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Sport: Einmal genial

Schweden feiert ein Tor für die Geschichte – Italien verspielt den Sieg durch zu defensives Verhalten

Im zweiten Untergeschoss steckte sich Alessandro Nesta einen Kopfhörer seines Handys in das eine Ohr. Den Hemdkragen hatte er sich schon in der Umkleide hochgestellt. Was wollt ihr von mir, sollte das wohl heißen, als er nach dem Spiel vor die italienische Presse trat. Er sprach in viele Mikrofone in dieser Nacht, aber seine halbe Konzentration galt seiner Mailbox. Nesta erzählte nicht viel, dafür aber strich er sich oft und gekonnt durch sein gegeltes schwarzes Haar. „Wir haben nicht nachgelassen, nur der Gegner ist einfach stärker geworden“, erklärte Nesta das aus italienischer Sicht so schmerzhafte 1:1 (1:0) gegen gar nicht so starke Schweden.

Fünf Minuten vor dem Abpfiff musste Nestas Team das Gegentor der Schweden zum 1:1 hinnehmen, ein Tor zudem, das in die Geschichte eingehen wird: Im Getümmel des italienischen Strafraums erkannte Schwedens Angreifer Zlatan Ibrahimovic als Erster die Chance, an den Ball zu kommen. Kurz hinter ihm stürzte Torwart Buffon ebenfalls zum Spielobjekt. Aber der Schwede war schneller, sprang hoch und zirkelte den Ball mit dem rechten Außenriss nach hinten, nur ahnend, dass sich dort genau die Lücke aufgetan hatte, in die der Ball dann auch flog – zum Ausgleich. Nun fehlt nicht mehr viel und Italien scheitert zum zweiten Mal nach 1996 in der Vorrunde einer Europameisterschaft.

Die Italiener benötigen im abschließenden Vorrundenspiel am Dienstag einen hohen Sieg gegen Bulgarien, um aus eigener Kraft das Viertelfinale zu erreichen (siehe nebenstehenden Kasten). Schweden reicht am selben Tag gegen Dänemark schon ein Unentschieden zum Weiterkommen. „Für mich an der Seitenlinie war es ein interessantes Spiel“, sagte Giovanni Trapattoni hinterher und brachte wohl damit jeden italienischen Fußball-Fan zur Weißglut. Die rund 4000 italienischen Fans im Stadion waren tief enttäuscht. Ein gellendes Pfeifkonzert begleitete die Mannschaft nach dem Schlusspfiff in die Kabine. Nicht ein Spieler der Mannschaft ging nach dem Spielende in die Fan-Kurve, so tief saß der Frust über das zweite Unentschieden.

Als sich in der Nacht rund 20 000 Schweden-Fans durch die schmalen Gassen hinunter zum Lauf des Douro schoben, war nicht ein blaues Trikot zu sehen. Und vermutlich wird die Wut der Italiener auf Francesco Totti wachsen. Der Star der italienischen Mannschaft, der wegen seiner Spuckattacke gegen den Dänen Poulsen im ersten Spiel vom europäischen Verband für drei Spiele gesperrt worden war, hockte neben seiner Freundin Ilary auf der Tribüne des Estadio Dragao und musste sich anhören, wie er von seinen Landsleute beschimpft wurde. Dabei hatte es sein Vertreter und Mannschaftskollege vom AS Rom, Andrea Cassano, gar nicht mal schlecht gemacht. Der mit 21 Jahren jüngste Spieler im Team von Trapattoni führte klug Regie und erzielte vor 48 000 Zuschauern in der 37. Spielminute nach einer erstklassigen Flanke von Christian Panucci sogar die Führung.

Vier Tage nach dem müden Remis gegen die Dänen präsentierten sich die Italiener lange Zeit auch hellwach, aggressiv und zweikampfstark. In der ersten Halbzeit erspielten sie sich acht gute Torchancen, die aber Alessandro Del Piero oder Christian Vieri kläglich vergaben. Vor allem das Kopfballspiel des wuchtigen Mailänders dürfte Trapattoni Rätsel aufgeben. „Das Spiel in der ersten Halbzeit hat sehr viel Kraft gekostet“, sagte Trapattoni. Er hätte auch sagen können, seine Spieler wollten in der zweiten Halbzeit den Vorsprung nur noch verwalten. Nach einer Stunde stellte sein Team jegliches offensives Bemühen ein.

„Unsere Trainer haben uns in der Halbzeitpause gesagt, dass wir aggressiver in die Zweikämpfe gehen sollen, sonst werde es sehr schwer, gegen Italien etwas zu holen“, sagte der schwedische Torschütze Ibrahimovic. Und so kam es dann. Die Schweden fanden in der Schlussphase dank italienischer Zurückhaltung zu jener Form, die zum glanzvollen 5:0 gegen Bulgaren geführt hatte.

Nach dem Punktgewinn gaben Schwedens Trainer, Lars Lagerbäck und Tommy Söderberg, zu: „Wir haben schon besseren Fußball gespielt.“ Den schwedischen Fans war es an diesem Abend egal. Sie warfen ihre gehörnten Mützen in die Luft, tanzten und tranken so manche Portweinkellerei am Douro leer. Und was sagte Italiens Trainer Giovanni Trapattoni? „Es wird kein Spaziergang, aber wir können weiterkommen.“

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