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Sebastian Coe gwinnt bei den Olympischen Sommerspielen 1980 in Moskau die Goldmedaille im 1500-Meter-Lauf.

© dapd

Ein langer Weg: Sebastian Coe: Vom Läuferass zum Olympia-Chef

Sebastian Coe ist das Siegen gewohnt. Als Läufer wurde er bereits zum Idol. Seit er es geschafft hat, Olympia nach London zu holen, ist er ein Held. Wie gut die Pläne des Organisationschefs sind wird sich nun herausstellen.

Auf die Zielgerade biegt Sebastian Coe als Erster ein, ganz so, wie er es gewohnt ist. Er trägt eine weiße Turnhose und ein weißes Laufhemd.

Er läuft vorneweg, die anderen folgen ihm. Er hat den elegantesten Schritt, rund, fließend – schnelles Laufen ist auch eine Stilfrage. Gleich werden die 800 Meter zu Ende sein, zwei Stadionrunden, der Lohn für die Schinderei ist nah, und dann passiert eine Unverschämtheit.

Auf den letzten dieser 800 Meter kommt ein anderer von hinten an ihn herangerauscht, einer mit zotteligem Bart, ein Deutscher, und rennt einfach an ihm vorbei. Rennt als Erster über die Ziellinie, gewinnt dieses Rennen, bekommt die Goldmedaille umgehängt für diese Europameisterschaft 1982 in Athen. Für Sebastian Coe bleibt Silber. Kein Grund zur Freude. Hinter der Ziellinie geht der geschlagene Favorit auf und ab, er hat die Hände in die Hüften gestemmt, beschäftigt mit sich selbst. Erschöpft, auch verwirrt sieht er aus, als wisse er auf einmal gar nicht mehr, wohin. Dem Sieger gratuliert er nicht.

Daran erinnert sich der Goldmedaillengewinner von damals bis heute. Hans-Peter Ferner, ein Bayer. Er erinnert sich, und es klingt kein Vorwurf darin mit. Er sagt: „Coe hat wohl nicht mit der Niederlage gerechnet.“ Verlieren war nicht vorgesehen, wenn Sebastian Coe ins Rennen geht. Anfang der 80er Jahre war der Brite der beste Mittelstreckenläufer der Welt.

Auch er ist für seine Beine berühmt: Sprintass Usain Bolt

Wenn an diesem Freitag um Mitternacht das olympische Feuer im Stratford Stadion entzündet wird, dann hat er bewiesen, dass er auch Langstrecke kann.

Sebastian Coe, heute 55, ist Vorstandsvorsitzender des London Organising Committee of the Olympic Games and Paralympic Games, kurz Locog, der Cheforganisator der Olympischen Spiele. Er ist der Mann, der am 6. Juli 2005 in der dampfenden Hitze von Singapur stand und vor den 110 Mitgliedern des Internationalen Olympischen Komitees die Rede seines Lebens hielt – sie brachte London den Zuschlag für die Spiele. Großbritannien hat Coe damit zu seinem ersten sportlichen Weltereignis seit der Fußball-WM 1966 verholfen und ist nunmehr so etwas wie eine Ikone. Daher wird, wenn jetzt mehr als sieben Jahre nach dem Zuschlag die Eröffnungsfeier beginnt, die eine Milliarde Fernsehzuschauer einschalten wollen, die 200 Präsidenten, Premierminister und Mitglieder von Königsfamilien auf die Tribüne holen wird, niemand mehr im Scheinwerferlicht stehen als Sebastian Coe.

Lord Coe darf er angeredet werden, mit vollem Titel heißt er Baron Coe von Ranmore, aber ihm selbst reicht, ganz Sportler, „Seb“. Diese Namen passen zu einem Mann, der kein schnelles Bild von sich malen lässt. Er ist gutaussehend, gut angezogen, intelligent, eloquent, extrem ehrgeizig, ein Charismatiker, er ist durchsetzungsstark, kann mitreißend sein und dann auch wieder kühl. Dass er nach seiner sportlichen Karriere in die Politik strebte, hat ihm beim Werben für London als Olympiaort sicher nicht geschadet.

