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Sport: Eishockey: Wer kennt Sergej Wostrikow?

Selbst die Tagesschau musste warten. Ein Puck, der nicht über die Linie trudeln wollte, erregte im Frühjahr 1992 die deutsche Öffentlichkeit.

Selbst die Tagesschau musste warten. Ein Puck, der nicht über die Linie trudeln wollte, erregte im Frühjahr 1992 die deutsche Öffentlichkeit. Für einen Tag war Eishockey das Diskussionsthema Nummer eins. Die Eishockey-Nationalmannschaft war bei den Olympischen Spielen von Albertville erst im Penaltyschießen im Viertelfinale gescheitert. Unglücklich, aber bravourös gegen den großen Favoriten Kanada.

Ein paar Millimeter hatten zum Halbfinaleinzug und damit zum größten deutschen Eishockey-Triumph seit dem Gewinn der Bronzemedaille von Innsbruck im Jahre 1976 gefehlt. Peter Draisaitl, der Unglücksschütze von 1992, ist mit seinem Fehlschuss bekannt geworden. Noch immer ist Draisaitl in der höchsten Spielklasse, der Deutschen Eishockey Liga (DEL), aktiv. Duch das Negativerlebnis von Albertville hat er fast allen Kollegen in der Liga eines voraus: Man kennt ihn, auch außerhalb der Experten. Das ist bei einem Eishockeyspieler in Deutschland eine Seltenheit.

Bei jüngsten Umfragen nach dem Bekanntheitsgrad aktueller Spieler aus der DEL landen mit schöner Regelmäßigkeit Erich Kühnhackl oder Gerd Truntschka auf den vorderen Plätzen. Beide haben ihre Karriere schon vor Jahren beendet. Wie wäre es denn mit Sergej Wostrikow von den Augsburger Panthern oder Brad Purdie von den Krefeld Pinguinen? Beide zählen zu den Topscorern der DEL. Bekanntheitsgrad außerhalb der Eishockey-Szene? Gleich null.

Eishockey ist aus dem Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit verschwunden. Irgendwie nahm alles nach Draisaitls Fehlschuss seinen Lauf. Die Nationalmannschaft wurde von Jahr zu Jahr schlechter, die Übertragungen in den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten wurden dank mangelndem Geschicks der DEL und des Deutschen Eishockey Bundes (DEB) rar.

1994 wurde aus der alten Bundesliga die DEL, eine Spielklasse der Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Damals verschwanden viele alte Vereinsnamen und mit ihnen ein Stück Tradition. Das Bosman-Urteil brachte wenig später viele neue gute Spieler und damit ein besseres Niveau in die Liga. Doch daraus entwickelte sich ein nicht mehr zu überschauener Spielermarkt. Seitdem herrscht bei den Klubs ein ständiges Kommen und Gehen. Folge: Immer weniger Fans identifizieren sich mit ihren Klubs.

Ein gutes Beispiel dafür sind die Berlin Capitals. Zu Bundesligazeiten hießen die Stars Georg Holzmann, John Chabot oder Gates Malo. Und das Jahre lang. Neben der Metamorphose von "Preussen" über "Preussen Devils" zu "Capitals" haben die Berliner in den vergangenen Jahren gleich zwei Mal (1998 und 1999) quasi die komplette Mannschaft ausgetauscht. Dienstältester Spieler im Klub ist Heinrich Schiffl - der Verteidiger kam 1997! Kontinuität ist ein Fremdwort in Charlottenburg, der Klub hat sein Gesicht verloren. Auf den Rängen tragen die Fans immer noch Trikots mit dem Namenszügen Holzmann oder Chabot.

Dabei ist das Potenzial an Fans groß: Hinter Fußball ist Eishockey in Deutschland immer noch die am meisten besuchte Mannschaftssportart. In der Provinz kann schon mal ein Viertligist Zuschauerzahlen in vierstelliger Zahl verbuchen. Und in der berühmtesten Liga der Welt, in der nordamerikanischen NHL, sind die Deutschen derzeit so präsent wie nie. Der Kölner Uwe Krupp gewann als erster Deutscher 1996 mit Colorado die Meisterschaft in der NHL, schoss dabei sogar das entscheidende Tor im letzten Endspiel. Der in Südafrika geborene Olaf Kölzig, der zwar nie in Deutschland gespielt hat, wurde in der Vorsaison sogar zum besten Torwart der NHL gewählt. Der Mannheimer Jochen Hecht von den St. Louis Blues oder der Landshuter Marco Sturm von den San Jose Sharks haben sich in der NHL längst einen Namen gemacht. In Deutschland kennt man sie kaum. Eishockey interessiert in Deutschland nicht mehr.

