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Sport: Eine Frage der Einstellung

Dritter über 800 Meter – Nils Schumann fehlte die Motivation

Von Frank Bachner

München. Nils Schumann tätschelt Wilson Kipketer den Kopf – eine Geste des Respekts. Nils Schumann, der Olympiasieger über 800 Meter, akzeptiert seine Niederlage, heißt diese Geste. Es war kein hartes Duell gewesen, es war eine klare Niederlage. Schumann brauchte 1:47,60 Minuten für die Strecke und lag am Ende 35 Hundertstelsekunden hinter dem Weltrekordler Kipketer (1:47,25). Und schlimmer noch: Schumann, der Olympiasieger, lag im 800-Meter-Finale der Leichtahletik-EM auch noch hinter dem Schweizer Andre Bucher (1:47,43), der zwar Weltmeister ist, aber doch zehn Wochen lang nicht hatte trainieren können.

Alle hatten sich auf das Duell gefreut. Auf diese Neuauflage des Zweikampfs Schumann gegen Kipketer. Viele hatten noch diese Bilder im Kopf: Sydney, Olympia 2000, das 800-Meter-Finale. Wie Schumann und Kipketer nach 700 Metern rangelten, wie Schumann dann auf den letzten 100 Metern diesen grandiosen Spurt lieferte, wie er mit aufgerissenem Mund und ungläubigem Blick den Olympiasieg feierte.

Das Rennen im Kopf verloren

Gestern schaute Schumann nur traurig, er trottete zur Kamera des ZDF, er trottete dann weiter zu der Mixed-Zone, wo die Journalisten warteten, und er sagte: „Ich hatte mir eine Chance auf Gold ausgerechnet.“ Nils Schumann hat dieses Rennen nicht wegen falscher Taktik verloren. Er hat es im Kopf verloren. Den unbedingten Siegeswillen – diesmal hatte er ihn wohl nicht.

„Mir ist es noch nie so schwer gefallen wie vor dieser EM, mich für einen Wettkampf zu motivieren“, sagte Schumann. Der 24-Jährige hatte sich im Winter die Hand gebrochen, ein komplizierter Bruch, er musste mit Schmerzmitteln trainieren, er verlor bei der Deutschen Meisterschaft gegen den jungen René Herms, der gestern im Finale Siebter wurde (1:48,86). Und dann hatte er vor knapp zwei Wochen auch noch eine leichte Grippe. „Das alles hat an meinem Selbstbewusstsein genagt“, sagte Schumann. Am Morgen hatte er noch mit Dieter Kollark geredet, dem Trainer der dreimaligen Kugelstoß-Weltmeisterin Astrid Kumbernuss. Die hatte am Samstag enttäuscht, und Kollark sagte zu Schumann: „Astrid hat verloren, weil ihre Einstellung nicht gut war.“ Schumann nahm diesen Satz mit ins Rennen. Er hat ihn nicht verdrängen können.

Richtige Taktik, zu starke Gegner

Nils Schumann ist taktisch korrekt vorgegangen. Er hat sich nicht zurückfallen lassen, um sofort reagieren zu können bei einem plötzlichen Angriff von Kipketer. Und er vertraute natürlich auf seinen Schlussspurt. Aber Kipketer griff schon nach 550 Metern an, zog das Tempo an. In der Kurve ging Schumann noch mit. Aber „80 Meter vor dem Ziel habe ich gemerkt, das ich nicht mehr mitkomme". Das bemerkten auch die 47 000 Zuschauer. Frenetisch feuerten sie ihn an und hofften, dass Schumann zumindest Silber retten würde. Aber Schumanns Schritte wurden schwer, er hatte nichts mehr zuzusetzen. Deshalb konnte ihn schließlich sogar noch Bucher, der Schweizer, überholen. Bucher hat traditionell kein starkes Finish.

Es ist schwer zu sagen, wie hart Schumann dieser dritte Platz wirklich trifft. In seiner Enttäuschung sprach er, ohne klare Gedanken formulieren zu können. Innerhalb von fünf Minuten sagte er zuerst, wie traurig er sei, dann, dass er mit Bronze „doch auch zufrieden sein“ könne. Und darauf, dass das Rennen eine Woche später doch ganz anders hätte ausgehen können. Eine Woche später? Dann hätte Schumann ja sein Selbstbewusstsein nur kurzfristig verloren. Aber nur Sekunden später sagt der Olympiasieger: „So ein Selbstbewusstsein bekommt man nicht auf Knopfdruck.“ Am besten hält man sich an den Schumann-Satz, der ganz bestimmt richtig ist: „Wilson und Andre waren heute einfach besser.“ Damit ist alles gesagt.

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