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Was bezweckt Uli Hoeneß?

© p-a/dpa. Montage: Thomas Mika

Ein Herz für Gegner: Warum Uli Hoeneß der Konkurrenz hilft

Uli Hoeneß hat Borussia Dortmund einst mit einem Darlehen vor der Pleite gerettet. Was wie ein Akt der Nächstenliebe wirkt, hat handfeste wirtschaftliche Gründe.

Vor zwölf Jahren hat Uli Hoeneß einmal dem „Tagesspiegel“ gesagt: „Ich bin der sozialste Mensch, den ich kenne.“ Dass der frühere Manager und heutige Präsident des FC Bayern gefallenen Gefährten wie dem alkoholkranken Gerd Müller Jobs beim Rekordmeister verschafft hat, ist lange bekannt. Dass Hoeneß vor einigen Tagen allerdings verkündete, er habe Borussia Dortmund einst mit einem Darlehen von zwei Millionen Euro vor dem Konkurs bewahrt, erregte dann doch Aufsehen. Wieso rettet ein sonst auf Erfolg fixierter Manager einen seiner ärgsten Widersacher vor dem Ruin? Warum lässt er die Chance verstreichen, einen lästigen Rivalen ein für alle Mal loszuwerden?

Die Antwort auf diese Fragen ist weniger in christlicher Nächstenliebe zu suchen als in harter marktwirtschaftlicher Logik. Beziehungsweise in dem Wort „Kooperenz“. Dieser sprachlich unschöne, aber durchaus treffende Begriff wurde von Sportökonomen geprägt, um das schwierige dialektische Verhältnis zwischen Kooperation und Konkurrenz auszudrücken. „Wenn man keinen Gegner hat, findet kein Wettstreit statt“, drückt es Stefan Walzel von der deutschen Sporthochschule Köln deutlicher aus.

Auch Tennisspieler oder Boxer benötigen Gegner, um Wettkämpfe zu bestreiten, Titel zu gewinnen und Geld zu verdienen. Besonders wichtig wird eine gewisse Solidarität unter Konkurrenten allerdings, wenn sie sich in einem annähernd geschlossenem System wie der Fußball-Bundesliga bewegen. „Überall, wo sportlicher Wettkampf stattfindet, sind Kooperenzgedanken zu finden“, sagt Professor Herbert Woratschek von der Universität Bayreuth. „In einem Ligasystem sind sie aber besonders evident.“

Nun gibt es neben Borussia Dortmund noch rund 25.000 andere Fußballvereine in Deutschland, der FC Bayern läuft also kaum Gefahr, in naher Zukunft ohne die für den Bundesliga-Spielbetrieb nötigen 17 Gegner dazustehen. Trotz seiner eigenen Strahlkraft ist der Rekordmeister aber darauf angewiesen, nicht nur in einer vollständigen, sondern auch in einer intakten Liga anzutreten. Und die würde mit Sicherheit in vielerlei Hinsicht darunter leiden, wenn ein Traditionsverein wie der BVB nicht mehr mitspielen würde. „Es ist ökonomisch vernünftig, einen attraktiven Gegner wie Dortmund in der Liga zu halten“, sagt Professor Woratschek, „denn mit ihrer großen Fanbasis und dem guten Image steigern die Dortmunder auch die Vermarktungsmöglichkeiten der Liga. Der finanzielle Verlust der Dortmunder als attraktiver Gegner wäre auf lange Sicht größer als die geliehenen zwei Millionen Euro.“

Insofern ist die Hilfe für die Dortmunder sogar noch logischer als Unterstützung für kleinere Vereine wie den Chemnitzer FC oder den FC St. Pauli, die Hoeneß mit Freundschaftsspielen in der Vergangenheit ebenfalls finanziell unterstützt hat. Doch selbst die Pleite eines kleinen Klubs kann den Großen der Branche schaden. „Das Risiko von Spielausfällen und den damit verbunden Einnahmeverlusten im Ticketing und bei TV-Erlösen könnte sogar einen Domino-Effekt in einer Liga auslösen“, warnt Sportökonom Walzel.

Was passiert in den anderen europäischen Ligen?

