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Sport: Ein Sieg geht um die Welt

Die Holländer trösten sich mit dem Erfolg gegen den Vizeweltmeister – die Deutschen brauchen keinen Trost

Von Stefan Hermanns

und Michael Rosentritt

Gelsenkirchen. Vermutlich ahnt Rudi Völler noch gar nicht, was in den letzten Wochen des Jahres auf ihn zukommt. Wenn die Menschen des Jahres geehrt werden, wird Völler, der Teamchef der Fußball-Nationalmannschaft, noch einige Auftritte zu bewältigen haben. Gestern bekam er den Bambi, Ehrenbürger seiner Heimatstadt Hanau ist er bereits, Bundesverdienstkreuzträger ebenfalls. Einem bescheidenen Menschen wie Völler reicht das allemal. „Die Ehrungen sind vorbei, die Geschenke verteilt“, hat er am Mittwoch nach dem letzten Länderspiel des Jahres gesagt. „Das WM-Jahr ist abgehakt."

Entgegen dem offiziellen Kalender hat das WM-Jahr für die Nationalmannschaft im November 2001 angefangen, als sich Völlers Team gegen die Ukraine für die Weltmeisterschaft qualifiziert hat. Oliver Kahn, der Torhüter und Kapitän, hat diese Spiele „als herausragendes Ereignis“ in Erinnerung behalten. Sie gelten längst als Geburt einer großen Mannschaft. Schon deshalb ist es eine interessante Frage, was aus dem deutschen Fußball geworden wäre, wenn die Nationalelf nicht zur WM hätte reisen dürfen.

Solche Gedanken sind nicht abwegig. Vor zwei Jahren gab es die nachhaltig vertretene Ansicht, dass man die bei der EM 2000 so desaströse Elf nicht einer weiteren harten Prüfung aussetzen solle. Besser sei es, auf die WM zu verzichten, um den Neuaufbau zu forcieren. Aus heutiger Sicht erscheint das abstrus. Wenn Völler über das Jahr 2002 sagt: „Die Bilanz kann sich sehen lassen“, hat das nur einen Grund: die WM. Was bliebe ohne den Erfolg in Asien von diesem Jahr? Das Hochgefühl, Israel und Kuwait deklassiert zu haben? Oder die Erkenntnis, gegen alle starken Gegner – Argentinien, Brasilien und Holland – verloren zu haben?

Nach dem 1:3 gegen Holland wurde Völler gefragt, warum seine Elf gegen große Teams nicht gewinnt. Er antwortete gereizt wie selten: Dass die Mannschaft Vizeweltmeister geworden sei, heiße nicht, „dass wir automatisch die zweitbeste Mannschaft der Welt sind. Aber wir sind verdient WM-Zweiter geworden. Das lasse ich mir nicht nehmen. Da werde ich sehr komisch.“

Den Deutschen konnte nichts Besseres passieren als die WM. Das Turnier hat die Mannschaft vorangebracht, aber auch einzelne Spieler. Bernd Schneider zum Beispiel. Oder Torsten Frings und Christoph Metzelder. Kurz vor der WM hat der „Spiegel“ noch über sie gehöhnt: „Wenn nun Eleven wie Frings (acht Länderspiele) und Metzelder (sechs) in Japan Schlüsselpositionen besetzen müssen, erscheint das ähnlich gewagt, als müssten Sieger eines Karaoke-Wettbewerbs die Star-Tenöre in der Mailänder Scala ersetzen.“ Vier Wochen später waren Frings und Metzelder selbst Star-Tenöre.

Richtig deutlich geworden ist die Entwicklung im Wettstreit mit den Holländern. Die Deutschen verloren zwar, doch sie waren gleichwertig. Vor zwei Jahren in Amsterdam waren sie noch lächerlich gemacht worden. Von den dort eingesetzten 14 holländischen Spielern standen in Schalke zwölf auf dem Feld; von den deutschen nur noch vier. Die Mannschaft um Kluivert, Davids und de Boer gilt nach den WM-Finalisten 1974 und den Europameistern 1988 als dritte goldene Generation der Holländer. Doch für die WM hat sie sich nicht qualifiziert, und nach menschlichem Ermessen wird sie wegen ihres fortgeschrittenen Alters ohne Titel bleiben.

Die Deutschen sind dabei, den kleinen großen Nachbarn wieder zu überholen. Die U 21 gewann 4:1 gegen Holland, der zweifache Torschütze Kuranyi gilt bereits als möglicher Nationalspieler. Das liegt auch daran, dass die größten Nöte der Deutschen im Sturm liegen. Kritiker der Nationalelf sagen: Wir haben keine echten Stürmer mehr. Optimisten sagen: Noch haben wir keine echten Stürmer. Mag sein, dass Deutschland noch nicht zu den ganz Großen zählt. Aber wer die Deutschen schlägt, zählt sich immer noch dazu. „Der Sieg ist wichtig, weil die Bilder davon um die Welt gehen“, sagte Trainer Dick Advocaat. „Die Enttäuschung, nicht bei der WM dabei zu sein, hat etwas entstehen lassen“, sagt Stürmer van Nistelrooy. Bei den Deutschen ist es anders. Die Freude, bei der WM dabei gewesen zu sein, hat etwas entstehen lassen. Völler hat gesagt: „Es ist schön, dass es für einen deutschen Schüler wieder erlaubt ist, die Schule zu schwänzen, um das Training der Nationalelf zu sehen."

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