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Sport: Eine Minute für die Ewigkeit

Seinen Walzer tanzte er so, als wolle er seine Partnerin zur Hochzeit führen: Das italienische Eistanzpaar Barbara Fusar-Poli und Maurizio Margaglio war nach dem ersten Auftritt der Publikumsliebling in Turin. Beim zweiten Auftritt gaben sie sich, als hätten sie die Goldmedaille schon in der Tasche.

Von Andreas Oswald

Seinen Walzer tanzte er so, als wolle er seine Partnerin zur Hochzeit führen: Das italienische Eistanzpaar Barbara Fusar-Poli und Maurizio Margaglio war nach dem ersten Auftritt der Publikumsliebling in Turin. Beim zweiten Auftritt gaben sie sich, als hätten sie die Goldmedaille schon in der Tasche. Mit strahlendem Lächeln und umwerfendem Temperament legten sie eine umjubelte Samba hin. Da geschah es: 20 Sekunden vor Ende des Originalprogramms kam es zum großen Sturz. Nicht elegant fällt das Paar – wie andere, die sich noch einmal abfangen können und sofort wieder auf den Beinen sind, ohne den Schwung zu verlieren. Richtig hässlich schlagen sie aufs Eis, übereinander, ungelenk, so, dass es weh tut. Mühsam rappeln sie sich auf, sie dreht sich zum Publikum, reckt die Arme hoch, das Gesicht verärgert verzogen. Er fällt fast noch einmal hin, reißt zum Schlusston die Arme hoch, schafft es gerade noch – zu seinem eigenen Schutz –, hinter seine Partnerin zu gelangen. Aber da sucht sie ihn schon, erwischt ihn hinter sich, geht einen Schritt auf ihn zu. Eine ewige Minute lang blickt sie den Mann an, als wolle sie ihm ins Gesicht schleudern: „Du Versager, du elender Versager.“

Eine ewige Minute ist das vor den konsternierten, verwirrt stöhnenden Zuschauern – nicht zu vergessen das weltweite Fernsehpublikum. Das Paar liefert sich mit Blicken einen Krach. Eine Minute brauchen sie, um sich zu besinnen und zu verabschieden – das Lächeln grausam verzerrt. Ist das nicht wunderbar?

Eine solche Szene kriegt kein Regisseur hin. Weil sie ehrlich ist, nicht gespielt. Gerade der Eistanz, bei dem sonst perfekt geschminkte Paare eine schöne Welt des Scheins simulieren, hat es diesmal geschafft, das wahre Leben mit seinen Kanten und Krächen zu zeigen. Welch schöne Welt des Seins.

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