Im deutschen Fußball spielt Kooperation eine größere Rolle als in anderen Ligen. In der Bundesliga werden die Fernsehgelder zentral vermarktet, alle Profimannschaften haben Anteil an den Erlösen. Die spanischen Vereine hingegen können die Fernsehrechte an ihren Spielen dezentral vermarkten. Dadurch überbieten sich die Sender mit Millionenangeboten für die Rechte der Topklubs FC Barcelona und Real Madrid. Für die kleineren Vereine bleibt relativ wenig übrig. Die ohnehin komfortable Position der beiden Spitzenmannschaften verfestigt sich immer weiter. Ein Indiz dafür: Die vergangenen sieben Meisterschaften machten Real und Barça unter sich aus. So mancher kleinerer Klub gerät in finanzielle Schwierigkeiten, viele Ergebnisse werden vorhersehbar, die Spannung leidet, eine der grundlegenden Weisheiten von Sepp Herberger wird ad absurdum geführt: „Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht.“

Auf der anderen Seite des Atlantiks ist dieses Prinzip der Chancengleichheit sogar noch viel stärker verankert. In den großen nordamerikanischen Sportarten Eishockey, Football, Basketball oder Baseball werden neu in die Profiligen kommende Spieler mehr oder weniger gerecht aufgeteilt: Wer in der Vorsaison miserabel abgeschnitten hat, bekommt eine gute Chance auf die besten Spieler. Für alle Klubs gilt eine Maximalgrenze bei den Spielergehältern, die Stars verteilen sich auf viele Teams, weil sie sonst finanzielle Einbußen hinnehmen müssten.

Einem solchen System der extremen Kooperenz würde Uli Hoeneß wohl kaum zustimmen: Der FC Bayern müsste auf einige teure Spieler verzichten und würde über kurz oder lang wohl seine Sonderstellung verlieren. Auf europäischer Ebene hingegen werben die Bayern schon lange für mehr Kontrolle und Gleichheit zwischen den konkurrierenden Vereinen. Ein „Salary Cap“ wie in den USA wird der europäische Fußballverband Uefa wohl kaum einführen. Nach den Richtlinien des „Financial Fairplay“ ist es Vereinen inzwischen aber immerhin verboten, sich dramatisch zu überschulden.

Gutmenschentum oder Kalkül?

Natürlich hat Uli Hoeneß als Präsident des FC Bayern das Ziel, jedes Jahr den Meistertitel zu holen. Das merkt man nach Niederlagen oder Schiedsrichter-Fehlentscheidungen auch an seinen Wutausbrüchen und Schimpftiraden, bei denen er alles Mutter-Teresa-artige schlagartig verliert. Insofern wird es ihm auch nicht gefallen, dass Borussia Dortmund in der Tabelle zurzeit zwei Punkte vor den Münchnern liegt. Als erfahrener Unternehmer weiß Hoeneß aber auch, dass das Produkt FC Bayern nur in Kombination mit dem Produkt Bundesliga funktionieren kann. Insofern kann man seine finanzielle Hilfe als Teil eines permanenten Spagats sehen, dessen Ziel es ist, „den Gegner so stark sein zu lassen, dass er als Konkurrent zur Attraktivität des Wettbewerbs beiträgt, ohne von ihm dominiert zu werden“. So formuliert der Sportwissenschaftler Woratschek den Idealfall von Kooperenz .

Im eingangs erwähnten Interview hat der „Tagesspiegel“ Uli Hoeneß eine knappe Charakterisierung vorgeschlagen: „Sie wirken zerrissen: Sie sind ein nüchtern kalkulierender Geschäftsmann, ein harter Realist, andererseits sind Sie ein unglaublich sentimentaler Kerl.“ Hoeneß antwortete: „Ja. Damit fühle ich mich sehr genau beschrieben.“ Mit dem Darlehen an Borussia Dortmund hat der damalige Bayern-Manager all diese Facetten seiner Persönlichkeit gezeigt. Für die Fans steht er jetzt als Traditionalist mit Liebe für den Gegner da, als Freund von Chancengleichheit und Solidarität. Ökonomen aber werden seine Finanzhilfe als weitsichtige Entscheidung loben, mit der er seine Geschäftsgrundlage – spannenden Bundesliga-Fußball – langfristig abgesichert hat.

„Das Geld wurde in mehreren Tranchen bis 2005 zurückgezahlt“, hat BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke jüngst zu dem Darlehen der Bayern erklärt. „Mit Zinsen.“ Uli Hoeneß ist eben ein in Schwaben geborener Unternehmen – und kein Samariter.

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