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Unter falscher Flagge. Dieser Fan hat zum Spiel zwischen Japan und Neuseeland die falschen Devotionalien mitgebracht.

© AFP

Ein Stimmungsbild aus der Provinz: Die Frauen-WM als Randerscheinung

Vier Zuschauer beim Public Viewing, brüllende Kinder in Augsburg und seltsame Ausreden – abseits der deutschen Mannschaft wird die Frauenfußball-WM bescheidener.

Über den Unterschied zwischen Männer- und Frauenfußball ist in den vergangenen Tagen viel geredet worden. Offiziell immer freundlich und anerkennend, hinter vorgehaltener Hand auch mal gehässig und abwertend. Das Vorurteil vom geringen Grad der Professionalisierung der Frauen hat in der ersten Turnierwoche ausgerechnet ein Mann bestätigt. Neuseelands Trainer John Herdman, dessen Mannschaft in Bochum gegen Japan einige Mühe mit der Witterung hatten und der deshalb zur Entschuldigung anführt: „Konnte ja keiner ahnen, dass es hier so warm wird.“

Wie bitte? Noch nie etwas vom Sommermärchen gehört? Von Franz Beckenbauer und seiner an Steffi Jones vererbten Fähigkeit, die Sonne auf Bestellung an den Himmel zu zaubern? Wer zu einer Weltmeisterschaft nach Deutschland kommt und überrascht wird vom schönen Wetter, der hat sich nicht professionell vorbereitet. Neuseeland hat das bezahlt mit einer 1:2-Niederlage gegen Japan, da kann John Herdman seinen Spielerinnen an der Seitenlinie noch so viele Wasserflaschen reichen.

In der öffentlichen Wahrnehmung mag die Sonne seit fünf Tagen nur für die deutsche Mannschaft scheinen, vornehmlich in Berlin und Frankfurt am Main. Doch die Sonne scheint auch in Bochum und Augsburg, in Dresden und Leverkusen. Und in Sinsheim. Es ist ein vielleicht viel sagender Zufall, dass der DFB die eigentliche Eröffnung der WM nach Sinsheim vergeben hat, in jene Stadt, die der TSG 1899 Hoffenheim als Quartiermeisterin dient. Hoffenheim ist in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit immer ein wenig größer gemacht worden, als es eigentlich ist.

Ersatzspektakel in Sinsheim

Die gar nicht so wenigen Zuschauer tragen in ihrer überwiegenden Mehrheit schwarz-weiße Trikots. In Gedanken sind viele in Berlin, bei den schwarz-weißen Heldinnen und der Kanzlerin. Als Ersatzspektakel wird in Sinsheim Frankreich gegen Nigeria gegeben.

Die beste Französin hat einen nordafrikanischen Migrationshintergrund, sie heißt Louisa Necib und marschiert nach dem mit 1:0 gewonnenen Spiel erst einmal zu einer auf dem Rasen sitzenden Nigerianerin. Wahrscheinlich eine Freundin, da gibt es ja immer was zu bereden... Mais non, Louisa Necib schüttelt den blonden Pferdeschwanz, „ich kenne eigentlich keine von den Nigerianerinnen, aber sie haben so großartig gespielt, das musste ich ihnen einfach mitteilen“. 22 Freundinnen sollt ihr sein.

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Nach dem Spiel, in der Gastwirtschaft am Bahnhof. Der Wirt hat in Beamer und Großleinwand investiert. Public Viewing zum WM-Auftakt. Nach zwanzig Minuten vervierfacht sich die Besucherzahl im Saal auf vier. Und das auch nur, weil dem Flammkuchen ein so guter Ruf vorauseilt.

