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Sport: Eine Mannschaft sieht Rot

Der HSV wollte um den Meistertitel spielen – nun steht das Team auf einem Abstiegsplatz, weil die Spieler zu undiszipliniert sind

Von Karsten Doneck, dpa

Das Hamburger Publikum reagierte zornig. Zur Halbzeit stimmte es ein Pfeifkonzert an, das die Trommelfelle empfindsamer Menschen mächtig traktierte. Das Missfallen galt Felix Brych. Der Schiedsrichter aus München hatte kurz vor seinem Pfiff zur Pause noch schnell mit seinen Karten für Aufregung beim Hamburger SV und seinen Fans gesorgt. Erst zeigte Brych dem HSV-Mittelfeldspieler David Jarolim, Ersatzkapitän für den verletzten Rafael van der Vaart, für ein Foul an Mladen Kristajic die Gelbe Karte. Und als sich der tschechische Nationalspieler 180 Sekunden später zu einer weiteren Grobheit gegen Levan Kobiaschwili hinreißen ließ, zog der Schiedsrichter Gelb-Rot. HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer machte sich hinterher zum Anwalt Jarolims und nannte Zeugen: „55 000 Zuschauer haben das anders gesehen.“

Der Platzverweis indes ging vollkommen in Ordnung, das siebente Mal in dieser Saison brachte der HSV ein Pflichtspiel in Unterzahl zu Ende. Und das wieder einmal erfolglos: 1:2 (1:1) verlor die Mannschaft am Samstag daheim gegen Schalke 04. Sieben Platzverweise in 14 Pflichtspielen, davon 13 ohne Sieg: Der HSV bewegt sich im Rot-Milieu. Rüpelt sich die Mannschaft von Trainer Thomas Doll allmählich bis ans Tabellenende? Vor Jarolim hatte es in dieser Saison beim HSV in der Bundesliga schon Guy Demel, Colin Benjamin und Mehdi Mahdavikia mit Roten Karten erwischt. Dazu kamen weitere Platzverweise für Torwart Sascha Kirschstein und Benjamin Lauth in der Champions League sowie für Nigel de Jong im Ligapokal gegen Werder Bremen. „Das ist natürlich zu viel“, sagte Dietmar Beiersdorfer.

In mancher Aktion – wie der von Jarolim gegen Schalke – entlädt sich der Frust. Die HSV-Profis fühlten sich doch eigentlich in dieser Saison dazu auserwählt, den FC Bayern herauszufordern. Nun sehen sie sich plötzlich auf den vorletzten Platz der Tabelle gedrängt. Da werden selbst ehedem zahme Spieler plötzlich aggressiv. Wie Verteidiger Mehdi Mahdavikia, der unlängst gegen Bremen mit einem brutalen Foul Werders Spielmacher Diego in ärztliche Behandlung schickte. Und auch Rot sah. Thomas Doll, der HSV-Trainer, kann derlei Aktionen nicht mehr gutheißen. Sie kosten Punkte, weil sich nun mal in Unterzahl weder in der Bundesliga noch in der Champions League so einfach gewinnen lässt. „50 Minuten mit zehn Mann – das ist sehr, sehr hart“, erkannte Doll nach dem Schalke-Spiel. Zudem nimmt die Häufung der Platzverweise langsam schon rufschädigenden Charakter an. Die Hamburger müssen aufpassen, nicht als Kloppertruppe der Liga dazustehen.

Doll verlangt jetzt: „Wir müssen einfach professioneller und cooler zu Werke gehen.“ Wohl wahr, denn letztlich hatte der HSV ja gegen Schalke noch Glück. Nigel de Jong war von Brych schon nach 20 Minuten durch eine Gelbe Karte zur Mäßigung aufgerufen worden. Vier Minuten später foulte de Jong gegen Halil Altintop erneut fast bösartig. Die logische Konsequenz wäre in dieser Szene Gelb-Rot gewesen, doch der Schiedsrichter ließ seine Karten stecken. „Das sind bei ihm keine absichtlichen Aktionen“, nahm Beiersdorfer de Jong in Schutz. Doch gerade der genießt in der Branche längst den Ruf des Rüpels. „Bei ihm wartet ja jeder schon darauf", sagt Beiersdorfer. Erst am Mittwoch beim EM-Qualifikationsspiel hatte sich Albaniens Altin Lala bitter über ein Foul des holländischen Nationalspielers beschwert und gemutmaßt, de Jong habe ihn absichtlich verletzen wollen.

Zumindest Mirko Slomka war am Samstag doch einigermaßen froh, dass der HSV sich durch Jarolims Vergehen in Unterzahl gebracht hatte. Denn der Trainer des FC Schalke 04 erkannte sehr richtig: „Mit zehn Mann haben uns die Hamburger alles abverlangt.“ Wie das wohl erst durchgängig mit elf Mann gewesen wäre?

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