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Sport: Ein Held der Neuzeit

Erst führt Otto Rehhagel die Griechen ins Halbfinale und singt in der Kabine – dann sagt er dem DFB ab

Der Einzug der Griechen ins Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft war schon höchst ungewöhnlich, aber dann kam noch ein besonderer Auftritt ihres Trainers Otto Rehhagel. Mitten in der Kabine zwischen tobenden und tanzenden Spielern im Nebel aus Wasserdampf und Schweiß schmetterte er ein Liedchen. Getragen von Glücksgefühlen sang er inbrünstig. Das hohe C schien für den Meistersänger aus Essen in diesen Augenblicken gerade gut genug. Was der strahlende Held der Griechen so zum Besten gab, wollte aber nicht einmal sein Assistent Ioannis Topalidis verraten, obwohl der wahrscheinlich als Einziger verstand, was da in der Kabine erklang. „Das bleibt intern“, sagte der Mann, der für Rehhagel übersetzt, in Deutschland lebt und vor dem Siegeszug durch die EM-Qualifikation und auf Portugals Fußballplätzen Scout bei Hertha BSC war.

Als er alle Freude und Lust aus sich heraus gesungen hatte, begann Rehhagel, dessen Spitzname seit Bremer Zeiten „König Otto“ lautet, wieder zu reden. Wobei jeder seiner Sätze den Griechen wie ein süßes Lied erscheint. „Die Leute in New York, Tokio und Rio de Janeiro werden aufhorchen, wenn sie das hören“, sagte er und drehte den Kopf, so dass jeder sehen konnte: Er war vor dem Viertelfinale gegen Frankreich noch eben schnell zum Friseur gegangen.

Der 65 Jahre alte Nationaltrainer meinte diese faustdicke Überraschung, die sich eben auf dem Rasen des Estadio Alvalade abgespielt hatte. Sie hatten Frankreich geschlagen. Dieses Team voller Stars, das 1998 Weltmeister geworden war und in Portugal voller Hoffnung im Herzen antrat, seinen EM-Titel zu verteidigen. „Das ist der größte Erfolg des griechischen Fußballs aller Zeiten“, sagte Michalis Kapsis vom AEK Athen. Auf dem Spielfeld lagen derweil noch die Kollegen übereinander, die Anhänger tanzten und sangen wie ihr Trainer, allerdings Fußballfestweisen aus Griechenland, weil Angelos Charisteas wieder getroffen hatte. Sein zweites Tor bei dieser EM war vielleicht das Wichtigste des Stürmers von Werder Bremen im Nationaltrikot. „Das Double mit Bremen war eine tolle Erfahrung. Aber die Freude hier ist größer. Hier spiele ich für mein Land und für mein Volk“, sagte Charisteas. Er hatte die präzise Flanke von Theodoros Zagorakis in der 65. Minute wundervoll und knallhart mit dem Kopf ins Tor der Franzosen gewuchtet.

Rehhagel referierte beschwingt vom Erfolg über Einsatzwillen und Leidenschaft. „Vielleicht sind die Franzosen technisch besser, aber wie wir gekämpft haben, das war eine Freude“, sagte er. Spieler und enthusiastische Landsleute daheim träumen gar schon vom Endspiel. „Warum nicht, wenn wir Glück haben, ist doch jetzt alles möglich“, sagte Torschütze Charisteas.

Kommenden Donnerstag beim Halbfinale ist wieder Feiertag in Griechenland. Für die Spieler liefert der Terminplan ein paar Tage zur Erholung. Seit Rehhagel Journalisten, Funktionäre, Verwandte und Familienangehörige aus dem Mannschaftshotel verbannt hat, geht es bei den Griechen zu wie bei allen anderen auch. „Konzentriertes Arbeiten“ (Rehhagel) hat die Jahrmarktsstimmung abgelöst. „Er hat uns gesagt, bleibt auf dem Boden, arbeitet konzentriert und hart, und ihr werdet Erfolg haben“, sagt Abwehrspieler Kapsis. „Jetzt können wir ins Finale kommen.“ Nur musste die Teamleitung nach dem Coup gegen die Franzosen erst einmal klären, wo der Tross aus Hellas eine neue Unterkunft findet. Das Hotel in Vila do Conde nördlich von Porto hatte sie nur für die Vorrunde gebucht.

Rehhagel muss sogar schon Fragen beantworten, ob er vielleicht Rudi Völlers Nachfolger wird. Am Freitagabend hatte er sich dazu noch zurück gehalten, am Samstag aber sagte er im „ZDF“ dem Deutschen Fußball-Bund ab. „Ich werde bei den Griechen bleiben“, sagte Rehhagel, „es sei denn, die sagen: Es reicht jetzt.“ Das indes ist nach dem Einzug ins Halbfinale doch recht unwahrscheinlich.

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