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Mächtige Flügelzange. Russlands Präsident Putin (r.) und Weißrusslands Machthaber Lukaschenko machen nicht nur auf dem Eis gern gemeinsame Sache.

© imago/ITAR-TASS

Eishockey - ein Artikel von 2014: Blut und Spiele bei der Weltmeisterschaft in Weißrussland

Ein Diktator, der sich präsentieren will. Ein Weltverband, der das billigend in Kauf nimmt, indem er einfach wegschaut. Die Eishockey-WM in Weißrussland zeigt, wie umstrittene Regime den Sport missbrauchen.

Im Januar schlitterte Alexander Lukaschenko gemeinsam mit Wladimir Putin übers Eis. Der groß gewachsene, stämmige Präsident aus Weißrussland als brachialer Eishockeyverteidiger, sein russischer Kollege gab den angreifenden Torjäger. Das Zusammenspiel funktionierte. Die beiden Präsidenten siegten zur Eröffnung des Bolschoi-Palastes im Olympiapark von Sotschi mit ihrem Team 12:3. Auch politisch spielen sich die beiden Präsidenten die Pässe zu. Moskau hat erst kürzlich einen Kredit an Minsk vergeben, angeblich über 1,5 Milliarden Euro.

Putins liebster, aber klammer Nachbarstaat braucht Geld, Weißrussland ist in der schwersten monetären Krise seit der Unabhängigkeit vor 20 Jahren. Trotzdem wollte Lukaschenko sich eine Sportveranstaltung leisten, die er nun auch mit Putins Geld finanziert: die Eishockey-Weltmeisterschaft. Ein großes Ereignis für die eishockeybegeisterten Weißrussen, eine Chance, glaubt Lukaschenko, seinen Staat als weltoffen und fortschrittlich zu präsentieren – und ein Politikum für die westliche Welt. Weißrussland gilt als die letzte Diktatur Europas. Proteste gegen die Ausrichtung der WM gab es nach der Vergabe viele, doch ab Freitag wird in Minsk trotzdem Eishockey gespielt, bis zum 25. Mai 2014. Mannschaften aus 16 Nationen nehmen teil, darunter auch Deutschland und andere westliche Staaten wie die USA, Kanada, Frankreich oder Schweden.

Olympia und Leichtathletik-WM in Russland, Sommerspiele in China, Fußball- und Handball-WM in Katar – immer häufiger werden sportliche Großereignisse an Staaten vergeben, die demokratischen Maßstäben kaum genügen. An Staaten, in denen nicht Bürger per Volksentscheid mitbestimmen, sondern ohne demokratische Umwege oder Hürden wie Proteste die Politik nach ihren Vorstellungen handeln kann. Weißrussland ist, obwohl eine Eishockey-WM ein eher kleines Großevent ist, ein Paradebeispiel dieser Entwicklung.

Weißrussland ist das letzte Land in Europa, das die Todesstrafe anwendet

Seit den Präsidentenwahlen 2010 hat sich die Situation in Lukaschenkos Staat massiv verschlechtert. Damals wurden 700 Menschen in Minsk aus politischen Gründen verhaftet. Eingeschränkte Meinungsfreiheit, Versammlungsverbot, Homophobie – das System ist weit von demokratischen Grundprinzipien entfernt. Weißrussland ist das letzte Land in Europa, das die Todesstrafe anwendet. 2012 wurden mindestens drei Todesurteile vollstreckt, erst über Ostern wurde laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International ein weiteres ausgeführt. Lukaschenkos Regime sei grausam, sagt Jovanka Worner von Amnesty International, Länderexpertin für Weißrussland und die Ukraine. „Was wir anprangern, ist auch die Art und Weise der Vollstreckung der Todesurteile.“ Berufungen hätten keine Chance. Todesurteile würden einfach vollstreckt, Angehörige erst danach informiert.

Nach dem Terroranschlag in der U-Bahn von Minsk und der Hinrichtung zweier Verurteilter im März 2012 gab es eine Debatte um die 2009 an Weißrussland vergebene WM und Proteste. Die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, Dagmar Freitag, appellierte mit anderen Abgeordneten an den Eishockeyweltverband, das Turnier in ein anderes Land zu vergeben. Die feministische Aktivistengruppe „Femen“ protestierte vor der Zentrale der International Ice Hockey Federation (IIHF) in Zürich, forderte, dass Lukaschenko sich dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag stellen solle, und hisste auf Plakaten Slogans wie: „Slaves can’t play hockey“. Eine Intervention des EU-Parlamentes gegen die Austragung der WM in Weißrussland brachte Lukaschenko in Bedrängnis. Doch IIHF-Präsident René Fasél kam ihm zu Hilfe. Der Sport dürfe sich nicht zur Marionette der Politik machen, sagte der Schweizer. Die Statuten würden keine Verlegung aus politischen Gründen erlauben. Die IIHF hielt an der WM in Minsk fest.

