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Ihre ersten Schritte in Freiheit. Claudia Pechstein am Start des Vergleichswettkampfs in Erfurt. Foto: dpa

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Sport: Ein Sieg gegen die Zeit

Bei ihrer Rückkehr aufs Eis qualifiziert sich Claudia Pechstein für den Weltcup und wahrt die WM-Chance

Auf der Gegengeraden hatten sie ein Transparent über die Bande gehängt. „Schön, dass Du wieder da bist, Claudi“, lautete die Botschaft. Und genau in der Sekunde, als eine Frau an diesem Transparent vorbei glitt, schwer atmend, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, brandete besonders viel Beifall auf. Claudia Pechstein passierte gerade ihre besonders begeisterten Fans.

Sie ist wieder da, Claudia Pechstein, Reizfigur, fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin, unermüdliche Kämpferin um ihre Glaubwürdigkeit, zwei Jahre gesperrt.

Eine halbe Stunde später wird sie verkünden, diesmal im Trainingsanzug, einen Blumenstrauß neben sich auf einem Pult: „Das war gerade mein größter Sieg.“

Den Sieg hatte sie nach 4:10,05 Minuten erreicht. So lange war sie in der Gunda-Niemann-Eishalle über 3000 Meter unterwegs, 4:10,05 Minuten lang hatten sie 1500 Zuschauer angefeuert, nicht grenzenlos enthusiastisch, aber doch lautstark genug. Nach 4:10,05 Minuten stand fest: Claudia Pechstein ist ihrem großen Ziel einen Schritt näher gekommen. Sie hat die Chance, im März bei der Einzelstrecken-WM in Inzell zu starten.

Es war ihr erstes Rennen nach der Sperre, die Bühne für ihr Comeback war ein eigentlich unbedeutender Wettkampf in Erfurt. Sie durfte höchstens 4:15 Minuten über 3000 Meter laufen, damit sie sich für den Weltcup in Salt Lake City qualifiziert. Der findet am nächsten Wochenende statt, und dort hat sie die Chance, in Reichweite eines WM-Tickets zu gelangen. Dazu muss sie über 5000 Meter den Wettbewerb der B-Gruppe gewinnen und zugleich eine Zeit unter sieben Minuten laufen. Sollte sie ihre Gruppe gewinnen, hat sie die Chance, beim Weltcup-Finale in Heerenveen zu starten, und dann besteht auch noch die Chance, dass sie sich über 3000 Meter für die WM eine exzellente Ausgangsposition verschafft. Die endgültige Nominierung erfolgt nach einem komplizierten Schlüssel nach Heerenveen. Am Samstag lief sie auch noch 1500 Meter, sie brauchte 2:01,22 Minuten und erfüllte auch hier die Weltcupnorm.

Über die WM wollte Pechstein „gar nicht groß reden“. Sie musste erstmal dieses Rennen verarbeiten, „diesen enormen Druck“. Ob aus Kalkül oder aus Nervosität, egal, am Ende wusste sie das selber nicht, jedenfalls lief sie ihre erste Runde schneller als von Trainer Joachim Franke geplant. Am Ende fehlten ihr Kräfte für einen Schlussspurt, aber das spielte schon keine Rolle mehr, sie hatte die gewünschte Zeit klar unterboten. „Alle, die geglaubt haben, dass ich es nicht schaffe, habe ich eines Besseren belehrt“, sagte sie.

Mag sein, dass die 38-Jährige durch ihre medialen Auftritte, durch den Umstand, dass sie durch Urlaub und Krankschreibung so gut wie nie zum Dienst als Bundespolizistin antreten musste, gehörig auf die Nerven gegangen ist, das ändert aber nichts an einem Punkt: Die fünfmalige Olympiasiegerin lieferte am Samstag eine starke Leistung ab. 4:10,05 Minuten sind die zweitbeste Zeit, die eine deutsche Läuferin in dieser Saison über 3000 Meter gelaufen ist, mit ihrer Zeit liegt sie international im vorderen Drittel. Und das alles ohne Wettkampfpraxis, ohne Leistungsdiagnostik, mit quasi einsamem Training. „Normalerweise bin ich sparsam mit Lob“, sagte ihr Trainer Joachim Franke. „Aber heute ist ihr etwas gelungen, das im Juni 2010 fast unlösbar erschienen war. Keiner anderen Athletin, die ich betreut habe, hätte ich so etwas zugetraut.“ Pechstein sagte fast locker: „Ich fühle mich nicht so alt wie ich bin.“

Auch Günter Schumacher, der Sportdirektor der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft nickte anerkennend. „Man hat gesehen, dass sie sehr systematisch trainiert hat. Ich wünsche ihr, dass sie ihre Ziele erreicht.“

Pechsteins große Ziele sind noch weit weg. „Ich bin erst wirklich am Ziel“, sagte sie, „wenn ich vollständig rehabilitiert bin.“ Sie will dabei auf größtmögliche Transparenz setzen. Am Samstagmorgen, erklärte ihr Manager Ralf Grengel, habe sich die Athletin „in Eigenregie“ Blut abnehmen lassen. Die Werte würden veröffentlicht. Auf jeden Fall kann jetzt nicht mehr so schnell wie früher eine Schutzsperre eine Dopingsperre wegen auffälliger Blutwerte ausgesprochen werden. Inzwischen müssen die Werte bei drei verschiedenen Proben über einem bestimmten Mittelwert liegen, dann erst wird sich eine so genannte Medical Group des Weltverbands ISU mit den Werten befassen.

Am Samstag jedoch interessierte in Erfurt vor allem ein Wert: 4:10,05.

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