zum Hauptinhalt

Sport: Einfach zu gut

Der neue Pokalsieger Bayern München dominiert die nationale Konkurrenz wie lange nicht mehr

Berlin - Es war schon halb drei in der Nacht, die ersten Spieler des Double-Gewinners hatten die gemeinsame Tafel bereits verlassen, da verband Uli Hoeneß, der Präsident des FC Bayern München, das Gewesene schon mit dem, was erst noch kommen soll. Der Pokalsieg gegen Werder Bremen, der zweite Titel dieser Saison, war nur noch Projektionsfläche für etwas wesentlich Größeres: für das Finale der Champions League in einer Woche gegen Inter Mailand und die historische Chance der Bayern, das Triple aus Meisterschaft, nationalem Pokal und Europacup zu gewinnen. Die Münchner lassen in diesen Tagen keinen Zweifel daran, dass sie am Samstag in Madrid das vollenden werden, was noch keiner deutschen Mannschaft zuvor gelungen ist. Uli Hoeneß machte da keine Ausnahme. Natürlich hält er die Aussichten im Finale der Champions League für glänzend: „Inter wird sicher nicht so defensiv spielen wie heute Bremen.“

Hoeneß hat den Ruf, ein bayrischer Rammbock zu sein: immer drauf mit voller Wucht. Aber da tut man ihm Unrecht. Er beherrscht auch die feinen Stiche, die deshalb nicht weniger schmerzhaft sind. Quasi im Vorbeigehen hatte er die Bremer noch einmal erledigt. Der SV Werder, Hüter des offensiven Fußballs in Deutschland, defensiver als Inter Mailand? Guter Witz, könnte man meinen. Doch so zurückgezogen wie im Pokalfinale hat man die Bremer in der Tat selten erlebt.

Ihre Zurückhaltung war nur halb gewollt. Die Bremer konnten gar nicht anders, sie wurden von den Bayern gejagt, gehetzt und regelrecht in eine für sie unnatürliche Abwehrhaltung gedrängt. „Die Bayern haben uns ständig unter Druck gesetzt“, sagte Werders Verteidiger Per Mertesacker. Die von ihm befehligte Viererkette stand so tief, als ob sie mit dem eigenen Torhüter Tim Wiese in körperlichem Kontakt bleiben wollte, und bei Münchner Ballbesitz zog sich Werders komplette Mannschaft fast fluchtartig hinter die Mittellinie zurück.

Am Ende hieß es trotzdem 4:0 für die Bayern. Und das nicht gegen Köln, Frankfurt oder Gladbach, Laufkundschaft aus dem Bundesliga-Mittelmaß. Ihr Gegner hieß Werder Bremen, Dritter der gerade beendeten Saison, eine der spielstärksten Mannschaften Deutschlands überhaupt, regelmäßiger Teilnehmer der Champions League und seinem Selbstverständnis nach ein ernst zu nehmender Konkurrent der Bayern. Davon war im Pokalfinale nichts zu spüren. „Ich habe in dieser Begegnung nie Angst gehabt“, sagte Münchens Manager Christian Nerlinger. Schon mit seiner Aufstellung hatte Thomas Schaaf die Übermacht des Gegners quasi abgezeichnet und genehmigt: Werders Trainer opferte einen Offensivspieler, um das Spiel der Münchner einzudämmen. Er hatte damit genau so reagiert, wie Louis van Gaal es erwartet hatte. „Thomas Schaaf hat sich für die Ordnung entschieden“, sagte der Trainer der Bayern.

Die Münchner in ihrer aktuellen Form zwingen jeden Gegner, auch taktisch, in die Defensive – weil zur herausragenden individuellen Qualität, die der FC Bayern sich immer schon leisten konnte, nun auch eine klare Idee vom Spiel kommt. „Die Tore sind nur ein Produkt unserer Spielweise“, sagte Thomas Müller, der mit seinem Bewegungsdrang zu einem der Schlüsselspieler im System van Gaal aufgestiegen ist. Genauso wie sein Sturmpartner Ivica Olic, der die vorderste Verteidigungslinie bildet, wie Franck Ribéry und Arjen Robben, die Individualisten auf den Flügeln, oder Bastian Schweinsteiger und Mark van Bommel als Hüter der defensiven Ordnung. „Das Wichtigste ist im Kopf passiert“, sagte Müller. „Entscheidend ist, dass wir alle das System verstehen und dass wir uns voll damit identifizieren.“

Es hat eine gewisse Zeit gebraucht, aber mit dem von ihm implementierten Stil hat Louis van Gaal eine tiefe Sehnsucht der Bayern befriedigt. Deren Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sieht jetzt das erfüllt, „was wir uns immer gewünscht haben“. Die Bayern paaren Erfolg mit Attraktivität. Gegen Bremen habe die Mannschaft gezeigt, „wie schön, wie leicht Fußball sein kann“, sagte Rummenigge. Schön und leicht – so hat man die Bayern noch nie erlebt, und das macht das aktuelle Team schon jetzt zu einem besonderen, unabhängig davon, ob es die Champions League gewinnt oder nicht. „Was die Bayern im Moment spielen, ist für jeden Fußballfan eine Freude“, sagte Sänger Herbert Grönemeyer, der dem Festbankett der Münchner beiwohnen durfte. Mit dieser Ansicht steht er nicht allein. Immer mehr eigentlich überzeugte Kritiker der Bayern und ihres traditionellen Stils haben sich inzwischen von deren neuer Leichtigkeit einfangen lassen.

Selbst Uli Hoeneß, der immer dann meckert, wenn alle jubeln, hatte diesmal „nichts auszusetzen“. Die neuen Bayern bereiten ihm großen Spaß, zumal die Darbietung im Pokalfinale seine schon vor Wochen geäußerte Einschätzung bestätigte, dass der FC Bayern die spielerisch beste Mannschaft Deutschlands stelle und danach lange nichts komme. „Wir zermürben jeden Gegner mit unserer spielerischen Überlegenheit“, sagte Hoeneß. „Sechzig, siebzig Prozent Ballbesitz – das hält kein Mensch aus.“

Die Bayern dominieren die nationale Konkurrenz so sehr, dass dem deutschen Fußball eine Periode der gepflegten Langeweile droht, wie es sie seit Mitte der Achtziger nicht mehr gegeben hat. „Wir dürfen das nicht zulassen“, sagte Bremens Trainer Schaaf. „Alle Vereine müssen daran arbeiten, damit das nicht eintritt.“ Dass das nicht einfach wird, ahnt er wohl, zumal die Bayern nicht daran denken, sich mit ihrem derzeitigen Status zufrieden zu geben. „Wir sind noch nicht am Ende“, sagte Louis van Gaal. „Ich bin der Meinung, dass wir das noch besser können.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false