Fernab der deutschen Mannschaft tut sich die WM noch ein bisschen schwer, auch und erst recht am nächsten Tag in Bochum. Das Ruhrgebiet ist kein gutes Pflaster für den Frauenfußball, hier bevorzugt man die kernige Variante des Spiels, hart und roh und unverfälscht. Mal abgesehen von der Duisburger Enklave spielt der Frauenfußball an der Ruhr keine Rolle. Gut 10 000 Zuschauer kommen am Nachmittag ins Ruhrstadion. Sie sehen ein Spiel auf bescheidenem Niveau, aber der offensichtlich von der Fifa instruierte Stadionsprecher jazzt es hoch zu einem Supersuperclasico. Kurz vor Schluss legt die Neuseeländerin Anna Green alle Kraft in einen letzten Schuss, aber ihr Freistoß, abgegeben kurz hinter der Mittellinie, plumpst nicht ins Tor, sondern aufs Tornetz, knapp über der Latte.

Fernab der deutschen Mannschaft tut sich die WM schwer

Einen Tag später in Dresden empfinden es die lokalen Kommentatoren schon als Kompliment, dass die Zuschauer im Rudolf-Harbig-Stadion nicht rufen: „Dynamo, Dynamo!“

Das hätte sich leicht interpretieren lassen als historisch bewährte Solidaritätsadresse für die KDVR, wie Nordkorea nach seiner amtlichen Bezeichnung „Koreanisch Demokratische Volksrepublik“ im DDR-Deutsch hieß. Die amerikanische Rekordnationalspielerin Mia Hamm würde gern mit ein paar Koreanerinnen reden, „aber das wird wohl nichts“. Es bleibt ihr die Hoffnung darauf, dass „Musik und Sport die einzigen Dinge sind, die Menschen zusammenführen“, aber an diesem Abend überwiegt das trennende Element.

Nach der 0:2-Niederlage redet Nordkoreas Trainer wirr von Blitzen, die seiner Mannschaft die Kraft geraubt hätten. Nachfragen an die vom Blitz Getroffenen bleiben erfolglos, weil sie nicht zur Kenntnis genommen werden. Immerhin kommen die Gäste aus Nordkorea später wie verabredet zum Bankett. Auch die Grünen-Chefin Claudia Roth ist dabei, wie schon jüngst bei der nicht ganz unumstrittenen Reise einer DFB-Delegation nach Pjöngjang. Frau Roth freut sich, dass die Nordkoreaner eine offizielle Einladung an die Amerikanerinnen aussprechen. Eine Antwort ist noch nicht bekannt.

Von Dresden sind es sechseinhalb Stunden mit dem Interregio nach Augsburg. Zum Abschluss des ersten Vorrundenspieltages gastiert die WM zum ersten Mal in Bayern. Hier und da wehen ein paar Fahnen, ansonsten ist wenig zu sehen vom internationalen Flair. Das neue Augsburger Stadion liegt weitab vom Zentrum auf der Wiese an einer viel befahrenen Bundesstraße.

Im Publikum geben ohrenbetäubend laut brüllende Kinder den Ton an, sie haben sich verbündet zur Unterstützung der Norwegerinnen, obwohl doch der Außenseiter aus Äquatorialguinea viel dringender auf Unterstützung angewiesen ist. Keine Mannschaft lebt den internationalen Gedanken so sehr wie der WM-Neuling aus Westafrika. Die Äquatorialguineerinnen sind genau genommen keine Äquatorialguineerinnen, sondern eine aus diversen afrikanischen Ländern verstärkte brasilianische Mannschaft. „Aber alle diese Frauen haben einen Bezug zu diesem Land“, sagt ihr Trainer, er heißt Marcelo Frigerio und kommt aus Brasilien. Dass die erste WM-Partie 0:1 verloren geht, stimmt ihn nicht weiter traurig, es irritiert ihn höchstens, „denn eigentlich wollten wir alle Spiele gewinnen“.

Anders als Kollege Herdman erwähnt Senhor Frigerio die Hitze im Stadion mit keinem Wort. Wer vom Äquator kommt, empfindet die 30 Grad im Augsburger Schatten als angenehm kühl.

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