Bildergalerie: Vorfreude in London

Als Kandidat der Konservativen trat Coe bei den Unterhauswahlen 1992 an und gewann seinen Wahlkreis in Cornwall. Den verlor er bei den folgenden Wahlen 1997 aber wieder. Coe war dann eine kurze Zeit Stabschef von Parteichef William Hague, und 2000 wurde er in den Adelsstand erhoben.

Damit war Coe doch genau der Richtige, als London 2003 jemanden suchte, der die Olympiabewerbung anführt. Dennoch glaubten anfangs nur wenige, dass er dieser Aufgabe gewachsen sei. War er nicht gescheitert als Politiker? Und hatte er sich nicht als Stabsleiter von William Hague mit einigen schrägen PR-Aktionen unmöglich gemacht? Wie damals, als er Hague in einem Freizeitpark mit einer Wildwasserbahn zu Tal rauschen und dabei eine Kappe mit seinem Namenszug tragen ließ. Was in Großbritannien ungefähr das war, was Guido Westerwelles Besuch im Big-Brother-Container mit Dirk Niebels Militärmütze wäre.

Aber er übernahm den Posten. Zunächst war er offizieller Botschafter und Geschäftsleitungsmitglied des Bewerbungskomitees, ab 2004 dann Präsident der Geschäftsleitung. Mit seinem Charisma sollte Coe die Welt von London überzeugen.

Und Charisma hat er eine ganze Menge. Schon als Athlet hatte ihn stets eine Aura des Besonderen umgeben. „Er war immer der Beste und hat sich auch wie ein Star verhalten. Er hat es genossen, wenn er vor dem Rennen vom Stadionsprecher als Weltrekordhalter vorgestellt wurde“, sagt der deutsche Mittelstreckenläufer Willi Wülbeck, der 1983 Weltmeister in Helsinki wurde.

Hans-Peter Ferner sagt: „Er war sehr reserviert, wohnte immer in seiner eigenen Suite. Aber er war immer korrekt in seinen Aktionen. Coe hat nie versucht, einen in der Kurve zu stoßen oder zu rempeln, wie andere es tun.“

Wer ist Sebastian Coe?

Olympische Familie. Sebastian Coe (rechts) mit Queen Elizabeth, ihrem Mann Prinz Philip und der 74-jährigen Fackelträgerin Gina Macgregor.
Olympische Familie. Sebastian Coe (rechts) mit Queen Elizabeth, ihrem Mann Prinz Philip und der 74-jährigen Fackelträgerin Gina Macgregor.

© dapd

Coe wurde in Chipswick, im Londoner Westen, geboren, ging auf die Loughborough Universität, das britische Sportcollege. Coes Vater war auch sein Trainer, der größten Wert auf Disziplin legte. 1979 brach Sebastian Coe drei Weltrekorde in nur 41 Tagen – über 800 Meter, eine Meile und 1500 Meter. Das war vorher noch keinem Athleten gelungen.

Wie politisch der Sport sein kann, erfuhr Coe 1980 bei den Olympischen Spielen in Moskau. Die Sowjetunion war in Afghanistan einmarschiert, die meisten Länder der westlichen Welt wollten die Spiele in Moskau deshalb boykottieren. Großbritannien schickte seine Athleten dennoch. Es war Coes Glück.

In Moskau kam es auch zum großen britischen Zweikampf, zum legendären Duell mit Steve Ovett. In der goldenen Zeit der britischen Leichtathleten gab es einen richtigen Graben zwischen Coe- und Ovett-Fans. Die meisten Briten mochten den trägen, männlichen Laufstil von Ovett, der als wilder Kerl galt, lieber als den eleganten von Coe, der mehr Schwiegermutters Liebling war. In Moskau traten die beiden auf zwei Strecken gegeneinander an: 800 und 1500 Meter.

