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Sport: Ein Genie hat gute Laune

Bremen profitiert davon, dass Johan Micoud einen Lebenswandel hin zum Frohsinn vollzogen hat

Es war schon weit nach Mitternacht, als Torsten Frings noch an der Bacardi-Bar lehnte. Er holte Getränke-Nachschub für die anderen Fußballer, die sich bei der Grün-Weißen-Nacht, dem traditionellen Vereinsball von Werder Bremen, prächtig vergnügten. Frings hatte die Order noch gar nicht abgegeben, als Johan Micoud herbeieilte, den Haarschopf des Mitspielers packte und die Frisur durcheinander wirbelte. Der Franzose lachte und mit ihm die Umstehenden. Ein weiteres Indiz dafür, dass der Spielmacher endlich angekommen ist an der Weser – fast vier Jahre nach seiner Ankunft. Bislang war es in der Regel bei allen offiziellen Anlässen so: Micoud war da, aber nicht wirklich dabei. Er ging nach gewonnenen Spielen nicht zu den Fans, er grinste nicht, er redete wenig, er sonderte sich ab und ging beim Werder-Ball früh heim.

„Irgendein Schalter hat sich bei ihm umgelegt“, sagt Detlef Kollra, der Zeugwart, „auf jeden Fall erleben wir einen anderen Joe als früher.“ Einen, der sich öffnet, der höflich und freundlich ist und bei jeder Gelegenheit betont, wie wohl er sich nun in Bremen fühle. Die gute Laune des als launisch verschrienen Genies ist dem sportlichen Vorankommen der Hanseaten sehr dienlich: Dass Werder Bremen beim turbulenten 4:2 (3:2) gegen den FSV Mainz 05 den 0:2-Rückstand so leicht wegsteckte, war zuvorderst der Kampfkraft und Spielfreude des Bremer Regisseurs zuzuschreiben. Micoud war bester Mann auf dem Platz – wieder einmal. Das Kopfballtor zum 2:2 war Krönung einer Vorstellung, die Trainer Thomas Schaaf an Micouds „überragendes Meisterjahr 2004“ erinnerte. Die Datenbanken weisen ihn derzeit als besten Vorarbeiter in Bundesliga und Champions League aus. „Er geht voran – und auch dorthin, wo es wehtut“, lobt Sportdirektor Klaus Allofs, der die Verpflichtung des 2002 in Parma in Ungnade gefallenen Eigenbrötlers rückblickend als „Meilenstein“ der Bremer Transferpolitik preist.

Dabei ist es nicht allzu lange her, dass ihn der halbe Verein verfluchte: Als Micoud vor einem Jahr im Training Mitspieler Fabian Ernst eine Kopfnuss verpasste, schien sogar eine Trennung möglich. Allein Allofs beschwichtigte und spielte den Vorfall herunter. Heute preist der Sportdirektor seine Nummer zehn gar als Vorbild – wobei er geflissentlich ausblendet, dass Micoud kürzlich in der Stadt mit Tempo 135 geblitzt wurde. Die noch nicht ganz verschwundenen Launen ihrer Diva verzeihen die Bremer Anhänger gnädig, die Stärken verleiten – wie gegen Mainz – zum Singen einer eigens auf Micoud abgestimmten Hymne. „Das höre ich gern“, sagt der Belobigte – und lacht.

Über diese Wandlung hin zum Frohsinn rätseln sogar Mitspieler. Vielleicht ahnt der bald 33-Jährige auch nur, dass ihm auf der Zielgeraden seiner Karriere nicht mehr viele Gelegenheiten bleiben, die Freude am Fußball auszuleben. Die Nationalelf und die WM hat Micoud abgehakt, doch hegt er den Traum, noch einmal in seiner Heimat zu spielen. Als vor Monaten Paris St. Germain um ihn buhlte, ehrte Micoud dies mehr, als er zugab. Sein Vertrag in Bremen, dotiert mit mehr als drei Millionen Euro jährlich, läuft aber noch bis 2007; Allofs kann sich sogar eine Ausdehnung vorstellen. Doch Micoud ziert sich: Sein Haus an der Côte d’Azur ist fertig, bald wird für die vierköpfige Familie dort der Lebensmittelpunkt sein. „Ich werde mich irgendwann spontan mit den Werder-Verantwortlichen zusammensetzen“, sagt Micoud. „Wir können über alles reden. Vielleicht kommen wir ja überein, dass wir dieses Abenteuer noch ein bisschen weiterleben.“

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