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Sport: Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Bei den deutschen Eiskunstlauf-Meisterschaften 2004 soll der Beste auch gewinnen – normal ist das früher keineswegs gewesen

Berlin. Es müssen ziemlich interessante Gesprächsrunden gewesen sein. Auf der einen Seite Reinhard Mirmseker, der Präsident der Deutschen Eislauf-Union (DEU), auf der anderen Seite Funktionäre und Preisrichter aus allen Landesverbänden. Man muss sich das Ganze wohl so vorstellen: Mirmseker hebt beschwörend die Hände, er appelliert, er senkt drohend die Stimme, er wird hart im Ton. Und alles nur, um eine Botschaft loszuwerden: Liebe Leute, bitte wertet bei der deutschen Eiskunstlaufmeisterschaft in Berlin fair. Vergebt gerechte Noten, bevorzugt nicht Leute aus eurem Landesverband und auch niemanden, den ihr aus anderen Gründen besonders gut platziert sehen möchtet.

Mirmseker meint nicht die unvermeidbaren Patzer, er meint offenkundige Mauscheleien. Deshalb hatte er sich vor einiger Zeit mit den Funktionären getroffen. „Es geht um die Glaubwürdigkeit der Sportart“, sagte er gestern. „Es kann nicht sein, dass ein Läufer auf einem Platz steht, den er nicht verdient.“ Und plötzlich bekam eine Pressekonferenz zu dieser Meisterschaft (2. bis 4. Januar, Hess-Stadion) einen Hauch von Pathos.

Noten beim Eiskunstlauf sind ein brisantes Thema, das ist bekannt. Aber dass ein DEU-Chef so offensiv gegen mögliche Mauscheleien vorgeht, das ist neu. Und bemerkenswert. Mirmseker, seit gut einem Jahr DEU-Chef, war schließlich jahrelang Teil des Systems. Er war internationaler Preisrichter, er wertete zu DDR-Zeiten, er half dabei, dass Katarina Witt im Kuhhandel der Juroren um gute Platzierungen denkbar gut abschnitt.

Mirmseker muss bei seinem Kampf um glaubwürdigen Sport viele Bilder vor Augen haben. Zum Beispiel Tanja Szewczenko, als die 1999 bei deutschen Meisterschaften in der Kür dreimal hinfiel und trotzdem auf Platz zwei hochbenotet wurde. Sie hatte einen klangvollen Namen, Platz zwei hätte ihr einen WM-Startplatz gesichert. Und Caroline Gülke aus Berlin, die besser gelaufen war, wäre als Drittplatzierte ausgebootet gewesen. Szewczenko überließ dann Gülke freiwillig den WM-Platz. Oder Mirmseker denkt an Stefan Lindemann. Der griff bei der Meisterschaft 2002 aufs Eis, wurde aber trotzdem Sieger vor dem besseren Andrejs Vlascenko. „Ein politisches Urteil“, sagten Experten. Der gebürtige Lette Vlascenko hätte als derzeit Staatenloser den einzigen deutschen Olympia-Platz nicht besetzen können.

Aber viel mehr als Appelle bleiben Mirmseker nicht. „Die Preisrichter müssen in Berlin besonders auffällige Noten vor einem Schiedsrichter begründen“, sagt er zwar. Aber das war früher auch schon so, geholfen hat es nicht viel. Aber Sanktionen gegen auffällige Preisrichter? Davon redet der DEU-Chef derzeit nicht. Er hofft auf Einsicht.

Und plötzlich seufzt der Präsident. Er denkt an die Grenzen seines Engagements. Dann sagt er: „Ach, völlig verhindern kann man Fehlurteile doch sowieso nicht.“

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