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Sport: Einfach ruhig

Trainer Marco van Basten setzt den Kontrapunkt zu Hollands Oranje-Hysterie

Marco, ist alles so, wie du dir

das vorgestellt hast?

Ja.

Und wie ist es?

So, wie ich es mir vorgestellt habe.

Das heißt?

Prima.

(Versuch eines Fernsehreporters,

Marco van Basten zu interviewen)

* * *

Eigentlich war es unmöglich, in Leipzig einen Ort zu finden, der nicht orange war. Marco van Basten hat es geschafft. In der Stadt und rund um das Stadion feierten die Anhänger der holländischen Nationalmannschaft. Van Basten, der Bondscoach, flüchtete dahin, wo er sich immer am wohlsten gefühlt hat: aufs Fußballfeld. Eine Stunde vor dem ersten WM-Spiel der Holländer saßen nur wenige Zuschauer auf den Rängen im Zentralstadion, kaum jemand beobachtete den Mann im weißen Hemd, der seine Sonnenbrille in den Kragen gesteckt hatte, und allein über den Rasen ging.

Marco van Basten schätzt diese Momente, in denen er einfach seine Ruhe hat. Er macht sich rar, entzieht sich den Medien, und vor allem nimmt van Basten wenig Rücksicht darauf, was die Öffentlichkeit von ihm erwartet. Im Moment erwartet sie vor allem, dass er sich offensiv zu hohen Zielen bekennt. Wenn Deutschland Weltmeister werden will, warum dann nicht auch die Holländer? „Wichtig ist, dass wir guten Fußball spielen“, sagt er dann. „Wir wollen als Team Fortschritte machen.“ Immer wieder. Mit seiner nüchternen Art setzt van Basten den Kontrapunkt zur Oranje-Hysterie seiner Landsleute, die die Mannschaft bei jedem Turnier begleitet, bis es zum ersten Mal Elfmeterschießen gibt.

Was Marco van Basten auszeichnet? „Er ist van Basten“, sagt Philipp Cocu, der älteste Feldspieler der Holländer. Mehr kann man im holländischen Fußball kaum darstellen. Obwohl er vor der Nationalelf lediglich die A-Jugend von Ajax Amsterdam trainiert hat, besitzt van Basten eine Glaubwürdigkeit wie kein Bondscoach vor ihm. „Er hat als Spieler gigantische Erfahrungen gemacht“, sagt Cocu. Das unterscheidet ihn vor allem von seinem Vorgänger Dick Advocaat, der nie ein Länderspiel bestritten hat. Auf Deutschland übertragen wäre das so, ob wenn Wolfgang Wolf Bundestrainer geworden wäre. Van Basten hingegen gilt hinter Johan Cruyff als größter Fußballer seines Landes. Er war dreimal Weltfußballer, dreimal Europas Fußballer des Jahres, vor allem aber hat er Holland 1988 zum Titel bei der Europameisterschaft geschossen.

Van Bastens Stil und seine Arbeitsweise sind nur aus den Erfahrungen heraus zu verstehen, die er selbst als Spieler gemacht hat. 1988 war er der Held, zwei Jahre später, bei der Weltmeisterschaft, scheiterte er mit Holland bereits im Achtelfinale. Die Mannschaft war zerstritten, van Basten schoss in vier Spielen kein Tor. Als Trainer legt er daher großen Wert auf den Teamgeist. Soziale Kompetenz ist für ihn ein wesentliches Kriterium bei der Auswahl seiner Spieler; die bekennenden Egozentriker Clarence Seedorf und Edgar Davids haben deshalb bei ihm nie eine echte Chance gehabt.

Bei der EM 1988 hat van Basten erlebt, wie wichtig es für einen Stürmer ist, das Vertrauen seines Trainers zu spüren. Beim ersten Spiel saß er nur auf der Bank. In der zweiten Begegnung, gegen England, spielte er von Beginn an – und schoss drei Tore. Von dieser Erfahrung profitiert nun vor allem Mittelstürmer Ruud van Nistelrooy, der mit seiner unsicheren sportlichen Zukunft bei Manchester United hadert und gegen Serbien-Montenegro keine Torchance hatte. „Ruud ist bei uns gesetzt“, sagt van Basten. Schon heute im Spiel gegen die Elfenbeinküste „kann er sehr wichtig für uns werden“.

Vor dem WM-Auftakt haben die heimischen Medien ein bisschen gemurrt und ein etwas holländischeres Spiel angemahnt: mutiger, offensiver, abenteuerlicher. Van Basten aber schickte eine Elf aufs Feld, die am Ende defensivstärker war als die mutmaßlich defensivstärkste Mannschaft des Turniers. Dahinter steckt Methode. Das 1:0 gegen Serbien war das 14. Spiel unter van Bastens Regie, in dem die Holländern kein Gegentor kassierten.

Marco van Basten ist eine Art Klinsmann mit verkehrtem Vorzeichen. Beide haben eine Idee vom Spiel, die sich nicht deckt mit den traditionellen Vorstellungen. Den Holländern die Lust an der Defensive beizubringen ist genauso ein Kulturbruch wie Klinsmanns Fixierung auf die Offensive. Im Viertelfinale könnte sich zeigen, welches Projekt erfolgreicher war. Die Deutschen sollten sich in diesem Fall nicht auf das Elfmeterschießen verlassen. Van Basten lässt schon seit Wochen Elfmeter trainieren. Klinsmann nicht.

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