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Über 800 siegte Ovett, Coe über 1500 Meter. Sie hatten sich gegenseitig auf ihren jeweils stärksten Strecken geschlagen. Geblieben ist dabei auch das Bild von Coe, wie er hinterher vor der Pressetribüne triumphierend gestikuliert, vor Journalisten, die ihn längst abgeschrieben hatten. Das war auch immer Motivation für ihn, allen seine Entschlossenheit zu zeigen. Es half ihm auch jetzt bei seiner zweiten olympischen Karriere.

Die neue Aufgabe war nicht irgendein Job für ihn, das war mehr. Auf seinem Schreibtisch, heißt es, stehe das Motto, warum es sich lohne, für all das zu arbeiten. „It’s sports, stupid!“

Im Schlussspurt der Bewerbungsphase für die Spiele 2012 gab ihm das die vielleicht entscheidende Energie. Denn die Konkurrenz war sehr stark. Paris hatte das beste Konzept zu bieten, und mit New York, Moskau und Madrid waren noch drei andere Metropolen im Rennen. London war nicht der Favorit.

Doch diesmal war es Coe, der überholte. „Als ich zwölf war“, rief er den Mtigliedern des IOC in Singapur zu, „saß ich mit meinen Klassenkameraden vor einem alten Schwarz-Weiß-Fernseher und habe die Olympischen Spiele von Mexiko gesehen. An diesem Tag öffnete sich für mich ein Fenster zu einer neuen Welt.“ Zu seinem 100 Leute umfassenden Team in Singapur gehörte auch eine Schulklasse aus dem Londonder East End, in dem heute das Olympiastadion steht. Die Schüler sollten für ihn die Botschaft bekräftigen, dass die Jugend durch die Olympischen Spiele wieder zum Sport finden werde.

Am Ende gewann London, gewann Sebastian Coe gegen Paris mit 54 zu 50.

Der Jubel war noch nicht verklungen, da wurde daraus ein Aufschrei: Nur 24 Stunden nach der IOC-Entscheidung griffen islamistische Selbstmordattentäter die Londoner U-Bahn an. 56 Tote.

Von der Herausforderung, Jugendliche zum Sport zu bringen, war auf einmal kaum noch die Rede. Jetzt gab es ein anderes Hauptthema: die Sicherheit.

Coe sitzt in einem Hochhaus in einem berühmten Bürokomplex, dem Canary Wharf, wo auch die Barclays Bank arbeitet, und blickt auf den Olympischen Park. Sechs Milliarden Pfund hat es gekostet, diese Brache in Ost-London innerhalb von sieben Jahren zu verwandeln. Coe ist hier der Frontmann. Wann immer es eine Hochglanzpräsentation braucht oder ein Dinner mit Journalisten – Coe liefert. Einer seiner engen Mitarbeiter sagte kürzlich: „Er ist eine brillante Elster – er nimmt die Ideen anderer und benutzt sie für seine Zwecke. Es schadet natürlich auch nicht, dass er eine echte Olympialegende ist. Zusammen mit seinem Team hat er genau das geschickt in das Werbekonzept für London 2012 eingewoben.“

Nun muss sich das Konzept beweisen – beim Sport, bei den Tickets, bei der Sicherheit. Zusätzliche Soldaten mussten zu den Sicherheitsdiensten angefordert werden, weil das Organisationskomitee den Bedarf unterschätzt hatte. Inzwischen sind mehr Soldaten bei Olympia im Einsatz, als in Afghanistan stationiert sind. Wenn alles gut geht in den kommenden Wochen, wird der größte Sieger dieser Olympischen Spiele Sebastian Coe heißen. Und Niederlagen sind nicht vorgesehen.

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