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Die Familie an der Bande: Trainer Jeff Tomlinson und seine Mannschaft.

© dpa

Eisbären Berlin: Familie an der Bande

Beim EHC Eisbären geht es in der Führungsetage familiärer zu als bei vielen anderen Profiklubs. Doch was im Erfolgsfall gut war, lähmt den Eishockeyverein in der sportlichen Krise: Denn wer feuert schon ein Familienmitglied?

Kürzlich hat Hartmut Nickel seinen 70. Geburtstag nachgefeiert. Daheim. Und daheim ist für den langjährigen und nun ehemaligen Trainer der Eisbären der Wellblechpalast. Und natürlich sind sie alle gekommen zur Feier ins Bistro „Wellis“. Spieler, ehemalige Spieler, Trainer, ehemalige Trainer, Betreuer. Hartmut Nickel begrüßte fast jeden Gast als „meinen alten Freund“ und bekam warme Worte zurück. Cheftrainer Jeff Tomlinson ließ gar verlauten: „Hartmut, wir lieben dich!“ Sie lieben sich alle bei den Eisbären. Sie müssen sich lieben. Sie kennen sich schließlich seit Jahrzehnten, sagen, sie seien Freunde. Manager Peter John Lee spricht gerne von „einer großen Familie“ bei seinem Eishockeyklub aus Hohenschönhausen.

Die Eisbären Berlin sind seit gut einem Jahrzehnt die erfolgreichste Marke im deutschen Eishockey. Die Berliner haben die meisten Meistertitel geholt, haben die meisten Zuschauer und sind auch der landesweit bekannteste Klub im Eishockey – besonders groß ist die Popularität in den östlichen Bundesländern. Mit Fanklubs von Dresden bis Rostock und allem, was dazugehört. Mögen die Spiele in der Arena am Ostbahnhof zurzeit auch nach nordamerikanischem Modell losgelöst vom momentanen sportlichen Misserfolg in Richtung unterhaltsames Spektakel abdriften, so steckt hinter der professionellen Fassade des Klubs eines nordamerikanischen Milliardärs mehr familiärer Charakter als in jedem anderen in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL). Die Clique der guten alten Freunde hat alle Macht im Klub. Das funktionierte sehr gut, solange der Erfolg da war. Doch diese Strukturen hemmen die Eisbären nun schon im zweiten Jahr einer sportlichen Krise. Sie machen die Handlungsträger ohnmächtig – bei wichtigen Personalentscheidungen: Denn wer feuert schon gern seinen Freund?

Ein Drittel der Klubs in der Liga hat schon seinen Trainer entlassen. Dabei hätte Jeff Tomlinson einer der ersten Übungsleiter sein können, die gehen müssen. Zuverlässig dümpelt er seit anderthalb Spielzeiten mit einer gut besetzten Mannschaft im Tabellenkeller herum – in Mannheim oder Köln wäre Tomlinson längst zum Arbeitssuchenden degradiert worden. Doch Tomlinson, den im Klub alle liebevoll „Tommer“ nennen, ist ein guter Kumpel von Manager Peter John Lee (Spitzname „Pete“), war einst als Co-Trainer schon Chef vom Sportlichen Leiter Stefan Ustorf und Eisbären-Dauerbrenner Sven Felski, inzwischen Vorsitzender im Stammverein. Als Tomlinson im Sommer 2013 den Job übernahm sagte Lee: „Jeff ist einer von uns. Schön, dass er wieder bei uns ist.“ Und einen „Tommer“, den setzt Lee nicht so einfach vor die Tür, der muss natürlich im Klubgefüge bleiben.

Der bisher letzte Trainer, den die Eisbären während einer Saison entlassen haben, war Uli Egen - im Jahr 2003

Doch wo sollte Tomlinson noch hin, bei den Eisbären? Das würde schwer, war ja schon schwer genug, für einen verdienten Ex-Spieler wie Felski („Felle“ oder „Bürgermeister“) den passenden Job zu finden. Und Manager und Geschäftsführer Lee, einst Spieler, Co-Trainer und Trainer bei den Eisbären, war vor über einem Jahrzehnt einer der letzten Trainer der Eisbären, die ihren Job vorzeitig verloren – wobei sich Lee mit Abschied aus dem Traineramt auf den Managerposten schob. Der bisher letzte Trainer, den die Eisbären während einer Saison entlassen haben, war Uli Egen (kein Spitzname) im Jahr 2002. Ein Allgäuer mit schmaler Geschichte im Klub, ein intelligenter Querkopf, der nicht zu Hohenschönhausen passte.

Danach kamen die Erfolgstrainer Pierre Pagé und Don Jackson. Pagé kam ohne Eisbären-Vergangenheit oder Beziehungen zum Klub. So etwas ist inzwischen undenkbar. Seit Pagés Abgang im Jahr 2007 ist das Netz der Familie enger geworden, wurden Trainerposten guten Bekannten zugeschoben: Pagés Nachfolger Don Jackson („Donni“), ehemaliger Co-Trainer der Eisbären, kehrte als Cheftrainer zurück. Und Nachfolger Tomlinson kam als ehemaliger Spieler und Co-Trainer des Klubs wieder nach Berlin.