Dabei ist gar nicht mal undurchschaubares Wirtschaften, so wie es momentan die in finanziellen Nöten steckenden Berlin Capitals vormachen, einer der Hauptgründe für die Misere. So etwas gab es schon immer, vor Einführung der DEL sogar noch häufiger. Die Probleme der Neuzeit liegen woanders: schlechte Vermarktung, zu wenig Fernsehpräsenz und eine lange vor sich hindümpelnde Nationalmannschaft und Profis, die ihre Klubs im Jahresrhythmus wechseln.

Das wirkt auf den ersten Blick seltsam, denn so schlecht ist die Ware Eishockey in der DEL nicht. Qualitativ ist sie der NHL sehr viel näher als etwa die Basketball-Bundesliga der NBA. Doch selbst Weltstars locken in der DEL keinen Zuschauer. Beispiel Esa Tikkanen: Der 35-jährige Finne spielt beim Tabellenletzten Moskitos Essen. In den achtziger Jahren gewann er in der NHL an der Seite Wayne Gretzkys vier Mal den Stanley-Cup, Gretzky hat ihn kürzlich als einen seiner zwei besten Mitspieler aller Zeiten bezeichnet. In Deutschland ist Tikkanen quasi inkognito. Bei seinem jüngsten Gastspiel in Berlin konnte Tikkanen unbehelligt nach getaner Arbeit im VIP-Raum sein Bier trinken. "In Finnland", erzählte Tikkanen, "könnte ich nicht einfach so in eine Kneipe gehen. Da werde ich schon auf der Straße alle paar Meter angesprochen." Das deutsche Eishockey - eine Sportart ohne Gesicht.

Das war schon mal anders. Früher bewarb Erich Kühnhackl in Fernsehspots für Schokoladenriegel, dem früheren Bundestrainer Xaver Unsinn ist sogar eine Frage im Gesellschaftsspiel Trivial Pursuit gewidmet. Chris Valentine, gerade bei den Capitals geschasster Trainer, wird heute noch auf ehemalige Großtaten als Spieler bei der Düsseldorfer EG in den 80er und 90er Jahren angesprochen. Drei Beispiele, für die sich heute keine Parallele findet.

Doch es gibt Hoffnungsschimmer. Neue Großarenen in Köln, Oberhausen, Nürnberg und ab nächster Saison auch in Hannover sorgen zumindest lokal für einen Zuschaueraufschwung. Die Nationalmannschaft hat im Vorjahr den Aufstieg in die A-Gruppe geschafft, hat sich im Februar souverän und ungeschlagen für die Olympischen Winterspiele 2002 qualifiziert. Und das haben dann plötzlich doch ein paar Menschen außerhalb der Eishockey-Szene mitbekommen, wie auch Franz Reindl, Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) erstaunt feststellt: "Mich haben seit zehn Jahren nicht mehr so viele Leute auf Eishockey angesprochen, wie nach der geschafften Olympia-Qualifikation der Nationalmannschaft."

Das Interesse an der Ende April beginnenden Weltmeisterschaft in Deutschland ist ebenso da. Auch wenn die WM auf den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten live nicht live stattfindet (Sat 1 und das DSF übertragen ein paar Spiele, im Wesentlichen ist der Pay-TV-Sender Premiere am Drücker). Die ersten drei deutschen WM-Spiele sind bereits ausverkauft. Im ersten Spiel der deutschen Mannschaft wird es dabei einen Zuschauerrekord bei einer Weltmeisterschaft in geschlossenen Hallen geben: 18 500 Zuschauer werden am 28. April das Spiel Deutschland - Schweiz in Köln verfolgen. Der Großteil von ihnen wird hoffen, dass die Deutschen den Puck möglichst häufig über die gegnerische Torlinie schieben. Je häufiger ihnen das gelingt, desto besser stehen die Chancen des Eishockeys, wieder eine breitere Öffentlichkeit zu finden.

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