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Drei aus vier. Lauritz Schoof, Phillipp Wende und Karl Schulze (von links nach rechts) feiern ihre Goldmedaille im Doppelvierer. Foto: dapd

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Sport: Eiskalt bis ins Ziel

Der deutsche DOPPELVIERER überwindet das Drama der WM 2011 und rudert ungefährdet zu Olympiagold.

500 Meter vor dem Ziel brüllte Karl Schulze, während Regentropfen auf seinen Körper fielen. „Jungs, wir haben eine Länge Vorsprung! Lasst den Schmerzen freien Lauf!“ Dass Schulze, der Mann, der im Doppel-Vierer ganz hinten sitzt, überhaupt so viel Zeit und Lust für solche Reden hatte, zeigte die ganze Überlegenheit dieses Boots auf dem Dorney Lake.

Als Karl Schulze, Philipp Wende, Lauritz Schoof und Schlagmann Tim Grohmann durchs Ziel glitten, mit ihrem langen Schlag, da hatten sie 1,9 Sekunden Vorsprung auf die Kroaten. Sekunden später erhob sich Schulze, zeigte seine gewaltigen Muskeln und umarmte dann über Wende hinweg Lauritz Schoof, der ebenfalls stehend im Boot balancierte. So sehen Olympiasieger aus.

Der deutsche Doppelvierer hatte von Anfang an dieses Rennen bestimmt, schon beim Start ging das Quartett in Führung, bei 500 Meter betrug der Vorsprung eine halbe Bootslänge, bei 1000 Metern schon eine Länge, und bei 1500 Metern, wenn der Endspurt beginnt, bereits 1,9 Sekunden auf die Kroaten. Grohmann blickte in diesem Moment zur Seite und war beruhigt. „Ich wusste, wenn wir jetzt nicht wieder etwas falsch machen, kann es klappen.“

Hinter diesem Satz steht die eigentliche Geschichte dieses Olympiasiegs. Diese speziellen Triumphgefühle sind noch ohne die psychischen Schmerzen eines sportlichen Dramas denkbar. Vor einem Jahr, bei der WM 2011 in Bled, lag das Boot kurz vor dem Ziel ebenfalls in Führung, nicht so klar wie gestern, aber deutlich genug, um vor den Australiern über die imaginäre Ziellinie zu gleiten. Doch 20 Metern vor dem Ziel zog Lauritz Schoof einen sogenannten Krebs, er verriss seinen Riemen, das Boot verlor seinen Rhythmus, es blieb fast stehen, es war, als hätte ein Auto plötzlich eine Vollbremsung hingelegt.

Schoof war wie paralysiert, die anderen reagierten auch nicht schnell genug. Sie hätten nach der Schrecksekunde nur ein bisschen an ihren Riemen ziehen müssen, das hätte gereicht, dann wäre das Boot als Sieger im Ziel gewesen. Aber im letzten Moment zogen die Australier vorbei, Deutschland wurde nur Zweiter, und Schoof hätte am liebsten gleich im Boot losgeheult.

Am Freitag waren die Bilder von Bled wieder präsent. Vor Schoofs geistigem Auge liefen sie wieder ab, und der nächste Gedanke, der sich 300 Meter vor dem Ziel in seinem Gehirn festfraß, lautete: „Zeig jetzt bloß keine Emotionen, bleib ruhig, zieh’ durch.“ Denn in Bled, sagte er auf dem Steg, während sich Schweißperlen in seinen Bartstoppeln sammelten, „war das Problem, dass ich zu viel Emotionen auf der Strecke hatte.“ Er hatte Gold gefeiert, als sie noch übers Wasser zogen. Diesmal blieb er cool wie ein Eisblock. „Das war die Revanche für 2011“, sagte Schulze.

Sie hatten mit mehr Gegenwehr gerechnet im deutschen Boot. „Ich hatte gedacht, dass 500 Meter vor dem Ziel drei, vier Boote gleichauf liegen, und dass dann der Endspurt entscheidet“, sagte Schulze.

Als sie im Zielraum erschöpft und enthusiastisch in ihrem Boot lagen, da brüllte Schulze einem Bekannten am Ufer zu: „Wir haben es versprochen.“ Und sie haben es gehalten.

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