Grenzen. Als Ballack und Frings tags darauf gegen Kolumbien gemeinsam vor der Abwehr spielten, war Frings oft weiter vorne zu finden als der eigentlich offensivere Ballack.

Nach der traditionellen Nummernordnung des Fußballs ist Frings eher die klassische Acht, das Bindeglied zwischen Defensive und Offensive. Diese Rolle hat er auch stets in seinen Vereinen besetzt. Eine Sechs ist er nie gewesen, weder jetzt bei Werder Bremen noch zuvor bei den Bayern und in Dortmund. Bei der WM 2002 hat Torsten Frings übrigens als rechter Außenverteidiger gespielt.

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