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Selten hat Händeschütteln so viel Spaß gemacht. Der Wolfsburger Kai Hospelt und seine Kollegen freuen sich über den schönen Abgang nach dem 2:1-Erfolg gegen die Slowakei.

© dpa

Deutsches Eishockey-Team: Welle des Wohlwollens

Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft spielt bei der Weltmeisterschaft so erfolgreich wie seit Jahrzehnten nicht – und hat nun im Viertelfinale sogar die Chance, etwas ganz Großes zu schaffen.

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Der Dienstag hat Franz Reindl in ein schönes Märchen geschubst. Slowakei 1, Deutschland 2 – Videowürfel lügen selten. Kein Märchen. Realität, Herr Sportdirektor des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB). Der Mann mit dem dichten grauen Haarschopf tänzelte durch die Gänge der riesigen Kölnarena, mit hochrotem Kopf und strahlendem Gesicht. Aber es ist ja auch ein doppelter beruflicher Erfolg für den Sportdirektor und Chef des Organisationskomitees der Eishockey-Weltmeisterschaft: Zuschauerrekord bei der Heim-WM! Deutschland im Viertelfinale! Der Sieg gegen die Slowaken führte die Deutschen erstmals seit 2003 wieder in die WM-Endrunde – und das im eigenen Land. Das berühre ihn schon „sehr tief“, sagt Reindl. „Wenn man diese Leistung und diese Stimmung dazu sieht, geht einem das bis ins Mark.“

Reindl hat schon anders ausgesehen in den jüngsten Jahren. Das Haupt gesenkt und nur schnell weg aus der Halle. Von Turnier zu Turnier schien sich das Nationalteam mit seinen Misserfolgen weiter aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit zu spielen, seinen Ruf dauerhaft zu lädieren. Und nun? Nun sind außerhalb ihres Dunstkreises zuvor unbekannte junge Eishockey-Profis dabei, Profil zu gewinnen. Vielleicht bald schon so, wie es die Handball-Nationalspieler mit ihrem WM-Triumph 2007 geschafft haben.

Jetzt ist zwar noch nicht alles gut im krisengewohnten deutschen Eishockey, aber es scheint auf einem guten Wege zu sein. Am Donnerstag holt die Nationalmannschaft zu ihrem größten Erfolg seit Jahrzehnten aus, am Donnerstag könnte für die Deutschen in Mannheim mit einem Sieg über die Schweizer (20.15 Uhr, live bei Sport 1) aus einer guten WM ein Turnier mit Breitenwirkung werden.

Sie wollen mehr, sie sind vom Erfolg überzeugt. Bundestrainer Uwe Krupp sagt vor dem großen Spiel sogar: „Wir sind noch nicht fertig, wir haben noch Ziele.“ Unverschämt hohe Ziele haben die Deutschen in einer Saison, die sie mit einem unverschämt schlechten Abschneiden bei den Olympischen Spielen von Vancouver eingeläutet haben. Vier Spiele, vier Niederlagen – und das mit den zwei deutschen Stars aus der nordamerikanischen Profiliga NHL, mit Jochen Hecht und Marco Sturm. Die beste deutsche Mannschaft war das angeblich. Und jetzt spielt die deutsche Mannschaft bei der WM viel besser als bei Olympia – ohne Hecht, ohne Sturm. Beide sind verletzt und, es mag paradox klingen: Das tut den Deutschen gut. Sie arbeiten und siegen als Kollektiv, sie verlassen sich nicht auf die Tore eines Marco Sturm. Sie kommen ohne Stars aus, gehen in jeden Zweikampf, als ginge es um alles. Sie spielen – typisch deutsch.

Die sympathische junge Mannschaft mit ihren Draufgängern wie Felix Schütz oder Christian Ehrhoff ist von Bundestrainer Krupp gründlich umgekrempelt worden, verglichen mit dem Team, das bei der WM 2009 in der Schweiz nur eines von sechs Spielen gewinnen konnte. „Allein in der Abwehr haben wir im Vergleich zum Vorjahr sieben neue Spieler“, sagt Krupp. Abwehren, den Gegner zermürben – auch typisch deutsche Sporttugend. Die Abwehr ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass Krupps Team anders als noch bei Olympia oder den jüngeren Weltmeisterschaften „keinen Durchhänger im Turnier hatte“, wie Bundestrainer Krupp sagt, also nicht wie bei Olympia 2:8 gegen Kanada unterging, sondern lediglich unglücklich 2:3 gegen Titelfavorit Russland verlor.

Das deutsche Eishockey erlebt dieser Tage eine kleine Renaissance auf allen Ebenen, befeuert von alten Helden aus besseren Zeiten. Da klatscht ein Erich Kühnhackl telegen auf der Tribüne mit, wenn seine Nachfolger spielen, da parliert ein Udo Kießling vorm Fernsehmikrofon über die guten Auftritte der Deutschen: Es ist eine Welle des Wohlwollens, die den Deutschen seit dem Sieg gegen die USA im Zuschauerweltrekordspiel auf Schalke entgegenschlägt.

Der Bundestrainer kann das Turnier nach dem Erreichen des Etappenziels inzwischen „richtig genießen“, wie er sagt, und ist „unglaublich stolz“ auf sein Team. Während er das sagt, lächelt Uwe Krupp. Es ist ein Lächeln der Erleichterung. Schließlich ist es noch nicht lange her, dass ihm der Rücktritt nahegelegt wurde. 2001 war er mit den Deutschen bei der WM in der Schweiz sportlich abgestiegen, nur das Heimrecht 2010 rettete sie vor dem Gang in die Zweitklassigkeit. Und nun spielen diese Deutschen am Donnerstag gegen die Schweiz um den Einzug ins Halbfinale.

Das Turnier hat für die Deutschen eine positive Dynamik entwickelt, sie sind wieder unter den besten acht Teams der Welt angekommen. „Mit unserer Leistung haben wir es verdient, unter den Top acht zu stehen“, sagt Verteidiger Christian Ehrhoff. „Der Druck ist jetzt weg.“ Auch Franz Reindl ist nicht mehr unter Druck. Schon mit der Zwischenrunde wurde sein Ziel mit 400 000 Zuschauern beim Turnier übertroffen – das damit auch ein wirtschaftlicher Erfolg wird: Die bisherige Bestmarke für eine WM in Deutschland, die 2001 mit 407 542 Besuchern aufgestellt wurde, ist schon überboten. Damals erreichten die Deutschen das Viertelfinale, in dem sie 1:4 gegen Finnland verloren. Was passiert nun, falls sie am Donnerstag die Schweizer schlagen sollten? Franz Reindl will lieber noch nicht daran denken. An das mögliche schöne Erdbeben im deutschen Eishockey.

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