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Eislauf-Skandal: Im falschen Licht

Wie die Deutsche Eislauf-Union auf den Vorwurf reagiert, dass ihr Sportdirektor einen Athleten sexuell belästigt haben soll.

Berlin – Reinhard Ketterer stand gestern wieder an der Bande im Sportforum Berlin, er sichtete Eiskunstlauftalente. Ein ganz normaler Tag für den Leitenden Landestrainer. Eigentlich ein ganz normaler Tag. Aber im Moment ist nichts ganz normal in der Eislauf-Szene. Ein Eistänzer, der in Berlin trainiert, beschuldigt den Sportdirektor der Deutschen Eislauf- Union (DEU), ihn sexuell belästigt und gegen seinen Willen in einem Berliner Hotelzimmer massiv geküsst zu haben. „Mich macht das betroffen. Es bedrückt mich sehr, wenn die Geschichte den Tatsachen entsprechen sollte“, sagt Ketterer. Das ist verständlich: Der 23 Jahre alte Eistänzer gehört zu Ketterers Kader.

Für den Coach ist es eine schwierige Situation. „Ich sitze zwischen den Stühlen“, sagt er. Da ist einerseits der Sportdirektor, der über viele Jahre gute Arbeit geleistet habe. Andererseits ist da der Athlet, der den Landestrainer als Vertrauensperson betrachtet. Ketterer steht auf der Verteilerliste jener Personen, die die E-Mails erhalten haben, die der Athlet und der Sportdirektor ausgetauscht haben, um über den Vorfall zu reden. Von diesen Personen erhofft sich der Eistänzer Hilfe, da der direkte Austausch mit dem Sportdirektor ihn nicht weitergebracht habe.

Ketterer suchte sofort ein Gespräch mit seinem Athleten und empfahl ihm, einen Rechtsanwalt und einen Psychologen aufzusuchen. Und er hörte sich die Geschichte aus Sicht des Sportlers geduldig an. Der 23-Jährige erzählte Ketterer, der Sportdirektor habe ihm erklärt, das verhängnisvolle Treffen in einem Hotelzimmer habe nicht am Vorabend eines Sichtungslehrgangs stattgefunden, sondern später, jedenfalls nicht vor einem wichtigen Wettkampf. Allerdings, sagt Ketterer, sei sich der 23-Jährige sicher, dass es vor der Sichtung war. Weder der Sportdirektor noch sein Anwalt waren gestern zu einer Stellungnahme zu erreichen. In einer Mail an den Athleten hatte der Sportdirektor einen „kurzen Kuss“ eingeräumt.

Auf jeden Fall steht der Athlet durch den Vorfall vor großen Problemen. Er ist ja weiterhin aktiv, und der Mann, der ihn in dem Hotelzimmer geküsst hatte, immer noch im Amt. In einer Mail an den Sportdirektor schrieb der Athlet, dass er einen weiteren persönlichen Kontakt mit ihm nach diesem Vorfall nie mehr in seinem Leben akzeptieren könne. Jede weitere Begegnung würde ihn nur an den Vorfall erinnern. Geradezu empört wies er einen Vorschlag des Sportdirektors zurück, ihn zu den ersten Sitzungen bei der psychologischen Behandlung zu begleiten. Zudem hatte der Sportdirektor erklärt, er werde die Kosten für eine psychologische Behandlung übernehmen.

Der Sportdirektor der DEU machte schriftlich allerdings auch Vorschläge, wie der Athlet weiter sportlich arbeiten könne, ohne mit ihm persönlichen Kontakt zu haben. Bundestrainer Martin Skotnicky werde in Absprache mit dem Heimtrainer seine Entwicklung bewerten. Die Leistungskontrollen der Saison erfolgten über erfahrene Preisrichter und technische Spezialisten. Aber die gesamte Leistungsentwicklung des 23-Jährigen werde er auch „künftig als Sportdirektor“ zusammen mit dem Bundestrainer beurteilen müssen. Das dürfte eine „akzeptable Lösung für uns beide“ darstellen.

Ob das wirklich akzeptabel ist, muss sich erst noch herausstellen. Vor wenigen Tagen hat der Athlet eine Trainingspause eingelegt, weil die Saison beendet ist. Und in den Tagen davor, sagt Ketterer, „hat er so normal wie möglich trainiert. Wir haben uns vorgenommen, dass wir diese Geschichte ausblenden.“ Allerdings sei dem 23-Jährigen auch klar gewesen, dass dieser Vorfall und die entsprechenden Vorwürfe irgendwann ans Licht kommen würden. Dass sie gerade jetzt publik wurden, hat zumindest für die kleine deutsche Nationalmannschaft Auswirkungen. Anfang nächster Woche beginnen die Weltmeisterschaften in Los Angeles, und der Sportdirektor der DEU wird bei diesem Pflichttermin fehlen: Das Präsidium der DEU hat ihn auf Druck mehrerer Landesverbände nicht in die USA reisen lassen.

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