Uwe Harnos verteidigt diese Entscheidung und hält auch nichts davon, das deutsche Nationalteam in Minsk nicht teilnehmen zu lassen. „Boykott ist immer eine schlechte Entscheidung“, sagt der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB). „Es ist ein schwieriger Spagat. Sport ist grundsätzlich unpolitisch. Aber man kann Sport und Politik nicht immer voneinander trennen.“ Man müsse das Thema Weißrussland kritisch betrachten. „Wir haben viel mit den verschiedensten Politikern diskutiert.“ Aber nur wenn man hinfahre, habe man die Möglichkeit, „seine Stimme zu erheben“ bei so einer Veranstaltung. „Unsere Spieler haben keinen Maulkorb“, sagt Harnos. „Das sind alles junge mündige und kritische Bürger. Wem danach ist, der kann sich äußern.“

Den ausländischen Besuchern geht es besser als den eigenen Bürgern

Die Eishockey-WM ist für ein kleines Land wie Weißrussland mit seinen knapp zehn Millionen Einwohnern ein teures Ereignis. In Minsk wurden seit 2009 zwei moderne Arenen errichtet. Die Kosten dafür liegen insgesamt im dreistelligen Millionenbereich. Dazu kommen Aufwendungen für die Durchführung (rund 25 Millionen Euro) und wirtschaftliche Risiken, wie der Verkauf der Eintrittskarten, der bei einer Eishockey-WM insgesamt etwa eine halbe Million Tickets betragen muss, damit sich die Veranstaltung für den Ausrichter lohnt.

In Deutschland sind Projekte dieser Größenordnung nicht mehr ohne Weiteres mit öffentlichen Mitteln möglich. Münchens Plan einer zweiten Olympiabewerbung scheiterte an einem Volksentscheid. Harnos glaubt, dass Minsk Symptom einer Entwicklung sei. „Bei nachhaltigen negativen Bürgerentscheidungen zu Sportgroßveranstaltungen stellt sich doch die Frage, ob in der Konsequenz künftig vermehrt Sportgroßveranstaltungen dort stattfinden, wo Bürger nicht gefragt werden, sondern die Politik handelt“, sagt er.

Die Politik in Weißrussland hat im Vorfeld des Turniers den Weg dafür bereitet, dass es den ausländischen Besuchern besser als den eigenen Bürgern geht. Touristen mit WM-Ticket brauchen kein Visum, das im Normalfall für Weißrussland nicht einfach zu bekommen ist. Am Flughafen von Minsk sollen die Gäste an speziellen Gates bevorzugt behandelt werden, ohne die sonst übliche Schikane bei der Abfertigung. Seit Wochen predigen die staatlichen Medien, wie viel der Staat für die Ausrichtung der WM getan hat und wie sehr sich die Menschen im Land auf die Spiele freuen. „Es wird keine freien Plätze in den Stadien geben“, hat Lukaschenko versprochen. Und wenn, so wird gemunkelt, werden eben Studenten in die Arenen beordert, um auch ein für Weißrussen unattraktives Spiel zu einem Spiel vor voller Kulisse werden zu lassen.

Von der Eishockey-WM profitieren nicht alle Menschen im Staat

Minsk will sich weltoffen präsentieren: 500 Polizisten haben Englischkurse belegen müssen, 1000 mehr oder weniger freiwillige Helfer sollen für die Besucher da sein. „Die Weltmeisterschaft bringt Handel und Service auf einer neuen Ebene“, hat Lukaschenko gesagt. Für das Turnier wurden Hotels gebaut, 2000 Arbeitsplätze geschaffen und Supermärkte errichtet. Doch vom infrastrukturellen Fortschritt profitieren nicht alle Menschen im Staat. 600 Studenten der vier Universitäten von Minsk haben ihre Wohnungen räumen müssen, sie wurden für WM-Gäste umgebaut. Oppositionelle sind schon seit langem gegen die Ausrichtung der WM. Die Eishockey-Föderation lasse dem Diktator alles durchgehen, ist der Tenor. „Sie können nicht das Jahr der Gastfreundschaft ausrufen, wenn so viele Menschen unschuldig im Gefängnis sitzen“, sagt Anatoli Lebedko, Leiter der Vereinigten Bürgerpartei. „Das ist kein Fair Play, wenn es so viele politische Gefangene gibt.“ Rund 20 Menschenrechtsorganisationen unterstützen die „Fair Play Beyond Sports“- Kampagne anlässlich der WM. Susan Corke von „Freedom House“ sagt im offiziellen Statement der Kampagne: „Die Führer von Weißrussland sollten demonstrieren, dass Fair Play nicht nur ein Motto für den Sport ist, sondern eine Lebensart – vor, während und nach der Weltmeisterschaft.“ Menschen, die „Fair Play“ unterstützen, wollen während der WM T-Shirts mit Fotos politischer Gefangener tragen, um Aufsehen bei internationalen Gästen zu erregen.

70 000 Menschen aus dem Ausland werden in Minsk erwartet, vor allem aus Ost- und Westeuropa. In Nordamerika werden die Medien großflächig berichten. Lukaschenko hat angeordnet, dass ausländische Journalisten keine Restriktionen befürchten sollen. Aber eine Amnestie politischer Gefangener, wie die von Russlands Staatschef Putin vor den Spielen von Sotschi, wird es wohl vor der WM nicht geben, sagt Jovanka Worner von Amnesty International. „Es gab mal die Hoffnung, dass Ales Bjaljazki freikommt“, sagt sie. Doch der Menschenrechtler sitzt wie der ehemalige Präsidentschaftskandidat Mikalaj Statkewitsch und Aktivist Eduard Lobau weiter im Gefängnis. Worner sagt, Amnesty sei enttäuscht, dass der Sport vor der WM kein tiefergehendes Interesse an Aufklärung über Weißrussland gezeigt hätte: „Wir haben den Eishockey-Bund angeschrieben und angeboten zu schildern, wie wir die Menschenrechtslage in Weißrussland sehen, aber nie eine Antwort bekommen.“

Mitarbeit: Daria Meschtscheriakowa

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