Die erste Riege der Eisbären kommt aus Nordamerika

Bei Vakanzen im Führungsstab rückt zuverlässig ein Familienmitglied auf. Das ist zu einem Teil in der Osttradition des Klubs begründet. Die Strukturen beim SC Dynamo waren zu DDR-Zeiten familiär. Das Eishockey als vom Staat ungeliebte und kaum geförderte Sportart musste zusammenrücken. Die 35 Jahre SC Dynamo vor der Wende spielen zwar 25 Jahre später beim EHC Eisbären noch eine Rolle, auf ganz hoher Ebene allerdings haben die Protagonisten von einst und ihre Kinder immer weniger zu sagen: Die erste Riege des Klubs kommt aus Nordamerika (Lee, Tomlinson, Geschäftsführer Billy Flynn) oder ist nordamerikanisch geprägt wie der Sportliche Leiter Stefan Ustorf („Usti“). Dieser Familienzweig ist der mächtigere – vor allem, weil er einen engeren Draht zum Eigner Philip Anschutz in Denver hat. Seit Anschutz die Eisbären im Jahr 1999 übernommen und vor dem Konkurs gerettet hat, wird in den oberen Etagen Englisch gesprochen.

Das Eisbären-Sextett aus der Führungsriege.
Das Eisbären-Sextett aus der Führungsriege.

© imago/tsp

Im unteren Segment der Eisbären, im Nachwuchs oder selbst im Betreuerstab, finden sich dagegen die einstigen Dynamo-Spieler und ihre Nachfahren. Der Umgang zwischen den Fraktionen ist nach außen hin herzlich. Allerdings wird wie in jeder guten Familie hinter vorgehaltener Hand schon mal gemeckert über denjenigen, der den Wunschposten besetzt. Die Binnenstrukturen lähmen innerhalb des Klubs die Entwicklung im Funktionärs- und Trainerbereich. Mit Steffen Ziesche (Spitzname „Z“) haben die Eisbären seit Jahren einen ambitionierten Coach im Nachwuchsbereich, er gehört sogar zum Trainerstab der deutschen Nationalmannschaft. Der ehemalige Eisbären-Profi Ziesche hat ordentlich Klub-Vergangenheit und ist in den Strukturen vernetzt. Sein Vater Achim war Trainer, sein Bruder Jens ist Arzt beim DEL-Team und seine Frau arbeitet im „Wellis“. Sicher wäre Ziesche perspektivisch jemand für den Posten des DEL-Trainers der Eisbären. Doch da steht ihm wohl die nordamerikanische Fraktion der Familie im Wege. Eher würde Manager Lee wohl nach einem ihm und den Eisbären verbundenen Trainer nordamerikanischer Herkunft suchen – sollte Tomlinson dann doch einmal gehen müssen –, als einen deutschen Trainer aus den eigenen Reihen zu befördern.

Jeff Tomlinson wird bis zum Saisonende wohl nicht infrage gestellt

Doch noch weigert sich Lee, nach den Gesetzen der Branche zu reagieren. Jeff Tomlinson darf weiterarbeiten. Bis zum Saisonende. Dann läuft sein Vertrag aus. Nach dem Spiel am Freitag, der 2:3-Heimniederlage gegen Köln, sagte er: „Druck haben alle Trainer in der Liga.“ Natürlich wollten sie es am Sonntag im Heimspiel gegen die Adler Mannheim (0:2-Niederlage) besser machen, versprach Tomlinson. Nach der Niederlage wird Tomlinson natürlich weiterhin nicht infrage gestellt. Die Familie gewinnt eben zusammen und sie verliert zusammen. Wie sagte Tomlinson so schön, nachdem er mit der Mannschaft die Vorsaison in den Sand gesetzt und sich nicht für die Play-off-Endrunde qualifiziert hatte: Natürlich treffe ihn als Trainer da „eine Mitschuld“. „Aber wir sind hier alle eine Familie.“ Seinen Job sehe er nicht in Gefahr, sagte Tomlinson.

Sie sind eben ein Sonderfall im deutschen Profisport, die Eisbären. Vielleicht lebt noch Fußball-Zweitligist 1. FC Union in einer derartigen Binnenstruktur. Sportlicher Erfolg ist in solchen Klubs nicht alles – und in dieser Hinsicht wird sich bei den Eisbären so schnell nichts ändern, solange sich die Strukturen nicht bewegen und ein Trainer von außen kommt, dessen Anwesenheit jeden Einzelnen in Mannschaft und Umfeld zwingt, seine Position neu erkämpfen zu müssen. So wie es Pagé einst gemacht hat und damit die große Ära der Eisbären einleitete, die dann mit Jacksons Abgang im April 2013 endete.

Aber solange die Zuschauer auch zuverlässig bei Niederlagen in die Berliner Arena strömen und die Fans der Eisbären Berlin die Mannschaft nicht auspfeifen, sondern wie am Freitag nach dem Spiel gegen Köln noch mit leisem Applaus verabschieden, sieht sich die Familie Eisbären auch nicht unter Druck. Und wenn der Druck von außen größer wird, dann werden sie womöglich näher zusammenrücken, der Pete, Usti, Tommer, Felle und die anderen. So, wie das in guten Familien passiert.

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