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Sport: Ein Zeichen gegen Gewalt

Nach den Fan-Krawallen werden in Sachsen 60 Fußballspiele abgesagt

Es war alles schon geplant. 45 Ordner sollten für Ruhe sorgen, 15 mehr als Sachsen Leipzig üblicherweise eingesetzt hätte. Der Fußball-Oberligist wollte kein Risiko eingehen am Samstag beim Heimspiel gegen den VfB Auerbach im Sachsen-Pokal, nicht nach den Krawallen in Leipzig am vergangenen Wochenende. Aber die Ordner können zu Hause bleiben, das Spiel ist abgesagt. Auch alle Fußball-Spiele im Regierungsbezirk Leipzig und dazu alle Landesligaspiele des sächsischen Verbands, die am Wochenende geplant waren. Insgesamt sind 60 Partien abgesagt. Damit reagiert der Verband auf die brutalen Ausschreitungen von 800 Hooligans gegen 300 Polizisten, die sich am Rande des Pokalspiels Lok Leipzig gegen Erzgebirge Aue II entzündet hatten. Die Zahl der verletzen Polizisten ist inzwischen auf 39 gestiegen.

Die höherklassige Oberliga spielt erst am 24. Februar wieder; der zuständige Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) plant derzeit keine Absage. „Die Vorfälle sind nicht in unserem Verbandsgebiet passiert“, sagt Dieter Riek, der Vorsitzende des Sicherheitsausschusses des NOFV, „deshalb sahen wir für eine Absage keine Veranlassung.“ Aber er findet die Maßnahme gut. Auch Theo Zwanziger, der Präsident des Deutschen Fußball Bundes (DFB), ist zufrieden. „Die Vereine der zuletzt von den Ausschreitungen betroffenen Regionen setzen ein deutliches Zeichen der Solidarität in Richtung der Polizei und zeigen, dass Gewalt in und um die Fußballplätze Sachsens nicht toleriert werden kann“, sagte der DFB-Präsident.

Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) kündigte gestern eine harte Linie an. Bei brisanten Spielen sollen sachsenweit Sport-Staatsanwälte zuschauen, damit sie gleich vor Ort Haftbefehle beantragen können. Darüber hinaus droht der Bezirksligist Lok Leipzig mit Spielabbruch. Lok-Kapitän Holger Krauß sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir nehmen uns das Recht heraus vom Platz zu gehen, wenn wir diese Randalierer noch einmal in einem Stadion sehen. Wir wollen ein Zeichen setzen.“

Das soll vor allem die Spieltag-Absage setzen. Die Frage ist, ob es etwas bringt. Nein, sagt Peter Schur, der Fanbeauftragte von Sachsen Leipzig. „Damit weichen wir der Gewalt. Viele Unschuldige müssen für etwas büßen, was ein paar Idioten angerichtet haben.“ Das könne man nicht erklären.

Auch Udo Ueberschaer ist dagegen. Er hat auf der Fachkonferenz der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) in Frankfurt am Main von der Absage erfahren. Ueberschaer ist der einzige hauptamtliche Mitarbeiter des Fanprojekts Leipzig, zuständig für alle Leipziger Vereine. Der 37-Jährige befürchtet, dass sich durch die Absage der Hass auf Lok Leipzig verstärkt. Und dass sich die Spirale der Gewalt weiter dreht.

Ueberschaer klagt aber zugleich Verantwortliche bei Polizei und Stadt an: „Ich habe am 15. Januar bei zuständigen Stellen darauf hingewiesen, dass hier bald der Deckel vom Topf fliegt.“ Entsprechend reagiert habe niemand. Der Fanbetreuer hat die Krawalle aus nächster Nähe mitbekommen, für ihn waren sie keine Kraftprobe sächsischer Hooligans, sie stünden auch nicht in Zusammenhang mit den Gewalttaten in Italien. „Hier haben Jugendliche ihren Unmut entladen, die keine Perspektive besitzen und sich an den Rand gedrängt fühlen“, sagt Ueberschaer, „sie erleben Anerkennung nur noch bei solchen Vorfällen.“ Die drei Männer, gegen die wegen schweren Landfriedensbruchs ermittelt wird, sind freilich älter als 18 Jahre. Einem Polizisten wurde eine Schreckschusspistole auf den Oberschenkel gesetzt, der Täter drückte ab. Der Polizist wurde verletzt.

Der Soziologe Gunter A. Pilz, der seit langem das Fanverhalten untersucht, sagte in Frankfurt am Main: „Eine Spielabsage löst das Problem in den Köpfen der Leute nicht.“ Nur wenn Fanprojekte mit genügend Finanzmitteln ausgestattet würden, seien nachhaltige Erfolge möglich. Pilz stellte fest: „Wenn Politiker behaupten, hier seien nur Vereine und Verbände gefordert, ist das scheinheilig.“

In Zwickau und Chemnitz gibt es nur ehrenamtliche Fanbeauftragte, in Aue ist die einzige hauptamtliche Stelle derzeit nicht besetzt, in Leipzig wird Ueberschaer erst in einiger Zeit ein Kollege beigestellt. Nur in Dresden gibt es derzeit drei hauptamtliche Mitarbeiter im lokalen Fanprojekt. Sie werden von der Stadt, dem DFB, Dynamo Dresden und dem Land Sachsen bezahlt. Für den Kollegen Ueberschaer empfindet Christian Kabs vom Fanprojekt Dresden vor allem Mitleid: „Der soll allein die Fans von zwei rivalisierenden Vereinen betreuen. Das ist ein Unding.“

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