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Feuer, Luft und Eis. Die Spieler laufen ein.

© snaps

Eishockey und Event: Angriff der aufblasbaren Rieseneisbären

Mit einer von Fans arrangierten, pompösen Show wollen die Eisbären in ihrer Halle den Spagat zwischen Traditionspflege und Event schaffen

Der Eisbär schwächelt. Das ist eines der ersten Probleme, die Volker Goede an diesem Tag zu lösen hat. Mit seinem Team, der „Beisszeit Crew“, sorgt er dafür, dass es auch bei Heimspielen der Eisbären am Freitag gegen Hannover (19.05/Sky) in der Arena am Ostbahnhof nicht nur Eishockey zu sehen gibt, sondern auch ein spektakuläres Rahmenprogramm. In dem spielt der riesige aufblasbare Bärenkopf, durch dessen Maul die Heimmannschaft zum Spielbeginn aufs Eis läuft, eine Hauptrolle. Noch ruht der Kunststoffeisbär zusammengefaltet und in schwarze Plastikplanen gewickelt im kalten Neonlicht eines fensterlosen Kellerraums der Arena. Er soll sich aufrichten, doch eines der Gebläse, mit denen der Bär in Form gebracht wird, funktioniert nicht so, wie es soll. Das ist natürlich ein Thema auf der Besprechung, die Goedes Mannschaft wie immer einige Stunden vor Spielbeginn abhält. Letztlich sind sie sich einig: kein Grund zur Panik. Und tatsächlich wird der Kopf später nicht zusammenbrechen.

Die Zuschauer bekommen von solchen Problemen hinter den Kulissen nichts mit, ihnen wird die bei den Heimspielen der Eisbären gewohnte Show geliefert. Vor dem ersten Bully gibt es ein Feuerwerk und die Einlaufzeremonie, auf dem Videowürfel und dem „Fascia Board“, dem umlaufenden LED-Band, werden Spielszenen und Informationen, kleine Filme und Werbespots gezeigt, immer blinkt und funkelt irgendetwas. Und das so reibungslos, als würde alles präzise von einem Computer gesteuert. Das in Wirklichkeit ein vielköpfiges, bunt gemischtes Team an dem Spektakel werkelt, bleibt den Fans verborgen. Goede, der eine Eventagentur in Potsdam leitet, sorgte schon bei den Spielen im Wellblechpalast vor höchstens 5000 Zuschauern für Stimmung. Mit dem Umzug in die Arena, die mehr als 14.000 Fans fasst und technisch ganz andere Möglichkeiten bietet, musste er die Crew erweitern. Inzwischen besteht sie aus mehr als 40 Leuten – von den Aufbauhelfern über die DJs bis zum Bildregisseur. „Alles echte Eisbären-Fans“, sagt er. Während des Spiels tragen die meisten T-Shirts, die ihre Zuneigung zum Deutschen Meister verraten. „Sie arbeiten ehrenamtlich“, sagt Goede. Viele sind in den vergangenen Jahren mit ihrer Rolle gewachsen und bei den Eisbären zu Fachleuten für ihre Aufgaben geworden.

Nach der Teambesprechung führt Goedes Weg zu den jungen Fans auf der Nordtribüne. Sie haben eine Choreographie vorbereitet, ein riesiges Tableau aus Plastikbahnen in den Vereinsfarben Rot-Weiß-Blau. Doch bei der Probe gibt es Schwierigkeiten: Die Scheinwerfer liefern das falsche Licht, die weißen Planen schimmern plötzlich gelblich. Die Fans sind entsetzt, Goede reagiert: Er ruft dem Beleuchter etwas zu, der korrigiert den Spot, und so ist auch dieses Problem gelöst: Vor Spielbeginn leuchten die Planen in strahlendem Weiß.

Die besondere Nähe zu den Fans sei „das Erfolgsgeheimnis des Vereins“, sagt Goede. Natürlich musste der Klub nach dem Umzug in die Arena das Rahmenprogramm ausweiten. Viele Zuschauer kommen nicht zuletzt wegen der Show, und ohne die ließe sich die Riesenhalle nicht regelmäßig füllen. Doch das Spektakel ist kein kühl kalkuliertes Kunstprodukt, es wurde bis ins Detail in Absprache mit dem Verein und den Anhängern entwickelt. Vermutlich daher haben die Eisbären auch nie einen Aufstand erlebt, wie ihn traditionsbewusste Fußballfans angesichts der vermeintlichen Kommerzialisierung ihres Lieblingssports inszenierten. Allein gegen die Bierpreispolitik in der Arena haben die Eisbären-Fans bisher protestiert.

Zwei Stunden vor Spielbeginn wird es für das Team langsam ernst: In einem engen, zur Eisfläche hin verglasten Raum im Oberrang treffen sich alle, die am Showprogramm beteiligt sind, vom Hallensprecher über den Fanbeauftragten bis zu den Verantwortlichen für die Musik- und Bildeinspielungen. Fast 30 Leute drängen sich in den Regieraum, der ohnehin schon mit diversen Rechnern, Mischpulten und Bildschirmen vollgestopft ist, um den Ablauf des Programms festzulegen, das bei jedem Spiel besondere Elemente erhält. Die Improvisation dabei ist mittlerweile zur Routine geworden.

Mit dem ersten Bully beginnt im Regieraum die heiße Phase. In Sekundenschnelle müssen nun die richtigen Einblendungen auf dem Videowürfel und dem „Fascia Board“ erscheinen. Goedes Leute arbeiten dabei mit einer Produktionsfirma zusammen. Es gibt Spezialisten für die vorproduzierten Einspielfilme, andere liefern aktuelle Livebilder oder bearbeiten Zeitlupensequenzen. Bei Bildmischerin Vanessa Duvinage läuft alles zusammen. Sie sitzt vor einer Wand von Flachbildschirmen, auf denen alle Bilder eingespielt werden, und reagiert auf die Zurufe der Regisseure. Drückt sie einen Knopf, erscheinen die Bilder auf dem Videowürfel. Mit stoischer Ruhe erledigt sie ihren Job, in über zwei Stunden unterläuft ihr kein einziger Fehler.

Um sie herum wird die Stimmung immer entspannter, je näher die Schlusssirene rückt: Die Kollegen diskutieren inzwischen über das Spiel und flachsen über den Stand im teaminternen Tippspiel. Nach der Schlusssirene treffen sich die meisten noch für eine Zigarette auf der Terrasse. Ein paar Kleinigkeiten waren letztlich nicht ganz perfekt, aber davon haben die Zuschauer nichts mitbekommen. Die konnten sich über einen Sieg ihrer Eisbären freuen – und ein Spektakel, das in Handarbeit entstanden ist.

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