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Sport: Eine Milliarde Verlierer

Warum Indien die schlechteste Sportnation ist

Dies ist ein Text über die unsportlichste Nation der Welt. Außer Frage steht, dass es diese Nation gibt. Irgendwer ist immer Letzter. Auch das Kriterium, nach dem dieses Land zu ermitteln ist, liegt auf der Hand: Man nehme die Zahl der Staatsbürger und setze sie mit den von diesen Staatsbürgern errungenen internationalen sportlichen Erfolgen ins Verhältnis. Nach diesem Kriterium kann es nur ein Ergebnis geben: Die mit Abstand unsportlichste Nation der Erde ist Indien.

Das Land hat 1,2 Milliarden Einwohner (ein Fünftel der Menschheit), kann derzeit aber nicht einen einzigen amtierenden Weltmeister vorweisen. Bei den jüngsten Olympischen Sommerspielen belegte Indien Platz 66 (eine Silbermedaille). Die Jahrzehnte zuvor sah es nicht besser aus – von Wintersportarten ganz zu schweigen. Tatsächlich ist es dem Subkontinent in den sechstausend Jahren seines kulturellen Bestehens nicht gelungen, auch nur einen einzigen Sportler von unbestreitbarem Weltformat hervorzubringen. Solch Versagen kann kein Zufall sein. Es hat System. Nur: welches?

Unzureichende physische Voraussetzungen „des Inders“ scheiden als Erklärung aus. Genau betrachtet wäre von Indien im Gegenteil eine absolute Vormachtstellung im Bereich der Ausdauer- und Extremsportarten zu erwarten. Man denke nur an die ungezählten Individuen, die auf Nagelbetten schlafen, sich seit 30 Jahren den linken Fuß hinter das rechte Ohr geklemmt halten oder auch mal über Monate das Atmen einstellen. Bald jede Woche erreichen uns Meldungen von sieben Jahre alten indischen Wunderläufern, die nach 150 Kilometern querfeldein entspannt in die Kamera grinsen.

Auch im sogenannten „mentalen Bereich“ spräche im Prinzip alles für indische Champions. Was westliche Cracks erst methodisch erlernen müssen – die Fähigkeit zum fokussierten Versinken im Moment – bringt der indische Kontrahent quasi von Haus aus mit. Ein vergleichbarer zivilisatorischer Vorsprung ließe sich bei der Ernährung feststellen: Hühnchen und Reis sind mittlerweile weltweit als ideale Sportlernahrung anerkannt. Und sollte in der These vom Sport als sozialer Aufstiegschance par excellence auch nur ein Körnchen Wahrheit stecken, in Indien müsste es längst zu einer wahren Leistungsexplosion gekommen sein. Nirgendwo sind die Kontraste zwischen Arm und Reich augenfälliger.

Kam es aber nicht. Eine befriedigende Erklärung des indischen Totalversagens muss deshalb denkbar tief ansetzen, muss ins Herz dessen führen, was Sport ist und will. Sportlicher Wettkampf basiert auf der Idee der Gleichheit. Dass Menschen unter feststehenden Regeln miteinander in leiblichen Wettstreit treten hat nur Sinn und Reiz, wenn diese Menschen sich bereits im Vorfeld als Gleichstehende anerkannt haben. Genau diese Voraussetzung aber ist in einer vom Kastenwesen dominierten Gesellschaft wie der indischen nicht gegeben. Der sportliche Wettkampf um Anerkennung erlangt hier allenfalls innerhalb einer Kaste soziale Bedeutung. Als Mittel zum gesellschaftlichen Aufstieg scheidet er völlig aus. Ohne die kulturelle Grundidee der Gleichheit, Indien beweist dies, können also selbst reichste sportliche Potenziale nicht zur Entfaltung kommen.

Die wenigen Sportarten, in denen Inder überhaupt konkurrenzfähig sind, scheinen diese Hypothese weiter zu stützen. Kricket, Hockey, Golf und Tennis sind allesamt englische Aristokratenspielchen. Man bleibt unter sich, wobei die Teilnehmer weder miteinander noch mit dem Spielgerät in direkten körperlichen Kontakt treten. Die Qualität des Fußballs hingegen, dem größten und mächtigsten Gleichmacher der Sportgeschichte, ist in Indien mehr als beschämend. Derzeit rangiert man in der Fifa-Weltrangliste auf Platz 148 – knapp hinter Swasiland.

„Alles schön und gut“, sagte der Ressortleiter, „aber für deine Indien-These brauchen wir einen konkreten Anlass, irgendeinen Inder, der mal etwas reißt oder wenigstens spektakulär unterliegt.“ Seit vier Jahren warten wir gemeinsam. Doch der Anlass kommt nicht. Wie sollte er auch?

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